VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 17.11.1998 - 1 K 332/93.A - asyl.net: R14
https://www.asyl.net/rsdb/R14
Leitsatz:
Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Militär, Folter, LTTE, Verdacht der Mitgliedschaft, Haft, Gruppenverfolgung, Situation bei Rückkehr, Interne Fluchtalternative, Verfolgungssicherheit, Existenzminimum, Behinderte, Psychische Erkrankung, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6 S.1
Auszüge:

Jedenfalls für diejenigen Tamilen, die nicht unter konkretem LTTE- Verdacht stehen, existiert nach wie vor im Großraum Colombo eine inländische Fluchtalternative. Sie werden dort zwar keine idealen Lebensverhältnisse vorfinden, aber ein Leben ohne Existenzfurcht bestreiten können, sofern nicht ausnahmsweise in der Person liegende Besonderheiten dies in Frage stellen.

Der Gruppe der auffälligen, gefährdeten Tamilen gehört der Beigeladene nicht an. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Beigeladene und dessen Mutter allein vor den Bürgerkriegswirren geflohen sind ( vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen im Urteil der Kammer vom 21.09.1998 im Rechtsstreit der Mutter des Beigeladenen 1 K 13/ 94. A ) und der Beigeladene seit 1987 keine nennenswerten Probleme mit staatlichen Kräften hatte. Die geschilderten Ereignisse um die Mitnahme durch indische Soldaten und die dort wohl vorgenommenen Folterungen begründen kein Zugriffsinteresse srilankischer Behörden noch heute. Er hatte nie Beziehungen zur LTTE und geriet nie in konkreten Verdacht, diese Organisation zu unterstützen.

Vielmehr ist allenfalls fraglich, ob der Beigeladene im Raum Colombo wegen seiner ohne weiteres auffallenden geistigen Behinderung, die auch durch das auf gerichtlichen Beschluß eingereichte Gutachten von Dr. Schmelzer bestätigt wurde ( ausgeprägtes autistisches Syndrom ), eine menschenwürdige Existenzmöglichkeit finden und unter zumutbaren Bedingungen leben könnte. Zwar nimmt das OVG des Saarlandes in ständiger Rechtsprechung ( vgl. nur Urteil vom 5.11.1996, 1 R 145/ 96 ) an, daß eine Ausnahme vom Regelfall der inländischen Fluchtalternative im Großraum Colombo dann vorliegen kann, wenn wegen einer Gebrechlichkeit, Hilfsbedürftigkeit ( Witwe mit Kindern ) oder dem Alter ( außerhalb der Arbeitsfähigkeit ) ein Leben unterhalb des Existenzminimums oder eine Verelendung zu befürchten ist. Nach Auswertung der Dokumentation und unter Beachtung der gesamten Umstände des Einzelfalls ist hiervon im Fall des Beigeladenen aber nicht auszugehen.

Die für das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative wesentliche Situation der Minderjährigen, Waisen, Behinderten, Pflegebedürftigen und älteren Personen beschreibt die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Lüneburg vom 14.03.1997. Es existieren hiernach 159 staatliche und 25 bis 30 kirchliche oder karitative Waisenhäuser in Sri Lanka, wo Personen auch LTTE- sicher untergebracht werden könnten. Hinzu kommen 30 bis 40 Behindertenheime, und das Sozialministerium regelt die Unterbringung und forscht nach Angehörigen der Familie des Betroffenen. In einer Ergänzung des Lageberichts vom 17.03.1997, die das Datum des 13.05.1997 trägt, erweitert das Auswärtige Amt seine Angaben dahingehend, daß jedenfalls für zurückkehrende Kinder, sofern sie nicht mit mehreren Hundert ankommen, genügend Heimplätze zur Verfügung stehen und erfahrungsgemäß die meisten Rückkehrer Unterkunft bei Verwandten und Freunden finden.

Keller-Kirchhoff ( an das OVG Lüneburg vom 23.01.1997 ) relativiert zwar die Frage der Unterbringungsmöglichkeiten für erkrankte und behinderte Rückkehrer dahingehend, daß kein behindertengerechter Wohnraum zur Verfügung stehe, er führt aber auch aus, daß die Situation in Colombo besser sei als im übrigen Land.

Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes gibt es zwar keine speziellen Wiedereingliederungsprogramme für rückkehrende Asylbewerber. Der Staat stelle aber ein System sozialer Absicherung bereit, das Hilfe sowohl für vorübergehend Einkommens- und Unterhaltslose als auch infolge Behinderung, Krankheit, Alter, Bürgerkrieg oder Naturkatastrophen Bedürftige umfasse.

Projiziert man diese Angaben auf den vorliegenden Fall, so ist zum einen von Bedeutung, daß der lediglich geistig behinderte Beigeladene keinen behindertengerechten Wohnraum benötigt, er somit auf jeden Fall in einem der von dem Sozialministerium betreuten Behindertenheime unterkommen kann und er deshalb ein Leben ohne Existenznot wird bestreiten können.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein, ob dem Beigeladenen ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zusteht bzw. ob ihm das sog. kleine Asyl des § 51 Abs. 1 AuslG zugesprochen wird. Nur in diesem abgesteckten Rahmen, innerhalb dessen die Frage nach einer politischen Verfolgung zu beantworten ist, ist das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative von Bedeutung. Das Gericht muß und kann an dieser Stelle nicht klären, ob dem Beigeladenen, gegen den keine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung erlassen wurde und der derzeit nicht ausreisepflichtig ist, aus anderen als in politischer Verfolgung gründenden Rechten, wie beispielsweise aus seinem Recht auf Verbleib bei seiner Familie oder aus gesundheitlichen Notwendigkeiten, die aufgrund des aufschlußreichen ärztlichen Gutachtens durchaus ernstgenommen werden ( alles von politischer Verfolgung unabhängige Rechte ) ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland oder das Recht auf verbleiben bei seiner ebenfalls nicht ausreisepflichtigen Mutter zusteht. Bei unterstellter Ausreise wegen Vorverfolgung und ebenfalls unterstellter noch heutiger Gruppenverfolgung von Tamilen in übrigen Landesteilen Sri Lankas ist es asylrechtlich ausreichend, daß der Kläger den Ort der Fluchtalternative mangels Zugriffsinteresses erreichen kann und dort zu leben in der Lage ist. Dies ist aber allein wegen der Existenz der Behindertenheime der Fall, zumal nichts dafür zu ersehen ist, daß dort keine Plätze zu finden wären.

Für das noch durchzuführende Verwaltungsverfahren nach § 53 AuslG ( vgl. § 39 AsylVfG ) ist zu beachten, daß die Erkrankung des Beigeladenen zu der Annahme eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG, das die Beklagte zu beachten hätte, führen kann. In seiner Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht überzeugend dargelegt, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bestehen kann, wenn sich die Krankheit eines Ausländers nach der Abschiebung erheblich verschlimmern würde, weil im Zielstaat der Abschiebung wegen eines unterentwickelten Gesundheitssystems oder aus sonstigen Gründen eine zureichende Behandlungsmöglichkeit der Krankheit nicht bestünde.

Im übrigen dürfte die Überprüfung eines Abschiebungshindernisses nach Art. 8 EMRK in Betracht kommen, wenn ein naher Verwandter, der einen Aufenthaltstitel hätte, den Beigeladenen in der Bundesrepublik Deutschland versorgen könnte. Art. 8 EMRK geht nämlich hinsichtlich des Schutzes der Familie weiter als Art. 6 Abs. 1 GG und ist in besonderen Fällen auch dann zu beachten, wenn die familiäre Schutzgemeinschaft in einem entfernteren Familienverhältnis wahrgenommen wird ( vgl. hierzu VGH Mannheim, Urteil vom 15.05.1996, A 13 S 1431 / 94, NVwZ- Beil. 97, 18 ). Ein solches Abschiebungshindernis wäre aber kein sog. zielstaatbezogenes, das im Rahmen des § 53 Abs. 4 AuslG zu prüfen allein in den Kompetenzbereich der Beklagten fällt

(BVerwG, Urteil vom 11.11.1997, 9 C 13. 96, DVBl. 1998, 283), sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das die Gemeinsame Ausländerbehörde vor einer tatsächlich geplanten Abschiebung, die ohne eine derzeit nicht existierende Abschiebungsandrohung im übrigen nicht möglich wäre, sorgfältig unter Berücksichtigung der konkreten Situation zu überprüfen hätte.