OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.11.2006 - 3 L 315/03 - asyl.net: M9854
https://www.asyl.net/rsdb/M9854
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, Wiedereinreise, Einreiseverweigerung, Grenzkontrollen, Ausbürgerung, Sachaufklärungspflicht, Registrierung, Gruppenverfolgung, Yeketi, Palästinenser, Hassake, Arabisierungspolitik, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Zielstaatsbezeichnung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 1
Auszüge:

Der Bescheid der Beklagten vom 12. September 2001 erweist sich in Bezug auf den Kläger zu 3. (und dortigen Antragsteller zu 1.) mit Ausnahme der Bezeichnung von Syrien als Zielstaat der Abschiebung als rechtmäßig. Dem Kläger zu 3. steht kein Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 des im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats anzuwendenden Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) - Art. 1 Zuwanderungsgesetz - im Folgenden: AufenthG - vom 30. Juli 2004 (BGB. I S. 1950 ff.) zu.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner jüngsten Rechtsprechung klargestellt, dass die Entscheidung über den Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG zugleich eine Entscheidung über die Rechtsstellung des Ausländers als Flüchtling i. S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) - GFK - ist (Urt. v. 8.2.2005 - 1 C 29.03 -) sei. Die Frage der Staatsangehörigkeit sei - anders als bei den Abschiebungsverboten des § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG (dazu BVerwG, Urt. v. 4.12.2001 - 1 C 11.01 - BVerwGE 115, 265) auch dann zu klären, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung nicht in den Staat der Staatsangehörigkeit, sondern in einen anderen Zielstaat angedroht habe. Handele es sich um einen Staatenlosen, so trete gem. Art. 1 A Nr. 2 GFK an die Stelle des Staats der Staatsangehörigkeit der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts. Den tragenden Gesichtspunkt für die so definierte Rechtsstellung des schutzsuchenden Ausländers sieht das Bundesverwaltungsgericht im Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit bzw. - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts (Urt. v. 8.2.2005 - 1 C 29.03 -, S. 10 UA). Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Soweit sich im Urteil des Senats vom 2. Dezember 2003 - 3 L 68/01 - abweichende Ausführungen finden, wird hieran nicht festgehalten.

Für den Prüfungsumfang im Rahmen der asylrechtlichen Statusentscheidung gem. § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art. 1 A Nr. 2 GFK kommt es schließlich darauf an, ob der Ausländer in rechtlich zulässiger Weise in seinen Heimatstaat oder - bei Staatenlosen den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts zurückkehren kann. Kann er dies nicht, stellt sich regelmäßig nicht mehr die Frage, ob ihm in diesem Staat politische Verfolgung droht. Es besteht in diesem Falle auch kein Bedürfnis mehr, ihm den subsidiären asylrechtlichen Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art. 1 A Nr. 2 GFK angedeihen zu lassen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat hierzu die folgenden Grundsätze entwickelt:

Streitgegenstand der sog. Flüchtlingsanerkennung ist grundsätzlich die Frage, ob dem betroffenen Ausländer in seinem Heimatstaat, mithin im Staat, dessen Staatsbürgerschaft er regelmäßig besitzt, für den Fall seiner Wiedereinreise eine politische Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - 9 C 3.95 -, NVwZ-RR 1996, 602 (603)).

Ebenso wie in den Fällen der Ausbürgerung eines Staatsangehörigen, die als solche regelmäßig eine politische Verfolgung beinhaltet - ohne dass insoweit allerdings eine "Regelvermutung" besteht (BVerwG, Beschl. v. 7.12.1999, a. a. O.) - und in diesen Fällen den Asyltatbestand selbst dann erfüllt, wenn der Betroffene nicht in sein Heimatland zurückkehren kann, lässt sich grundsätzlich auch bei einem Staatenlosen, dem die Wiedereinreise durch denjenigen Staat verweigert wird, in dem er mit dessen Billigung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 1 A Nr. GK hatte, nicht ausschließen, ass der darin liegenden Entziehung seines Aufenthaltsrechts politische Motive im Sinne des Asyltatbestandes zugrunde liegen, mithin die Verweigerung der Wiedereinreise auf die Rasse, Religion, Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des von ihr Betroffenen zielt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.2.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 30 = NVwZ 1985, 589; BVerwG, Urt. v. 15.10.1985, a. a. O.; BVerwGE 67, 184 = NVwZ 1983, 674 = NJW 1983, 2782 L). Sollte dies nicht der Fall sein, so stellt sich bei Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates besitzen, sich dort aber mit seiner Billigung dauerhaft aufhalten konnten, allerdings die Frage, ob dieses (noch) das Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes ist. Während ein Staat seine Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein dadurch einbüßt, dass der Staatenlose ihn verlässt und in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt (vgl. BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 30 = NVwZ 1985, 589), tritt eine Änderung der rechtlichen Situation hingegen dann ein, wenn er den Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nicht politischen Gründen - ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert, nachdem er das Land verlassen hat. Er löst damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. Er steht dem Staatenlosen nunmehr in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat und ist nicht mehr taugliches Subjekt "politischer Verfolgung" i. S. des Asylrechts. Die Bundesrepublik Deutschland wird nunmehr das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts. Dann aber ist es unter asylrechtlichen Gesichtspunkten ebenso wie im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG, der insoweit tatbestandlich nicht weiter reicht als Art. 16 a Abs. 1 GG, unerheblich, ob dem Staatenlosen im früheren Aufenthaltsland - könnte und würde er dorthin zurückkehren - noch Verfolgung droht. Damit wird - m. a. W. - ein Asylanspruch gegenstandslos; der Status der betroffenen Person richtet sich dann nach den Vorschriften des Gesetzes vom 24. April 1976 zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen - StlÜbK - (BGBl. 1976 II S. 473 und BGBl. 1977 II S. 235). Art. 31 StlÜBk gewährleistet insoweit einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz (vgl. zu allem BVerwG, Urt. v. 22.2.2005 - 1 C 17.03 - DVBl. 2005, 1201 (1203) unter Hinweis auf BVerwG, Urteile v. 24.10.1995 - 9 C 3.95 -, DVBl. 1996, 205 und - 9 C 75.95 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 181; s. auch Urteil d. Senats v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -).

Ob es sich bei den Betroffenen um Staatenlose handelt und ob bei ihnen ein Verlust des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes eingetreten ist, muss vom Gericht mit der in Asylverfahren auch ansonsten maßgebenden, nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen vollen Überzeugungsgewissheit festgestellt werden; es reicht demgegenüber nicht aus, wenn dies aufgrund des festgestellten Sachverhalts lediglich wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.2.2005 - 1 C 29.03 -; BVerwG, Urt. v. 15.10.1985, a. a. O.; BVerwG, Urt. v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32 = DVBl. 1985, 956 = NVwZ 1985, 658; Urteil d. Senats v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -).

(1) Der Senat geht in Anwendung der aufgezeigten Grundsätze davon aus, dass der Kläger zu 3. Staatenloser ist, weil er vom syrischen Staat nicht als syrischer Staatsangehöriger anerkannt wird, und weil er auch keine andere Staatsangehörigkeit besitzt.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten historischen Ereignisse im Jahre 1962 und der seither in Syrien lebenden unterschiedlichen Gruppierungen von Kurden ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zu 3. zu der Gruppe von Kurden gehört, die in Syrien als "Unregistrierte" gelten und damit nicht die syrische Staatsangehörigkeit besitzen.

Nach Auffassung des Senats steht der Annahme einer Staatenlosigkeit des Klägers zu 3. schließlich auch nicht der Umstand entgegen, dass nach den geltenden Vorschriften des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts davon ausgegangen werden könnte, dass er trotz seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der "unregistrierten" Kurden die syrische Staatsangehörigkeit besitzt.

Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person besitzt, richtet sich allein nach dem jeweiligen nationalen Recht des betreffenden Staates (vgl. u. a. Hess. VGH, Urt. v. 26.4.2002 - 9 UE 1508/99.A - juris). Dementsprechend gilt gem. Art. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen als "Staatenloser eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht." Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervorgehoben, dass andere Staaten von Völkerrechts wegen bei der Beurteilung des ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts nicht nur die staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften des Staates in den Blick zu nehmen haben, sondern auch deren Auslegung durch die Behörden und Gerichte des jeweiligen Staates (BVerwG, Beschl. v. 4.10.1995 - 1 B 138.95 - InfAuslR 1996, S. 21; BVerfG, Kammerbeschl. v. 5.10.1990 - 2 BvR 650/89 -). Für die Feststellung der Staatsangehörigkeit kommt es hiernach nicht allein auf den Wortlaut und den normativen Regelungsgehalt der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts an; maßgeblich für die bestehende materielle Rechtslage ist insoweit vielmehr die tatsächliche Handhabung und Interpretation der jeweiligen Vorschriften in der Rechts- und Verwaltungspraxis des jeweiligen Landes. D. h. für das Bestehen einer ausländischen Staatsbürgerschaft ist nicht nur auf die im Staatsangehörigkeitsrecht formal-rechtlich geregelten Erwerbs- und Verlusttatbestände abzustellen, sondern entscheidend ist vor allem auch, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen die Anwendung der Vorschriften an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden oder aber derart restriktiv gehandhabt werden, dass sie letztlich keine Rechtswirkungen entfalten (vgl. hierzu u. a. OVG NRW, Beschl. v. 14.3.2001 - 11 A5348/98.A - juris).

In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zu 3. aufgrund des geltenden syrischen Staatsangehörigkeitsrechts und seiner Anwendung und Handhabung vom syrischen Staat nicht als syrischer Staatsangehöriger angesehen wird. Zwar ist in Art. 3 des Gesetzes Nr. 276 vom 24. November 1969 zur Regelung der (syrischen) Staatsangehörigkeit (J.O. Nr. 55 v. 17.12.1969, geändert durch Gesetz Nr. 34 v. 9.11.1986 und J.O. Nr.45 v. 19.11.1986 abgedr. in "Das Staatsangehörigkeitsrecht der Arabischen Staaten" von Dr. H. Kruse, Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen) normiert, dass "von Amts wegen als syrischer Araber gilt, (a) wer innerhalb oder außerhalb der arabischen Provinz Syrien (Art. 1 lit. a) a. a. O.) als Kind eines arabisch-syrischen Vaters geboren ist, (b) wer innerhalb der arabischen Provinz Syrien als Kind einer arabisch-syrischen Mutter geboren und wessen väterliche Abstammung nicht gesetzlich festgestellt worden ist und (c) wer in der Provinz als Kind von Eltern geboren ist, die ... unbekannter Staatsangehörigkeit oder staatenlos sind ..."

Dennoch steht für den Senat auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials fest, dass der Kläger zu 3. trotz des Wortlauts und des Regelungsgehalts des Art. 3 des syrischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom syrischen Staat nicht als syrischer Staatsangehöriger angesehen wird. Der syrische Staat stellt sich vielmehr bei der Auslegung und Handhabung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts ersichtlich auf den Standpunkt, dass jene Kurden, die anlässlich der Volkszählung im Jahre 1962 nicht registriert bzw. als "Ausländer" erfasst wurden, keine syrischen Staatsbürger waren, sondern dass es sich bei ihnen um nach 1945 zugewanderte Immigranten bzw. Flüchtlinge aus benachbarten Staaten - und folglich um Personen mit einer fremden Staatsangehörigkeit - gehandelt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 7.10.2002). Von diesem (syrischen) Standpunkt aus erfüllen Kurden, die bei der Volkszählung unregistriert geblieben sind und Abkömmlinge ebenfalls unregistrierter oder als Ausländer registrierter Kurden sind, nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erwerb der syrischen Staatsangehörigkeit, denn sie sind wie ihre Eltern nicht "staatenlos". Soweit nach der gesetzlichen Regelung auch eine "unbekannte Staatsangehörigkeit" der Eltern als ausreichend angesehen wird, verbleibt - neben den Beweisanforderungen des syrischen Staates an dieses Tatbestandsmerkmal (vgl. Human Rights Watch, Bericht vom Oktober 1996, Appendix A, V 1 c und d, S, 42) - in jedem Fall die Notwendigkeit, ohne im Besitz offizieller Personaldokumente zu sein, die Geburt auf syrischem Boden nachzuweisen (Human Rights Watch, Bericht vom Oktober 1996, Appendix A, V 1, S. 41, 42).

Denn - wie bereits ausgeführt - sind die unregistrierten Kurden in keinem Personenstandsregister erfasst und können sich im Einzelfall nur vermittels einer Bescheinigung des örtlichen Dorfvorstehers (Muchtar) ausweisen, die jedoch in Syrien nicht als offizielles Dokument anerkannt wird. Bei dieser Sachlage lässt steh aus Sicht der syrischen Behörden nicht ohne weiteres vom Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 3 des syrischen Staatsangehörigkeitsgesetzes ausgehen, zumal gem. Art. 29 des syrischen Staatsangehörigkeitsgesetzes derjenige, der die syrische Staatsangehörigkeit für sich reklamiert, den erforderlichen Beweis hierfür führen muss. Solange ein solcher Nachweis aber nicht geführt wurde, verbleibt es dabei, dass die Betroffenen als nicht registrierte (und "ausgebürgerte") Kurden in Syrien keine staatsbürgerlichen Rechte besitzen. Diese Einschätzung in Bezug auf den Rechtsstatus der "unregistrierten" Kurden in Syrien entspricht der übereinstimmenden Auffassung sämtlicher sachverständiger Steifen und Gutachter (vgl. u. a. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 1.4.2004; Hajo/Savelsberg, Gutachten v. 27.9.2002 für d. VG Magdeburg; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme v. 5.11.2002 an VG Magdeburg; - vgl. auch OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 13.9.2002 - 3 R 3/02 - m. w. N.).

(2) Der Kläger zu 3. hat nach Einschätzung des Senats aufgrund der derzeitigen Erkenntnislage (s. etwa Auswärtiges Amt, Auskunft v. 26.4.2001 an VG d. Saarlandes; Auskunft v. 30.1.2001 an VG Aachen; Auskunft v. 1.10.2002 an VG Magdeburg; a. L, Stellungnahme v. 3.12.1996 an VG Ansbach; Deutsches Orient-Institut, Gutachten v. 8.5.1996 an VG Ansbach; Gutachten v. 1.10.2001 an VG d. Saarlandes; Gutachten v. 5.11.2002 an VG Magdeburg) auch keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit, nach Syrien zurückzukehren.

(3) In dem Umstand, dass die syrischen Behörden dem Kläger zu 3. als Kurden ohne syrische Staatsangehörigkeit die Rückkehr nach Syrien verwehren, ist schließlich auch keine politische Verfolgung i. S. des § 60 Abs.1 AufenthG zu sehen. Das Wiedereinreiseverbot für die genannte Personengruppe nach illegaler Ausreise lässt sich nämlich nicht auf die in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgeführten politischen Gründe zurückführen (vgl. OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 13.9.2002 - 3 R 3/02 - juris; OVG Nds., Urt. v. 27.3.2001 - 2 L 2505/98 - Asylmagazin Nr. 2 - 7/2002, S. 32; Urt. v. 27.5.2003 - 2 L 2040/98 - juris; std. Rspr. d. Senats, vgl. u.a. Urt. v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 - ; Urt. v. 22.3.2006, - 3 L 327/03 -juris).

Der Senat vermag aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials nicht festzustellen, dass das Wiedereinreiseverbot für die Kurden aus Syrien, die dort als staatenlos gelten, zumindest aber nicht die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, an die Ethnie anknüpft. Gegen eine solche Annahme spricht bereits der Umstand, dass nicht sämtliche in Syrien lebenden Kurden, die das Land illegal verlassen haben und wieder nach Syrien einreisen wollen, von diesem Verbot betroffen sind. Eine solche unterschiedslose Behandlung wäre jedoch für den Fall anzunehmen, dass es dem syrischen Staat darum ginge, die der kurdischen Volksgruppe angehörenden Personen wegen ihrer Ethnie auszusperren.

Gegen eine an die Ethnie anknüpfende Motivation des Wiedereinreiseverbots sprechen auch die derzeit bestehenden allgemeinen politischen Verhältnisse der kurdischen Volksgruppe in Syrien. Danach jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die in Syrien lebende kurdische Minderheit einer politischen Verfolgung ausgesetzt ist (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 12.4.2000, a. a. O.; Nds. OVG, Urt. v. 27.3.2001, a. a. O.; OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 11.3.2002 a. a. O.).

Darüber hinaus ist auch die syrische Gesetzgebung als solche gegenüber Kurden nicht diskriminierend.

Die im Gesetz angelegte Gleichstellung aller syrischen Staatsbürger und die auf Ausgleich angelegte staatliche Politik schließen es allerdings nicht aus, dass unter der sunnitisch-arabischen Bevölkerungsmehrheit Vorbehalte gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten bestehen und ihnen mit Misstrauen begegnet wird. Diese Tatsache dürfte sich auch im Umgang der staatlichen Stellen mit den genannten Minderheiten widerspiegeln. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bereitschaft des syrischen Staates, die Angehörigen der Minderheiten als Staatsbürger zu akzeptieren, sofern sie denn die syrische Staatsangehörigkeit besitzen. Man will diese Minderheiten nicht ausgrenzen, sondern sucht lediglich Autonomiebestrebungen vorzubeugen, die sich mit dem arabischen Staatsverständnis nicht vereinbaren lassen.

Angesichts der allgemeinen Haltung des syrischen Staates zu seinen Minderheiten, lassen sich auch Nachteile, denen Ausländer oder Staatenlose in Syrien ausgesetzt sind (z. B. fehlendes Wahlrecht, kein Recht auf Landbesitz und zur Ausübung eines selbständigen Gewerbes [vgl. hierzu: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8.2.2001 und Auskunft an das VG Aachen v. 30.1.2001; Hajo/Savelsberg, Gutachten v. 27.9.2002]), nicht als ethnisch oder religiös motivierte politische Verfolgung klassifizieren.

Eine andere Einschätzung rechtfertigt sich im Übrigen auch nicht im Hinblick darauf, dass aus Syrien ausgereisten "Palästinensern" die Rückkehr nach Syrien nicht verweigert wird, obwohl auch sie staatenlos sind. Dieser Umstand ist zur Überzeugung des Senats vielmehr der besonderen politischen Situation der Palästinenser geschuldet. Sie genießen in Syrien eine Sonderstellung, aufgrund derer ihnen weitestgehend Rechte wie Staatsangehörigen eingeräumt werden, allerdings ohne dass ihnen die syrische Staatsangehörigkeit verliehen wird. Als Grund für diese Sonderbehandlung führt der Sachverständige Brocks (VG Magdeburg, Protokoll v. 30.1.2003 zum Verfahren 9 A 155/02 MD) an, dass es zukünftig ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge in den zu gründenden Staat Palästina geben soll und keine Argumente gegen die Errichtung eines Staates Palästina geschaffen werden sollen.

Die Annahme eines an die Ethnie anknüpfenden Wiedereinreiseverbots lässt sich ferner auch nicht daraus herleiten, der Status des Klägers zu 3. als Staatenloser sei darauf zurückzuführen, dass er bzw. seine Eltern im Rahmen der 1962 im Gebiet der Jezirah durchgeführten Volkszählung "ausgebürgert" bzw. nicht als syrische Staatsangehörige registriert wurden und er insoweit von dieser Maßnahme (unmittelbar) betroffen war.

Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei der 1962 erfolgten außerordentlichen Volkszählung, welche auf dem am 23. August 1962 erlassenen Gesetzesdekret Nr. 93 beruhte und dazu geführt hat, dass im Gebiet von Hassake etwa 120.000 Kurden - dies entspricht einem Anteil von ca. 10 vom Hundert der kurdischen Volksgruppe - als Ausländer registriert wurden bzw. unregistriert blieben (vgl. Hajo/Savelsberg, Gutachten v. 27.9.2002 an VG Magdeburg; Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 7.10.2002), um einen Akt politischer Verfolgung gehandelt hat.

Denn selbst dann, wenn die 1962 erfolgte "Ausbürgerung" kurdischer Volkszugehöriger ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte, rechtfertigt allein der Umstand, dass die staatliche Maßnahme hinsichtlich der damit einhergehenden Rechtsfolgen in Bezug auf den Verlust der Staatsangehörigkeitsrechte unverändert fortwirkt, nicht schon die Annahme, dass die staatliche Maßnahme hinsichtlich ihrer Zielgerichtetheit unverändert an die kurdische Volkszugehörigkeit der betroffenen Personen anknüpft. D. h. es lässt sich auch unter Berücksichtigung der für den genannten Personenkreis und ihre Abkömmlinge fortbestehenden Beeinträchtigung nicht davon ausgehen, dass es dem syrischen Staat auch heute noch darum geht, die von der Volkszählung selbst oder infolge ihrer Abstammung (mittelbar) betroffenen Kurden in Syrien wegen ihrer Ethnie auszugrenzen. Hierfür bestehen nach Auffassung des Senats keine ausreichenden Anhaltspunkte. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist die kurdische Bevölkerung in Syrien - und zwar auch im Gebiet der Jezirah - keiner staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 12.4.2000 - 2 A 466/99.A -; vgl. Nds. OVG, Urt. v. 27.3.2001 - 2 L 2505/98 - juris; OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 11.3.2002 - 3 Q 79/01 -juris); ebenso lässt sich nicht feststellen, dass eine programmatische Politik der Vertreibung, Ausbürgerung oder Ausgrenzung von Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit betrieben wird, selbst wenn gegenüber den 1962 ausgebürgerten bzw. unregistrierten Kurden Vorbehalte verblieben und sie aufgrund ihres Status erheblich benachteiligt sind (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 27.3.2001 a. a. O.).

Die Annahme einer (fortbestehenden) asylrelevanten Verfolgungssituation lässt sich schließlich auch nicht daraus herleiten, dass der syrische Staat den Status quo der durch die Ereignisse von 1962 betroffenen Kurden und ihrer Abkömmlinge unverändert als gegeben hinnimmt und sich (bislang) nicht veranlasst gesehen hat, die von der Volkszählung betroffenen Kurden und ihre Nachkommen wieder einzubürgern.

Des Weiteren lässt sich nach Auffassung des Senats auch nicht feststellen, dass dem Kläger zu 3. bzw. den Personen (und ihren Abkömmlingen), die aufgrund der im Jahre 1962 erfolgten "Ausbürgerung" ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, die syrische Staatsbürgerschaft (unverändert) aus asylrelevanten politischen Gründen vorenthalten wird.

Nach Auffassung des Senats kann jedenfalls auch nicht davon ausgegangen werden, dass die (restriktive) Rechtspraxis syrischer Behörden bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts als Fortsetzung der vormals vom syrischen Staat betriebenen sog. Arabisierungspolitik zu begreifen ist, soweit diese einer asylerheblichen programmatischen politischen Verfolgung gleichgesetzt wird. Zwar wird vom Senat nicht verkannt, dass - und in dieser Weise versteht der Senat auch die diesbezüglichen Ausführungen in den Gutachten von Hajo/Savelsberg (Gutachten v. 19.2.2003 und v. 27.9.2002) - die gegenwärtige Rechtspraxis syrischer Stellen unmittelbar an die Statusentscheidungen der Volkszählung von 1962 anknüpft; auch dürfte davon auszugehen sein, dass das syrische Staatsangehörigkeitsrecht durch die zuständigen Stellen und jeweiligen Amtswalter unverändert willkürlich und restriktiv gehandhabt wird. Insoweit kann die Rechtspraxis im Zusammenhang mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit für Kurden als Fortführung dessen begriffen werden, was mit den Ereignissen im Jahre 1962 begonnen wurde. Indessen lässt sich die gegenwärtige Rechtspraxis bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts nicht als Fortsetzung einer Arabisierungspolitik in dem Sinne verstehen, dass sie etwa unverändert auf eine systematische bzw. programmatische Ausgrenzung der Kurden abzielen würde. Hierfür fehlt es zur Überzeugung des Senats aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials an hinreichenden Anhaltspunkten, zumal wenn man berücksichtigt, dass viele staatenlose bzw. nicht registrierte Kurden zwischenzeitlich die syrische Staatsangehörigkeit (wieder) erworben haben und in der Öffentlichkeit über die Frage einer (Wieder-) Einbürgerung jener Kurden diskutiert wird, die im Jahre 1962 vom Zensus betroffen waren.

Im Übrigen bleibt anzumerken, dass selbst wenn es zuträfe, dass der syrische Staat weiterhin daran interessiert wäre, sich das Gebiet der Yezira volkstumsmäßig einzuverleiben (so Sachverständiger Brocks gem. Urteil d. VG Magdeburg v. 29.7.2003 - 9 A 35/02 MD -, S. 11 UA) und auch im Zusammenhang mit Staatsangehörigkeitsfragen Gesichtspunkte der Volkszugehörigkeit zum Tragen kämen, wie etwa das Verhältnis der kurdischen Minderheit im Verhältnis zu der arabischen Bevölkerung, so vermöchte dies nicht schon die Annahme zu rechtfertigen, die bestehende Rechtspraxis bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts und das Rückkehrverbot für staatenlose Kurden nach illegaler Ausreise sei seiner objektiven Gerichtetheit nach auf das kurdische Volkstum zurückführen. Vielmehr muss in Rechnung gestellt werden, dass Syrien als arabisch geprägter Staat in der Existenz einer starken kurdischen Minderheit eine potentielle Bedrohung sieht. Vor diesem Hintergrund mag es eine Tendenz geben, in der Siedlungspolitik das arabische Element zu stärken. Aus asylrechtlicher Sicht kommt es jedoch allein darauf an, inwieweit sich eine solche arabisch ausgerichtete Politik in einer politischen Verfolgung der Minderheit i. S. des Art. 16 a GG, § 60 Abs. 1 AufenthG - sei es in Form einer individuellen oder Gruppenverfolgung - niederschlägt. Hierfür ist - wie ausgeführt - nichts ersichtlich, und zwar auch nicht für das Gebiet der Yezirah.

(4) Für eine Überprüfung von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG für den Kläger zu 3. sieht der Senat vor dem Hintergrund des bestehenden faktischen Wiedereinreiseverbots nach Syrien ebenfalls keinen Anlass. Grundsätzlich muss sich die rechtliche Überprüfung im Asylverfahren auch auf Abschiebungshindernisse gem. § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG erstrecken. In Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abzuschieben, ist das Bundesamt ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine "Vorratsentscheidung" zu § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG zu treffen, die dann auch der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 10.7.2003 - 1 C 21.02 -, DVBl. 2004, 123, 124). Das Gericht kann von dieser Überprüfung im Ausnahmefall aber auch absehen und sich auf eine Aufhebung der Zielstaatsbestimmung beschränken.

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und sieht einen Anwendungsbereich für den vorliegenden Fall.