VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 18.11.1998 - 10 TZ 2923/98 - asyl.net: R108
https://www.asyl.net/rsdb/R108
Leitsatz:
Schlagwörter: Bosnien-Herzegowina, D (A), Bosnier, Moslems, Alleinstehende Frauen, Kinder, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Moslemisch-Kroatische Föderation, Versorgungslage, Unterbringung, Sammelunterkünfte, Beschwerdezulassungsantrag
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 1. Juli 1998 ist zulässig und auch begründet, denn es liegt der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO vor.

Zutreffend wenden die Antragsteller gegen die erstinstanzliche Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ohne Berücksichtigung ihrer Sondersituation verneint. Das Verwaltungsgericht hat aus Informationsberichten des UNHCR referiert und angenommen, es könne keine Rede davon sein, dass die Antragsteller in Kljuc ( Föderation ) konkreten Gefährdungen ausgesetzt wären. Entscheidend seien auch nicht die konkreten Gefährdungen im Heimatort, sondern die Lage im Heimatstaat insgesamt. Aufgrund der für sie möglichen Registrierung könnten die Antragsteller notfalls Nahrungsmittelhilfe erhalten, sofern sie sich bei der örtlichen Vertretung des Kantonsministeriums als bedürftige Personen anmeldeten.

Die hiergegen gerichteten Einwände der Antragsteller lassen in der Tat ernstliche Zweifel daran aufkommen, ob ihnen, einer alleinstehenden Frau bosniakischer Volkszugehörigkeit und ihren zwei minderjährigen Kindern, die seit über 20 Jahren in einem anderen Teil Ex-Jugoslawiens lebten bzw. dort geboren sind, die " Rückkehr " in Gebiete der Föderation zugemutet werden kann, in denen keine Familienangehörigen leben, die sie unterstützen könnten.

Die von den Antragstellern aufgezeigten und weitere dem Senat vorliegende und in das Verfahren eingeführte Erkenntnisquellen deuten darauf hin, dass die Frage der Registrierung und die Folgen verweigerter Registrierung zumindest in Bezug auf einige Problemgruppen einer erneuten Überprüfung unterzogen werden müssen. In der von den Antragstellern vorgelegten Ausarbeitung des UNHCR Sarajevo - Protection Unit - zur Registrierungspraxis in BiH vom Juni 1998 werden Fälle von nicht aus der Föderation, d.h. hier aus R. S. stammenden Bosniaken dokumentiert, deren Bemühungen, sich von den zuständigen Zentren für Vertriebene als solche registrieren zu lassen, erfolglos waren.

Der UNHCR Sarajevo stellt allgemein fest, in den Stadtgemeinden Tuzla und Lukavac könnten sich aus der R. S. stammende Rückkehrer selbst dann nicht registrieren lassen, wenn sie aus eigener Initiative eine Unterkunft fänden. Die zitierten und andere Angaben in der Ausarbeitung des UNHCR Sarajevo decken sich mit den Berichten Betroffener, die dem Beauftragten der Hessischen Landesregierung für die Rückkehr der bosnischen Kriegsflüchtlinge zugetragen worden sind.

Rückkehrer, die nicht registriert werden und auf eigene Initiative kein Unterkommen finden, müssen sich offenbar darauf einrichten, auf unabsehbare Zeit in einer der Sammelunterkünfte zu leben, zumal dann, wenn es sich - wie bei den Antragstellern - um Personen handelt, die nicht "über genügend Selbsthilfekapazitäten verfügen, die sie in die Lage versetzten, zerstörten Wohnraum, in den immer Rückkehrer ausweichen wieder herzurichten". In den Sammelunterkünften herrschen indes teilweise sehr schlechte Bedingungen ( AA, Lagebericht September 1997 ), die sich durch die Flüchtlingswelle aus dem Kosovo noch eher verschärfen werden. Laut UNHCR Sarajevo ( Juni 1998 ) haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Bewohner der Unterkünfte unter extremen Bedingungen leben und ihre geistige Gesundheit gefährdet ist ( S. 9 ). Dies dürfte jedenfalls für Angehörige der Problemgruppe, zu der die Antragsteller gehören, zutreffen, sodass die Zulassung der Beschwerde im vorliegenden Fall der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht entgegensteht.