OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Urteil vom 04.05.1999 - 3 KO 262/98 - asyl.net: R3457
https://www.asyl.net/rsdb/R3457
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von aus dem Nordsudan stammender Christen von 1989 bis 1996. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Sudan, Christen, Kopten, Nordsudan, Studenten, Missionierung, Bedrohung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, Religiös motivierte Verfolgung, Politische Entwicklung, Diskriminierung, Religiöses Existenzminimum, Verfolgungsdichte, Verfolgungsprogramm, Scharia, Hudud-Strafen, Strafverfolgung, Zwangsumsiedlung, Objektive Nachfluchtgründe, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

Die Klägerin ist nicht politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG.

Bei zusammenfassender Würdigung des Gesamtgeschehens läßt sich nicht feststellen, daß die aus dem Nordsudan stammenden Christen in dem zu würdigenden Zeitraum von 1989 bis 1996 einer Gruppenverfolgung ausgesetzt waren.

Pogrome haben gegen die christliche Bevölkerung nicht stattgefunden. Es hat auch keine so dicht und eng gestreuten Verfolgungshandlungen gegeben, daß jeder Christ zu Recht befürchten müßte, selbst Opfer von Ausschreitungen zu werden. Die feststellbaren und vereinzelt nur nachweisbaren Angriffe, soweit sie asylerheblich sind, richten sich nicht unterschiedslos gegen die Bevölkerungsgruppe der Christen, sondern hauptsächlich gegen kirchliche Mitarbeiter, die in der Öffentlichkeit - etwa in der Flüchtlingshilfe, Gemeinde- oder Missionsarbeit - tätig waren.

Es gibt auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsprogramms.

Ein zielgerichtetes und systematisches Vorgehen des Staates mit dem Ziel, die christliche nordsudanesische Glaubensgemeinschaft zu vertreiben oder ihr das Existenzrecht in anderer Weise zu nehmen, ist nicht erkennbar.

Dieser Einschätzung steht die Einführung der Scharia mit ihren drakonischen hudud-Strafen nicht entgegen. Zum einen bezog sich der Strafrechtskatalog zu einem überwiegenden Teil auf gewöhnliche kriminelle Verhaltensweisen. Zum anderen fand die Scharia im Nordsudan auf alle Bürger gleichermaßen und nicht nur auf die christliche Bevölkerung Anwendung. Den Straftatbestand der Apostasie (Abkehr vom Islam) konnten naturgemäß nur Moslems begehen.

Es kann auch nicht hinreichend sicher festgestellt werden, daß die Strafanwendung zu einem überwiegenden Teil Christen betraf und etwa zielgerichtet als Instrument zur physischen Vernichtung oder zur Vertreibung der nordsudanesischen Christen eingesetzt wurde. Zwar vertrat das Auswärtige Amt 1992 die Auffassung, daß Christen - beim Kauf von Lebensmitteln auf dem Schwarzmarkt - häufiger und leichter bestraft würden als Moslems. Eine auf asylrelevanten Merkmalen beruhende diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis ließ sich aber nicht ermitteln. Gesetze, Verordnungen und Zuständigkeiten würden teilweise willkürlich ausgelegt, wobei die Willkür jeden treffen könne. Südsudanesen, das heißt Mitglieder nichtarabischer Stämme, seien dabei eher einer Willkür ausgesetzt als etwa Nordsudanesen.

Auch die Berichte über Zwangsumsiedlungen tausender südsudanesischer Flüchtlinge lassen keinen Rückschluß auf ein staatliches Verfolgungsprogramm zu, das sich gegen die christliche Bevölkerungsminderheit des Nordsudan richtete. Soweit in den Flüchtlingslagern die Nahrungsmittelhilfe von der Bereitschaft der Hilfsbedürftigen abhängig gemacht wurde, sich zum Islam zu bekennen und in "Umerziehungslagern" Kinder und Jugendliche zwangsweise zum Islam bekehrt wurden, waren davon die im Nordsudan beheimateten Christen nicht betroffen.

Nach der Machtergreifung der Islamisten unterlagen die Christen zwar insgesamt zunehmend massiven alltäglichen Diskriminierungen und einem großen gesellschaftlichen Anpassungsdruck. Eine asylrechtlich beachtliche Rechtsgutbeeinträchtigung läßt sich aber nur in Einzelfällen annehmen.

Was die erheblichen Diskriminierungen von Christen im beruflichen und wirtschaftlichen Bereich anbelangt, waren diese letztlich nicht von einer solchen Intensität und Schwere, daß sie asylbegründend wirken können.

Die Klägerin war auch nicht als Person von asylerheblichen Verfolgungshandlungen betroffen.

Die vorgetragenen persönlichen Asylgründe sind unglaubhaft. Die Klägerin hat bei ihren Befragungen bezüglich ihres angeblichen Verfolgungsschicksals - dessen Asylerheblichkeit als staatliche Verfolgung dahinstehen mag - erheblich voneinander abweichende Angaben gemacht, wobei es zu nicht auflösbaren Widersprüchen gekommen ist.

Die Lage der nordsudanesischen christlichen Bevölkerungsminderheit hat sich insgesamt seit der Ausreise der Klägerin 1996 bis heute nicht verschlechtert. Unter Berücksichtigung der weiteren innenpolitischen Entwicklung des Sudan seit 1996, der bekanntgewordenen Übergriffe auf Christen sowie des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas läßt sich bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände auch weiterhin nicht eine Gruppenverfolgung für die nordsudanesische Bevölkerung feststellen.

Soweit die christlichen Kirchen bei ihren Aktivitäten Behinderungen ausgesetzt sind, ist nach wie vor ausschließlich der asylrechtlich nicht geschützte öffentliche Bereich der Religionsausübung angesprochen. Die Möglichkeit, sich mit anderen Gläubigen zum gemeinsamen Gebet zu versammeln und sich innerlich zum Christentum zu bekennen, ist - zumindest für die nordsudanesischen Christen - gegeben. Massiven Islamisierungsversuchen sind ausschließlich südsudanesische Bürgerkriegsflüchtlinge ausgesetzt.

Ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG kann die Klägerin ebenfalls nicht erfolgreich geltend machen.

Bezüglich der allgemeinen Situation wiedereinreisender sudanesischer Staatsangehöriger, die sich längere Zeit im Ausland aufhielten, geht der Senat von folgendem aus: Bei der Einreise werden alle Sudanesen, die sich länger als ein Jahr im Ausland aufgehalten haben, einer Regelbefragung durch den Sicherheitsdienst unterzogen. Das gilt unabhängig vom individuellen Aufenthaltsgrund im Ausland für alle Sudanesen und steht nicht im Zusammenhang mit einer etwaigen Ausweisung oder Abschiebung. Dabei wird der Betroffene über seine Tätigkeit im Ausland befragt. Auch werden Fragen nach etwaigen Kontakten zur Auslandsopposition gestellt. Eine christliche Religionszugehörigkeit spielt nach den Erkenntnissen insoweit nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Im Rahmen dieser Kontrollen lassen weder der langjährige Auslandsaufenthalt der Klägerin sowie ihre Asylantragstellung im Ausland noch die Teilnahme an Veranstaltungen der Auslandsopposition - unter jeweiliger Berücksichtigung sachverständiger Einschätzungen und der individuellen Situation der Klägerin - eine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten.

Zunächst stellt der jahrelange Auslandsaufenthalt der Klägerin keinen Verfolgungsgrund dar. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Informationen über die seit Jahrzehnten bestehende Arbeitsmigration und der fehlenden Anhaltspunkte für ein Bestrafungsrisiko wegen längerfristigen - auch illegalen - Verbleibs im Ausland fest.

Auch die Asylantragstellung im Ausland führt - für sich genommen - nicht auf einen Verfolgungstatbestand. Ein Asylantrag eines sudanesischen Staatsangehörigen im Ausland ist nach den Strafvorschriften des Sudan nicht strafbar. Nunmehr stimmen alle dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen darin überein, daß der Asylantrag allein keine politische Verfolgung bei einer Rückkehr auslösen wird.

Die zweimalige Teilnahme der Klägerin an Veranstaltungen der Auslandsopposition in Deutschland stellt keine exilpolitische Tätigkeit dar, die eine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten läßt.

Die sudanesische Regierung beobachtet - über ihre Auslandsvertretungen - politische Aktivitäten von Sudanesen im Ausland. Dies gilt in besonderem Maße für Kairo und London, die Hauptsitze der sudanesischen Auslandsopposition. In Deutschland ist die sudanesische Botschaft aus personellen Gründen nicht zu einer umfassenden Beobachtung exilpolitischer Aktivitäten in der Lage. Daraus folgert der Senat, daß den sudanesischen Behörden - über ihre Botschaft - zwar in Einzelfällen Auslandsaktivitäten bekannt geworden sein können, es aber nicht überwiegend wahrscheinlich ist, daß die Geschehen umfassend erfaßt wird. Es müssen deshalb besondere Umstände hinzukommen, die den betreffenden nicht bereits im Sudan verfolgten Asylbewerber aus dem - eher anonymen - Kreis der bloßen Teilnahme an politischen Veranstaltungen von Exilorganisationen herausheben. Bereits daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Aus einem weiteren Grund ist wegen der Teilnahme an den Veranstaltungen der Auslandsopposition nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu erwarten. Nachdem das islamistische Regime eine vorsichtige politische Liberalisierung eingeleitet hat, fehlt es an durchgreifenden tatsächlichen Anhaltspunkten, daß auch nicht ins Gewicht fallende exilpolitische Tätigkeiten eine politische Verfolgung nach sich ziehen.

Im vorliegenden Fall begründet Art. 9 EMRK kein Verbot der Abschiebung der Klägerin in den Sudan im Hinblick auf die dort zu erwartenden Einschränkungen der Religionsfreiheit.