VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 31.05.1998 - 4 B 98.32693 - asyl.net: R3197
https://www.asyl.net/rsdb/R3197
Leitsatz:
Schlagwörter: Sierra Leone, Situation bei Rückkehr, Bürgerkrieg, Extreme Gefahrenlage, Menschenrechtsverletzungen, Versorgungslage
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung des Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (vgl. § 24 Abs. 2 AsylVfG).

Eine extreme allgemeine Gefahrenlage liegt in Sierra Leone zur Zeit landesweit vor.

Ende Dezember 1998 erzielten die Einheiten der RUF weitere Gebietsgewinne gegenüber den die Regierung Kabbah stützenden Verbänden. Am 8. Januar 1999 eroberten sie die Hauptstadt Freetown. Damit steigerten sich die Greueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung zu einem bisher nicht bekannten Höhepunkt. Die bisher bereits im Lande bestehenden Flüchtlingsströme von mehreren hunderttausend Menschen überschritten die Grenzen in die Nachbarstaaten Guinea und Liberia. Die Rebellen plünderten Freetown und zündeten die Häuser an. Ganze Stadtteile wurden in Schutt und Asche gelegt.

Nach der Eroberung Freetowns durch die Einheiten der RUF wurden die Überreste von mehr als tausend getöteten Menschen aus den Straßen geräumt. Die Bergung von weiteren Leichen scheiterte an Heckenschützen der RUF. Beim Vormarsch der Rebellen auf Freetown sollen mindestens 3.000 Zivilisten getötet worden sein. Humanitäre Hilfsorganisationen können keine Hilfe mehr leisten. In Freetown mangelt es an Wasser und Lebensmitteln. Elternlose, in den Straßen umherirrende Kinder werden von den Rebellen als Kindersoldaten rekrutiert. 4.000 Kindersoldaten sollen nach Angaben von Unicef in Sierra Leone verschollen sein. Mädchen werden genauso als Kindersoldatinnen rekrutiert und regelmäßig in den Lagern der Rebellen von den Kämpfern vergewaltigt und zu sonstigen Diensten gezwungen. Es wird vermutet, daß etwa ein Drittel aller minderjährigen Kinder in Sierra Leone Mädchen sind. Aber auch die jetzige Regierung und die ECOMOG scheuen nicht davor zurück, Jungen und Mädchen als Kämpfer gegen die Rebellen in ihren Reihen einzusetzen. Auch sie führen summarische Hinrichtungen von Gefangenen durch, die sie für Rebellen halten. Selbst sierraleonische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden von der ECOMOG wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit den Rebellen festgehalten. Die meisten von ihnen sollen den Berichten zufolge in der Haft geschlagen worden sein (ai v. 4.2.1999: Sierra Leone, Die Menschenrechtssituation und ihre Auswirkungen auf den asyl- und ausländerrechtlichen Schutz von Flüchtlingen). Auch im März 1999 gingen die Greueltaten weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 10.3. 1999: "Sierra Leone: Wer Glück hat, den verstümmeln die Rebellen nur. Das Land der Macheten.").

Würde der Kläger in dieser extremen Gefahrensituation nach Sierra Leone abgeschoben, so würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit unerträgliche Lebensverhältnisse vorfinden, etwa verstümmelt oder gar getötet werden. Ihm ist deshalb Schutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vor einer Abschiebung nach Sierra Leone zu gewähren.