OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.03.2007 - 19 B 2309/06 - asyl.net: M9995
https://www.asyl.net/rsdb/M9995
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Aufenthaltstitel, Fortgeltungsfiktion, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Erwerbstätigkeit, Bescheinigung, Form, Formular, Duldungsbescheinigung, Erwerbstätigkeit
Normen: AufenthG § 84 Abs. 2 S. 2; AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 28 Abs. 5; AufenthG § 4 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 61 Abs. 1; BeschVerfV § 10
Auszüge:

Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung über die Wirkungen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hat.

Der Anwendbarkeit des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG steht nicht entgegen, dass die seinerzeit auf Grundlage von § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erteilte Aufenthaltserlaubnis ein Aufenthaltstitel alten Rechts war, dessen Geltungsdauer schon vor Inkrafttreten des AufenthG abgelaufen war, ohne dass die dadurch entstandene Lücke in der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers durch die aufschiebende Wirkung der Klage geschlossen worden wäre (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG/§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Sinn und Zweck der eingeschränkten Fortbestandsfiktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG fordern deren Anwendung auch auf Aufenthaltstitel alten Rechts, die dem Inhaber in Verbindung mit einer zusätzlich erteilten Arbeitsgenehmigung die Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit ermöglichten (im Ergebnis ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 21. Oktober 2005 - 4 Bs 222/05 -, InfAuslR 2006, 60, Juris, Rdn. 13 ff).

Denn auch für solche Aufenthaltstitel haben die §§ 4, 39 AufenthG das vor Inkrafttreten des AufenthG grundsätzlich vorgesehene doppelte Genehmigungserfordernis (Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung) durch das nunmehr auf den Aufenthaltstitel begrenzte Genehmigungserfordernis ersetzt. Das bestätigt § 105 Abs. 2 AufenthG, wonach eine vor Inkrafttreten des AufenthG erteilte Arbeitsberechtigung als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung fortgilt. Nach dieser Vorschrift gilt im Fall des Antragstellers die unbefristete Arbeitserlaubnis als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung fort, die ihm das Arbeitsamt B unter dem 23. Oktober 2000 erteilt hat.

Die gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als fortbestehend fingierte Aufenthaltserlaubnis berechtigt kraft Gesetzes auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (entsprechend § 28 Abs. 5 AufenthG).

Der Senat lässt offen, ob Entsprechendes gilt, wenn der Ausländer im Bundesgebiet einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit verfolgt.

Der Antragsteller hat einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner ihm diese begrenzte Fortbestandsfiktion bescheinigt. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, wonach jeder Aufenthaltstitel erkennen lassen muss, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist.

Dem steht nicht die Auffassung des Antragsgegners entgegen, der in § 58 AufenthV aufgeführte Katalog der Vordruckmuster sei abschließend und er habe kein Vordruckerfindungsrecht. Dies schließt aber nicht aus, die Bescheinigung über die Fortbestandsfiktion nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG formlos zu erteilen.

Die Beschwerde ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht den Antragsgegner ferner in Nr. 1 Satz 2 seines Beschlusstenors zur Ausstellung einer Duldungsbescheinigung mit dem Zusatz verpflichtet hat:

"Aussetzung der Abschiebung mangels Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 30. September 2005 (8 L 106/05). Der Aufenthalt des Antragstellers ist mangels Anwendbarkeit des § 61 Abs. 1 AufenthG nicht auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt."

Zunächst erweckt sie überhaupt den Eindruck, der Antragsteller sei ein geduldeter Ausländer, was materiell-rechtlich nicht zutrifft. Die Duldung als vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60 a AufenthG setzt, wovon auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, die Zulässigkeit der Abschiebung und damit nach § 58 Abs. 1 AufenthG eine vollziehbare Ausreisepflicht voraus. Der Antragsteller ist aber gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht (mehr) vollziehbar ausreisepflichtig, nachdem das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. September 2005 (8 L 106/05) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 1. April 2003 angeordnet hat.

Ferner erweckt eine "Duldungs"-Bescheinigung den Eindruck, der Aufenthalt des Antragstellers sei zumindest nach der abstrakten Gesetzeslage räumlich auf das Gebiet des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beschränkt (§ 61 Abs. 1 AufenthG). Dies ist, wie oben ausgeführt, ebenfalls unzutreffend, da § 61 Abs. 1 AufenthG mangels vollziehbarer Ausreisepflicht nicht zur Anwendung kommt. Eine Bescheinigung darüber, dass der Aufenthalt frei von dieser Beschränkung ist, ist nach dem AufenthG nicht vorgesehen. Eine Notwendigkeit, eine solche Bescheinigung dennoch zu erteilen und hierfür von den rechtlichen Voraussetzungen der Duldung und ihrem Regelungsgehalt abzusehen, ist nicht ersichtlich. Sie ergibt sich nicht aus der vom Verwaltungsgericht verfolgten Ziel, dem Antragsteller Schwierigkeiten bei etwaigen Kontrollen zu ersparen. Solchen Schwierigkeiten ist durch die formlose Bescheinigung der Wirkungen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hinreichend begegnet.

Schließlich erweckt eine "Duldungs"-Bescheinigung den Eindruck, der Antragsteller bedürfe zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung eine Beschäftigungserlaubnis nach § 10 BeschVerfV. Auch dieser Eindruck entspricht nicht der materiellen Rechtslage.