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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 30.11.1999 - 9 B 303.99 - asyl.net: R5597
https://www.asyl.net/rsdb/R5597
Leitsatz:

Für die vom Berufungsgericht angenommene Gefahr politischer Verfolgung bei Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina fehlt es an jeglicher tatsächlicher Grundlage.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Bosnien-Herzegowina, Kriegssteuer, Pazifisten, Regimegegner, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Islamisten, Zurechenbarkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Sachaufklärungspflicht
Normen: VwGO § 86 Abs. 1
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung ohne ausreichende Erforschung des Sachverhalts gebildet. Sein Urteil beruht damit auf dem gleichen Verfahrensfehler, der schon zur Aufhebung des in derselben Sache ergangenen Urteils vom 3. März 1997 durch den beschließenden Senat geführt hat.

Auch die nach Aufhebung des Urteils vom 3. März 1997 eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, des UNHCR und von amnesty international geben nichts für die Einschätzung des Berufungsgerichts her, der Kläger sei als "Verräter" schutzlos "Übergriffen moslemischer Fanatiker" ausgeliefert. Die Frage nach der Existenz "moslemischer Fanatiker", deren Organisationsgrad und ihrem Vorgehen gegen vermeintliche Verräter innerhalb ihrer Bevölkerungsgruppe sowie nach der Haltung des bosnischen Staates gegenüber solchen Gruppierungen und seinen Möglichkeiten, einzelne gegen diese Gruppen zu schützen, wurde weder durch den Beweisbeschluß vom 24. November 1997 (Bl. 109 d.A.) noch das Anschreiben an die befragten Stellen vom selben Tag (Bl. 110-113 d.A.) aufgeworfen. Dementsprechend äußern sich die erteilten Auskünfte nicht dazu.

Soweit den eingeholten Stellungnahmen zu entnehmen ist, daß Nachweise über die Zahlung von "Kriegssteuer" existieren und daß der Kläger als Rückkehrer an einen Aufenthaltsort verwiesen würde, an dem sich noch andere Flüchtlinge aus seinem Heimatort (...) befänden, weshalb seine politische Haltung während des Bürgerkriegs bekannt würde (UA S. 14 f.), äußern sie sich ebenfalls nicht zu den vom Berufungsgericht angenommenen Gefahren. Eine allgemeine Gefährdung von politisch von der Regierungslinie abweichenden Rückkehrern wird vom Auswärtigen Amt verneint (Bl. 133 d.A.). Darauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.

Es fehlt mithin an jeglicher tatsächlicher Grundlage für die vom Berufungsgericht angenommene Gefahr politischer Verfolgung des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina. Zur Art und zur Intensität der Gefahr enthält das Berufungsurteil keinerlei Ausführungen. Insbesondere fehlen Feststellungen, mit welchen "Sanktionen" der Kläger wegen der Verweigerung der Zahlung der "Kriegssteuer" zu rechnen hätte und inwiefern etwaige Übergriffe Dritter dem bosnischen Staat zuzurechnen wären. Um eine nach Art und Intensität asylerhebliche Gefahr prognostizieren zu könne, hätten sich dem Berufungsgericht deshalb weitere Ermittlungen aufdrängen müssen. Da es diese unterlassen hat, hat es § 86 Abs. 1 VwGO verletzt.