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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 09.11.2006 - AN 16 K 06.30287 - asyl.net: M9868
https://www.asyl.net/rsdb/M9868
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Albaner, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Psychose, medizinische Versorgung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

1. Die Voraussetzungen für einen Widerruf sind erfüllt.

Zu Recht ist das Bundesamt davon ausgegangen, dass sich zwischenzeitlich, d.h. nach der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter, die Verhältnisse in Serbien derart geändert haben, dass für den Kläger die Gefahr politischer Verfolgung nicht mehr besteht. Es ist auch nichts dafür ersichtlich geworden, dass dem Kläger aktuell politische Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG droht; dies gilt auch für politische Verfolgung von nichtstaatlicher Seite nach Maßgabe der Erweiterung gem. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG. Albanische Volkszugehörige sind nach derzeitiger Erkenntnis auf dem gesamten Staatsgebiet, Kosovo ist völkerrechtlich (nach wie vor) Teil des Staates Serbien, vor politischer Verfolgung hinreichend sicher (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (Kosovo) vom 29.6.2006). Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe, von einem Widerruf abzusehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, vgl. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG.

2. Die Klage ist jedoch insoweit begründet, als der Kläger begehrt, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 13. März 2006 zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf Serbien vorliegt.

Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln ist in diesem konkreten Fall davon auszugehen, dass die beim Kläger diagnostizierte Erkrankung in Serbien (Kosovo) nicht angemessen behandelt werden kann. Psychische Erkrankungen werden im Kosovo im öffentlichen Gesundheitswesen in der Regel rein medikamentös behandelt, die stationären Behandlungsmöglichkeiten für Psychiatriepatienten sind äußerst begrenzt, aufgrund der geringen Zahl der im öffentlichen Gesundheitswesen praktizierenden Fachärzte drohen noch immer erhebliche Engpässe auch bei der ambulanten psychiatrischen Versorgung (vgl. Lagebericht Kosovo des Auswärtigen Amtes vom 29.6.2006, Nr. IV 1b. bzw. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Auskunft vom 21.7.2006 an das VG Düsseldorf). In den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wird nur mit bestimmten Medikamenten (Psychotherapeutika) therapiert, vgl. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Auskunft vom 21.7.2006 an das VG Düsseldorf. Auch aus den Auskünften des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 10. April 2006 und 1. August 2006 jeweils an das Bundesamt ergibt sich insoweit nichts Anderes bzw. Gegenteiliges.

Mit den im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Attesten bzw. Bescheinigungen des..., Bezirk Oberbayern, Psychiatrisches Krisen- und Behandlungszentrum, wird für den Kläger eine chronisch verlaufende Psychose - deren medikamentöse Therapie mit Aripiprazol hiernach unabdingbar ist, um eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung zu vermeiden - in ausreichender Weise belegt. Das fachärztliche Attest des... vom 17. Februar 2006 benennt die gesundheitlichen Folgen einer Rückkehr dahingehend konkret, dass, wenn die beschriebene notwendige Behandlung nicht oder nur unzureichend fortgesetzt werden könne, dem Kläger eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung mit Zunahme des wahnhaften und halluzinatorischen Erlebens und dann auch nicht auszuschließendem Risiko der krankheitsbedingten Selbstgefährdung droht; auch die Frage der wesentlichen Verschlimmerung im Falle der nicht durch- bzw. weitergeführten notwendigen Behandlung wird ausführlich dargestellt. Insbesondere wurde überzeugend dargelegt, dass der Kläger zwingend behandlungsbedürftig und auf die Einnahme gerade des Medikaments Aripiprazol angewiesen ist (vgl. auch BayVGH, Urteil vom 24.9.2002 - 21 B 98.33759), das nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln nun in Deutschland zugelassen ist und zu einer neuen Klasse der atypischen Neuroleptika zählt.