VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.1999 - A 9 S 47/98 - asyl.net: R3233
https://www.asyl.net/rsdb/R3233
Leitsatz:

Einem äthiopischen Staatsangehörigen, der über Jahre hinweg in Deutschland in der EPRP und/oder im Unterstützungskomitee für die EPRP herausgehobene Positionen bekleidet hat und in öffentlichen Versammlungen als Redner aufgetreten ist, droht bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Äthiopien, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, EPRP, Funktionäre, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: GG Art. 16a
Auszüge:

Einem äthiopischen Staatsangehörigen, der über Jahre hinweg in Deutschland in der EPRP und/oder im Unterstützungskomitee für die EPRP herausgehobene Positionen bekleidet hat und in öffentlichen Versammlungen als Redner aufgetreten ist, droht bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG (amtlicher Leitsatz).

Der Senat ist auch davon überzeugt, daß den äthiopischen Sicherheitsbehörden der Kläger in seiner Funktion und seiner politischen Einstellung sowie mit seinen Aktivitäten bekannt ist. Jedenfalls in jüngerer Zeit geht das Auswärtige Amt - wohl anders als in seiner Auskunft vom 16.8.1996 an das VG Oldenburg und im Lagebericht vom 24.4.1997 - davon aus, daß der äthiopische Geheimdienst über ein teilweise funktionierendes Informantensystem im Ausland verfügt und sich auf die Observation führender Köpfe oppositioneller Organisationen zu konzentrieren scheint (Lagebericht vom 9.4.1998 und auch schon Auskunft vom 20.6.1996 an VG Wiesbaden); der äthiopischen Regierung sei bekannt, wer tatsächlich eine führende Position innerhalb einer wichtigen Exil-Partei einnehme und wer nicht (Auskunft vom 7.4.1998 an VG Berlin). In seiner Auskunft vom 28.5.1996 an VG Würzburg führt das Auswärtige Amt aus, es sei davon auszugehen, daß der äthiopische Sicherheitsdienst sich (lediglich) auf die Führer jener Oppositionsparteien konzentriert, die durch gewaltsame Anschläge in Äthiopien in Erscheinung getreten sind.

Nach Einschätzung von amnesty international beobachtet der äthiopische Geheimdienst die exilpolitischen Aktivitäten seiner Staatsangehörigen in Deutschland, wozu selbstverständlich auch gegen die Regierungspolitik gerichtete Demonstrationen und Veranstaltungen gehörten, sehr genau, es sei auch nicht auszuschließen, daß es innerhalb der EPRP Informanten des äthiopischen Geheimdienstes gebe (Stellungnahmen vom 27.8.1998 an VGH Kassel, vom 18.6.1998 an VGH Baden-Württemberg, vom 4.6.1997 an VG Ansbach und vom 12.6.1996 an VG Frankfurt/Oder). In den beiden zuletzt genannten Auskünften ist darüber hinaus ausgeführt, je größer die exilpolitischen Aktivitäten eines Oppositionellen seien, desto mehr wachse die Gefahr, daß dies dem äthiopischen Geheimdienst bekannt werde.

Das Institut für Afrika-Kunde legt dar, es sei im allgemeinen davon auszugehen, daß exilpolitische Aktivitäten äthiopischer Staatsbürger sicherheitsdienstlich mit den üblichen Methoden beobachtet würden, die politischen Aktivisten seien dem Sicherheitsdienst in der Regel namentlich bekannt (Stellungnahmen vom 23.11.1998 an VGH Baden-Württemberg und vom 22.5.1998 an VG Kassel). In seiner Stellungnahme vom 17.9.1996 an VG Würzburg führt das Institut für Afrika-Kunde aus, es sei als wahrscheinlich anzunehmen, daß den äthiopischen Behörden die exilpolitischen Aktivitäten der in Deutschland lebenden äthiopischen Staatsangehörigen bekannt seien, auch wenn sich eine systematische Beobachtung solcher Aktivitäten nicht eindeutig beweisen ließe. Je häufiger jemand öffentlich in Erscheinung trete, desto wahrscheinlicher sei seine Erfassung.

Schließlich geht auch der UNHCR davon aus, daß äthiopische Behörden die Aktivitäten der hauptsächlich im Ausland aktiven Oppositionsparteien sehr genau verfolgten (Stellungnahme vom 23.2.1996 an OVG Koblenz) und der BND legt dar (Stellungnahme vom 27.11.1997 an VGH Baden-Württemberg), es sei anzunehmen, daß die äthiopische Botschaft in Bonn exilpolitische Aktivitäten sehr wohl registriere und beobachte, auch könnten Redner auf politischen Veranstaltungen den äthiopischen Behörden namentlich bekannt werden.

Angesichts der übereinstimmenden Stellungnahmen verschiedener sachverständiger Stellen ist der Senat überzeugt, daß den äthiopischen Sicherheitsbehörden der Kläger namentlich sowie seine Aktivitäten und Führungspositionen innerhalb der Exil-EPRP bekannt sind. Den gegen diese Annahme sprechenden Ausführungen des Auswärtigen Amtes mißt der Senat keine ausschlaggebende Bedeutung zu, zumal das Auswärtige Amt selbst in anderen Auskünften eine abweichende Auffassung vertritt.