Zur Rechtmäßigkeit eines Widerrufs des Abschiebungsschutzes bei exilpolitisch aktiven Vietnamesen, da sich die Sachlage verändert hat.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (vgl. dazu § 6 Abs. 2 S. 3 AsylVfG) ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. April 1997 zu Unrecht aufgehoben. Dieser Widerspruchsbescheid nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Das Verwaltungsgericht hat dabei zu Unrecht den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab angewandt.
Der Schutz des Klägers vor Abschiebung nach § 51 Abs. 1 AuslG erfolgte nach der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Dezember 1993 wegen der Gefahr einer Bestrafung nach Art. 85 des Vietnamesischen Strafgesetzbuchs (VStGB). Grund dafür waren die exilpolitischen Nachfluchtaktivitäten des Klägers, die im Verfassen diverser exilkritischer Beiträge in Exilzeitschriften wie "Canh En", "Sinh Hoat Cong Dong", "Viet Nam Di Toi" etc. unter Nennung seines vollen Namens bestanden hatten.
Im Zeitpunkt des Ergehens der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes - 23. April 1997 - war gegenüber dieser Beurteilung bereits eine erkennbare Änderung der Sachlage eingetreten. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats aus dem Jahre 1997 konnten im Hinblick auf die Lockerung der tatsächlichen Verhältnisse in Vietnam nur noch solche Nachfluchtalternativen zu einer Anerkennung nach § 51 Abs. 1 AuslG führen, die den einzelnen Asylbewerber aus der großen Zahl der übrigen Asylbewerber heraushoben. Voraussetzung dafür war, daß der Asylbewerber mit seinen Aktivitäten nach Vietnam hineinwirkte und effektiv die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei Vietnams bedrohte. Exilkritische Zeitungsartikel, die unter Nennung des vollen Namens des Verfassers veröffentlicht wurden, gehörten dazu nicht mehr, da solche Artikel in Exilzeitschriften durchweg in der erkennbaren Absicht verfaßt waren, sich in Deutschland ein Bleiberecht zu verschaffen.
Seit 1997 hat sich diese Entwicklung in Vietnam noch weiter verstärkt und verdeutlicht. Exilkritische Aktivitäten in Deutschland werden offensichtlich von der Volksrepublik Vietnam kaum noch beachtet, geschweigedenn nach Art. 85 VStGB bestraft.
Die sachliche Reichweite der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Dezember 1993 (vgl. § 121 VwGO) steht dem vom Bundesamt verfügten Widerruf nicht entgegen. Die Rechtskraftwirkung könnte die Behörde an der Aufhebung des Anerkennungsbescheides nur hindern, wenn die für das Urteil vom 1. Dezember 1993 maßgebliche Sach- und Rechtslage keine Änderungen erfahren hätte.
Der vom Bundesamt verfügte Widerruf des Anerkennungsbescheids scheitert schließlich auch nicht an dem maßgeblichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab, nach dem die Gefährdung des Klägers im Falle der Rückkehr nach Vietnam zu beurteilen ist. Das Erstgericht hat insoweit rechtsirrig auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab abgestellt. Da der Kläger nicht vorverfolgt aus Vietnam ausgereist ist, ist indessen der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit heranzuziehen.
Der bereits einmal nach § 51 Abs. 1 AuslG anerkannte Asylbewerber, dessen Abschiebungsschutz nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG widerrufen wird, unterliegt im Hinblick auf die von § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG vorausgesetzte Änderung der Sach- oder Rechtslage auch keiner anderen und keiner höheren Gefährdung als ein Asylbewerber, dem Abschiebungsschutz verwehrt wird, ohne daß er schon einmal eine Rechtsstellung nach § 51 Abs. 1 AuslG erlangt hätte. Dem nicht vorverfolgten Asylbewerber, dessen Schutz vor Abschiebung widerrufen wird, wird deshalb in dieser Verfahrenssituation nichts anderes zugemutet als anderen unverfolgt ausgereisten, nicht anerkannten Bewerbern. Allein der Umstand, daß durch eine Behörde oder ein Gericht zu Gunsten des Klägers eine Verfolgungsprognose gestellt worden war, rechtfertigt keine besonderen Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab; denn die positiven Auswirkungen dieser Entscheidung für den Kläger sind durch den auf die veränderte Sachlage gestützten Widerruf entfallen. Infolgedessen kann für die nicht vorverfolgte Personengruppe die Erleichterung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nicht zur Anwendung kommen. Es muß nicht mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, daß der Asylbewerber im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Vielmehr genügt die beachtliche Wahrscheinlichkeit, daß Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG nicht drohen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle einer Rückkehr bzw. Abschiebung nach Vietnam keine politische Verfolgung, wie sie § 51 Abs. 1 AuslG voraussetzt. Denn nach den heute in Vietnam herrschenden politischen Verhältnissen fehlt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß Personen wie der Kläger, die in vietnamesischen Exilzeitschriften in Deutschland unter voller Nennung ihres Namens exilkritische Beiträge verfaßt haben, nach Art. 85 VStGB verfolgt werden (vgl. BayVGH vom 16.3.1999 BayVBl 1999, 757).