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Zitieren als:
EGMR, Beschluss vom 16.10.2006 - Nr. 1101/04 - asyl.net: M9921
https://www.asyl.net/rsdb/M9921
Leitsatz:
Schlagwörter: Peru, Haftbedingungen, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, menschenrechtswidrige Behandlung, Auslieferung, Zusicherung, Strafverfolgung, Strafverfahren
Normen: EMRK Art. 3
Auszüge:

Der Beschwerdeführer rügte, dass ihm bei seiner Auslieferung nach Peru eine Misshandlung im Widerspruch zu Artikel 3 drohe, in dem es heißt:

"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Der Gerichtshof erinnert an seine ständige Rechtsprechung, wonach die Auslieferung seitens eines Vertragsstaats ein Problem in Bezug auf Artikel 3 aufwerfen und somit die Verantwortung des betroffenen Staats hinsichtlich der Konvention begründen kann, wenn ernsthafte und unbestreitbare Gründe zu der Annahme vorlägen, dass der Betroffene bei einer Rückführung in den ersuchenden Staat tatsächlich Gefahr laufe, dort einer dieser Bestimmung entgegenstehenden Behandlung unterworfen zu werden. Um eine solche Verantwortung zu begründen, kommt man nicht umhin, die Situation in dem Bestimmungsland vor dem Hintergrund eines Erfordernisses nach Artikel 3 zu bewerten. Gleichwohl geht es hier nicht darum, die Verantwortung dieses Staats nach allgemeinem Völkerrecht auf der Grundlage der Konvention oder in anderer Form festzustellen oder nachzuweisen. Insoweit eine aus der Konvention übernommene Verantwortung vorliegt oder vorliegen kann, ist es diejenige des Vertragsstaats, der eine Auslieferung aufgrund einer Handlung bewirkt, die unmittelbar dazu führt, dass eine Person verbotenen Misshandlungen unterworfen wird (Urteil Soering ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Serie A, Bd. 161, S. 35, Rdnr. 91).

Einzig die Möglichkeit einer Verletzung des Artikels 3 der Konvention, bedingt - beispielsweise - durch die allgemeine unsichere Lage in dem Bestimmungsland, führt nicht an sich zu einem Verstoß gegen diese Bestimmung; der Betroffene muss vielmehr nachweisen, der er der behaupteten Gefahr persönlich ausgesetzt ist (s. u.a. Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 30. Oktober 1991, Serie A, Bd. 215, S. 37, Rdnr. 111). Die Tatsache allein, dass der Betroffene Strafverfolgungsmaßnahmen im Bestimmungsland unterliegt, dürfte kein Problem im Hinblick auf die Konvention aufwerfen. Sollten aber Gründe für die Befürchtung vorliegen, dass eine Auslieferung, um die ausschließlich wegen Straftaten des gemeinen Rechts ersucht wurde, dazu genutzt wird, einen Betroffenen unter Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes wegen politischer Delikte oder einzig wegen seiner politischen Anschauung zu verfolgen, kann die Möglichkeit einer Verletzung des Artikels 3 nicht von vorneherein ausgeschlossen werden (A. ./. Schweiz, Nr. 11933/86, Entscheidung der Kommission vom 14. April 1986, Entscheidungen und Berichte (DR) 46, S. 257, und Altun ./. Deutschland, Nr. 10308/83, Entscheidung der Kommission vom 3. Mai 1983, DR 36, S. 209).

Um festzustellen, ob ernsthafte und unbestreitbare Gründe zur Annahme vorliegen, dass ein tatsächliches Risiko in Form von Behandlungen gegeben ist, die mit Artikel 3 unvereinbar sind, stützt sich der Gerichtshof auf alle Angaben, die ihm vorgelegt werden oder die er sich nötigenfalls von Amts wegen beschafft. In einer solchen Sache trägt der Vertragsstaat eine Verantwortung im Sinne des Artikels 3, weil er eine Person der Gefahr von Misshandlungen ausgesetzt hat. Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr vorliegt, müssen demnach vorrangig die Umstände berücksichtigt werden, von denen dieser Staat zum Zeitpunkt der Auslieferung Kenntnis hatte oder aber haben musste, was den Gerichtshof aber nicht daran hindert, spätere Auskünfte zu berücksichtigen; diese können dazu beitragen, die Vorgehensweise der betroffenen Vertragspartei bei ihrer Würdigung der Begründetheit von Befürchtungen, die von einem Beschwerdeführer geäußert werden, zu bestätigen oder zu widerlegen (s. Cruz Varas u.a. ./. Schweden, Urteil vom 20. März 1991, Serie A Bd. 201, 5. 29-30, Rdnr. 75-76, und Mamatkulov und Askarov ./. Türkei [GC], Nr. 46827/99 u. Nr. 46951/99, Rdnr. 69, CEDH 2005-1). Diesbezüglich möchte der Gerichtshof darauf hinweisen, dass es zwar allgemein von besonderer Bedeutung ist, Zusicherungen oder Garantien von dem Staat zu erhalten, der ein Auslieferungsersuchen stellt, besonders dann, wenn diese gewöhnlich die konkrete Situation des Betroffenen im Bestimmungsland nach erfolgter Auslieferung betreffen und ein wirksames Mittel darstellen können, die Gefahr von Behandlungen im Widerspruch zu Artikel 3 der Konvention auszugrenzen, dass das Vorliegen solcher Zusicherungen die Vertragsstaaten aber nicht an sich davon befreit, deren Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit im Einzelfall angesichts des absoluten Stellenwerts zu prüfen, welche die nach dieser Bestimmung zugesicherten Rechte darstellen (vorgenannte Sache Soering, Rdnr. 88, s. auch den Allgemeinen Tätigkeitsbericht des CPT vom 22. September 2005).

Der Gerichtshof stellt fest, dass das Oberlandesgericht München und das Bundesverfassungsgericht die Argumente des Beschwerdeführers geprüft und schließlich gefolgert haben, dass bezüglich des Beschwerdeführers keine hinlänglich erhöhte Gefahr vorgelegen habe, Folter oder unmenschlicher Behandlungen unterworfen zu werden. Sie sind auf der Grundlage von jüngsten Berichten des Auswärtigen Amts und von Amnesty International zur Lage in Peru zu diesen Schlussfolgerung gelangt, und nachdem sie seitens der peruanischen Behörden Zusicherungen erhalten hatten, dass der Beschwerdeführer weder aus politischen, militärischen oder religiösen Gründen verfolgt noch in eine Haftanstalt verbracht würde, in der der Mindeststandard der Vereinten Nationen für die Behandlung von Strafgefangenen nicht erfüllt wird. Die deutschen Gerichte haben diese Zusicherungen für ausreichend und überzeugend erachtet und festgestellt, es gäbe keine Hinweise für die Annahme, dass die peruanischen Behörden diese Zusicherungen nicht einhalten würden. Der Gerichtshof hebt insbesondere hervor, dass die Zusicherungen mit den Erfahrungen der deutschen Behörden in Peru übereinstimmen. Aus dem Schreiben des Auswärtigen Amts vom 4. März 2003 geht in der Tat hervor, dass die von der Deutschen Botschaft in Peru erteilten Auskünfte sich auf Besuche in einer der beiden Haftanstalten stützten, in denen der Beschwerdeführer untergebracht werden sollte, ferner auf Angaben zur anderen Vollzugsanstalt sowie auf Erfahrungen mit zwei peruanischen Staatsangehörigen, die 2001 bzw. 2002 von Deutschland nach Peru ausgeliefert worden sind.

Nach Ansicht des Gerichtshofs haben die deutschen Gerichte zu Recht erwogen, dass die Zusicherungen geeignet waren, die Gefahr einer politischen Verfolgung und Unterbringung unter unmenschlichen Haftbedingungen zu unterbinden. Er unterstreicht im Übrigen, dass Peru die Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs erneut im Jahr 2001 anerkannt hat (s. sinngemäß Penafiel Salgado ./. Spanien (Entsch.), Nr. 65964/01, 16. April 2002). Er stellt i. Ü. fest, dass der Beschwerdeführer in der Tat in die Haftanstalt San Jorge in Lima verbracht wurde, er im Juli 2005 gemäß den Rechtsvorschriften aus der Haft entlassen wurde, weil die per Gesetz vorgesehene Höchstdauer für die Untersuchungshaft erreicht war und dass weder der Beschwerdeführer noch sein Rechtsanwalt in Peru dem Gerichtshof von Behandlungen im Widerspruch zu Artikel 3 der Konvention berichtet haben.

Unter diesen Voraussetzungen folgert der Gerichtshof, dass eine Verletzung dieser Bestimmung nicht vorliegt, diese Rüge offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 und 4 der Konvention zurückzuweisen ist.