OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.04.2007 - 19 B 117/07 - asyl.net: M9994
https://www.asyl.net/rsdb/M9994
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Bleiberechtsregelung 2006, Täuschung von einigem Gewicht, Scheinehe, Ursächlichkeit, Erlasslage
Normen: AufenthG § 23
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Ohne Erfolg verfolgen die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ihre Auffassung weiter, von der Bleiberechtsanordnung des Innenministeriums NRW (BAO NRW) vom 11. Dezember 2006 sei die Antragstellerin zu 1. nicht nach deren Nr. 1.4.2 ausgeschlossen. Nach Satz 1 dieser Bestimmung sind Ausländer von der BAO NRW ausgeschlossen, die die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben. Die Antragsteller bestreiten im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr, dass die Antragstellerin zu 1. eine solche Täuschung begangen hat, indem sie der Ausländerbehörde eine eheliche Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Staatsangehörigen T. H. vorgespiegelt hat (Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2006 - 19 B 2493/06 -). Sie machen vielmehr geltend, diese Täuschung sei nicht im Sinne der Nr. 1.4.2 Sätze 2 und 3 BAO NRW bei "einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalles" "von einigem Gewicht".

Diese Rüge greift nicht durch. Die genannte Täuschung ist im vorliegenden Fall allein schon aufgrund der Dauer des täuschungsbedingt erreichten Aufenthalts "von einigem Gewicht". Die Antragstellerin zu 1. hat sich über etwas mehr als fünf Jahre hinweg ausschließlich auf der Grundlage erschlichener Aufenthaltserlaubnisse im Bundesgebiet aufgehalten, nämlich von der Antragstellung am 16. November 2000 bis zur Rücknahmeverfügung vom 22. November 2005. Ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund stand ihr während dieser Zeitspanne nicht zu.

Die Antragsteller dringen nicht mit ihrer Beschwerderüge durch, eine Täuschung sei nur dann "von einigem Gewicht", wenn sie zu einer Verzögerung oder Verhinderung der Aufenthaltsbeendigung geführt habe.

Denn das Merkmal "von einigem Gewicht" in Nr. 1.4.2 Satz 2 BAO NRW setzt nicht ausnahmslos voraus, dass der Ausländer mit seiner Täuschung eine Verzögerung seiner Aufenthaltsbeendigung herbeigeführt hat.

Dieses Verständnis ist zum Einen dann maßgeblich, wenn man die BAO NRW als Verwaltungsvorschrift nach Maßgabe der vom Innenministerium NRW verbindlich vorgegebenen Verwaltungspraxis anwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 19.99 -, Juris, Rdn. 17, BVerwGE 112, 63 (67)).

Nach der aktuellen Fassung der für die Verwaltungspraxis verbindlichen Vorgaben kann die Kausalität zwischen Täuschungshandlung und Nichtbeendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet ein bedeutendes Kriterium für die Beurteilung der Frage darstellen, ob eine Täuschung von einigem Gewicht vorliegt. Sie ist aber kein zwingend erforderliches Kriterium. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalles kann insbesondere wiederholten oder über mehrere Jahre hinweg aufrecht erhaltenen Täuschungshandlungen auch dann ein zum Ausschluss führendes Gewicht zukommen, wenn der Betreffende aus anderen Gründen (z. B. wegen der Weigerungshaltung von UNMIK) nicht hätte abgeschoben werden können (IM NRW, Erlass vom 22. März 2007 - 15-39.08.01-3 -, Antwort zu Nr. 1.4.3 "Täuschung von einigem Gewicht").

Nichts Anderes ergibt sich zum Anderen, wenn man die Vorschriften der BAO NRW als Rechtsnormen qualifizieren und folgerichtig auf deren Konkretisierung die üblichen Auslegungsmethoden anwenden würde (Offengelassen zu § 23 AufenthG: OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2006 - 18 A 984/06 -, Juris, Rdnrn. 7 bis 9; a. A. zu § 32 AuslG: BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 19.99 -, Juris, Rdn. 17, BVerwGE 112, 63 (67), sowie zu § 23 AufenthG: Marx, ZAR 2007, 43).

Weder der Wortlaut der Nr. 1.4.2 BAO NRW noch deren systematischer Zusammenhang noch deren Zweck rechtfertigen oder gebieten es, eine Täuschung nur dann als "von einigem Gewicht" zu bewerten, wenn sie kausal für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet war.