VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 21.12.2006 - AN 1 K 06.30838 - asyl.net: M9834
https://www.asyl.net/rsdb/M9834
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Christen (syrisch-orthodoxe), Tur Abdin, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigte sowie der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lagen zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vor.

Die obergerichtliche Rechtsprechung, der sich der Einzelrichter anschließt, geht vielmehr davon aus, das Christen aus dem Tur Abdin vor (mittelbarer) politischer Verfolgung sogar hinreichend sicher sind (HessVGH vom 22.2.2006 - 6 UE 2268/04.A; VGH Baden Württemberg vom 27.10.2005 - A 12 S 603/05; OVG Lüneburg vom 21.6.2005 - 11 LB 256/02).

Die Situation für (syrisch-orthodoxe) Christen im Tur Abdin hat sich entspannt und stabilisiert.

Die im Tur Abdin verbliebenen oder dorthin zurückkehrenden Christen können ungehindert ihrem Glauben nachgehen (Dr. Oehring an OVG Lüneburg vom 03.10.2004; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 27.9.2006 zur individuellen und kollektiven Glaubensfreiheit in der Türkei, BT-Drucksache 16/2739). So berichtet die Zeitung "Firat News" in ihrer Ausgabe vom 22. Juli 2006 über die feierliche Wiedereinweihung einer Gebetsstätte der syrisch-orthodoxen Christen (Aziz Mor Dadbsabo-Kirche in Gülgöze bei Midyat). In der Ausgabe vom 1. Juni 2006 informieren die "Firat News" über die Rückkehr syrisch-orthodoxer Christen in ihre Heimatdörfer. In den letzten 2 1/2 Jahren seien 65 neue Wohnhäuser errichtet worden. Als Rückkehrorte werden u. a. Yesimli und Elbegendi im Kreis Midyat genannt.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass syrisch-orthodoxe Christen zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Tur Abdin unmittelbaren Verfolgungsmaßnahmen seitens der türkischen Behörden ausgesetzt sein könnten. Es kann auch nicht (mehr) von einer sog. mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgegangen werden, dergestalt, dass der türkische Staat Übergriffe von Privatpersonen, namentlich kurdischen Mitbewohnern, tatenlos hinnehmen und hiergegen grundsätzlich keinen Schutz gewähren würde. Vielmehr hat sich die Sicherheitslage der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin nachhaltig verbessert. Auch die bis vor einigen Jahren noch vorkommenden nicht-staatlichen Übergriffe auf Syriani und Yeziden treten allenfalls noch in Einzelfällen auf, wobei es jedoch nach Angaben des Auswärtigen Amtes wohl regelmäßig um Besitzstreitigkeiten geht und die Religionszugehörigkeit keine maßgebliche Rolle spielt.

Insgesamt ist damit festzustellen, dass die Situation der syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin im Ganzen als weitgehend sicher angesehen werden kann. Die nur noch vereinzelt vorkommenden Übergriffe können zudem dem türkischen Staat nicht mehr zugerechnet werden. Es fehlt an Hinweisen, dass die türkischen Behörden - wie noch in den 90er Jahren - bei Übergriffen gegen syrisch-orthodoxe Christen grundsätzlich nicht einschreiten. Vielmehr leisten sie im Rahmen des Möglichen durchaus wirksamen Schutz. So berichtet Dr. Oehring in seiner Stellungnahme vom 3. Oktober 2004 an das OVG Lüneburg, in Dörfern mit örtlicher Präsenz der Gendarmerie bzw. des Militärs könnten Christen ihren landwirtschaftlichen Besitz ungestört bestellen und müssten nicht mit Übergriffen der muslimischen Kurden rechnen. Komme es gleichwohl zu Übergriffen, gewähre der türkische Staat durchaus Schutz. Es versteht sich von selbst, dass derartige Taten nicht vollständig ausgeschlossen werden können und der türkische Staat nicht in der Lage sein kann, hiergegen einen lückenlosen Schutz zu gewährleisten, dies kann jedoch der Annahme der grundsätzlichen Schutzwilligkeit nicht entgegenstehen. Auch zeigen verschiedene Beispiele, dass zurückkehrenden syrisch-orthodoxen Christen sogar bei der Wiedererlangung ihres Eigentums geholfen wird. Nach alledem fehlt es für die Annahme einer fortbestehenden mittelbaren Gruppenverfolgung sowohl an einer hinreichenden Verfolgungsdichte als auch an einer Zurechenbarkeit der nur noch vereinzelt stattfindenden Übergriffe gegenüber dem türkischen Staat.

Den Klägern drohen zur Überzeugung des Einzelrichters bei einer Rückkehr in die Türkei auch keine anderen asylerheblichen Repressionen.

In den letzten beiden Jahren wurde kein Fall an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung heran getragen, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes Türkei vom 27. Juli 2006).

Das erkennende Gericht schließt sich dieser Einschätzung an (vgl. auch Hessischer VGH vom 5.8.2002 - 12 UE 2172/99.A, OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.6.2002 - 8 A 4782/99.A und vom 25.1.2000 - 8 A 1292/96.A; OVG Magdeburg vom 8.11.2000 - A 3 S 657/98; OVG Lüneburg vom 11.10.2000 - 2 L 4591/94; VGH Baden-Württemberg vom 10.11.1999 - A 12 S 2013/97, vom 2.4.1998 - A 12 S 1092/96, vom 2.7.1998 - A 12 S 1006/97 und - A 12 S 3031/96, vom 21.7.1998 - A 12 S 2806/96 sowie vom 22.7.1999 - A 12 S 1891/97 -).