BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 18.03.1998 - 9 C 36.97 - asyl.net: R602
https://www.asyl.net/rsdb/R602
Leitsatz:
Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Hindus, Bürgerkrieg, Situation bei Rückkehr, Alleinstehende Frauen, Abschiebungshindernis, Krankheit, Existenzminimum, Medizinische Versorgung, Revision, Divergenzrüge, Abschiebungsandrohung, Extreme Gefahrenlage, Gefahrenbegriff, Auslegung
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Mit Bundesrecht nicht in Einklang steht die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG in verfassungskonformer Anwendung nach den Grundsätzen der Entscheidung des Senats vom 17. Oktober 1995 (BVerwGE 99, 324 328>) schon dann, wenn für sie in Sri Lanka angesichts ihres Geschlechts, ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben bestehe.

Es begnügt sich mit der Prognose einer individuellen erheblichen und konkreten Gefahr für die Klägerin, die es darin sieht, daß diese nach ihrem Vortrag in den nicht vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten ihres Heimatlandes keine zu einer Hilfeleistung bereiten Verwandten oder Bekannten erreichen könne und deshalb angesichts ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Erkrankung eine wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht aufbauen könne sowie zielgerichtete Hilfe staatlicher oder karitativer Organisationen nicht zu erwarten habe. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts läuft darauf hinaus, daß bereits bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG die Sperrwirkung des Satzes 2 überwunden wird, obwohl die Anforderungen hierfür, die sich aus der gebotenen verfassungskonformen Auslegung ergeben, weit strenger sind. Bereits wegen dieses Maßstabswiderspruchs kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Senats könnte der Klägerin allerdings Abschiebungsschutz schon in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu gewähren sein, wenn feststünde, daß ihr erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren dadurch drohen, daß die in Deutschland diagnostizierten Krankheiten eine ärztliche Behandlung erfordern, die ihr in Sri Lanka nicht oder nicht in ausreichendem Maße zuteil werden kann. Das wäre etwa der Fall, wenn sich ihr Gesundheitszustand infolge fehlender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Unter diesen Voraussetzungen wäre die Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nicht durch § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG gesperrt, weil eine solche Gesundheitsgefahr nur der Klägerin individuell wegen ihrer Erkrankung drohen würde, mag diese Erkrankung auch nicht singulär sein. Um dies beurteilen zu können, reichen aber die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht aus, die keine konkreten Angaben zum Behandlungsbedarf und zu den Folgen fehlender oder unzureichender Behandlungsmöglichkeiten enthalten. Auch läßt sich ohne weitere Aufklärung nicht beurteilen, welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Sri Lanka bestehen.

Soweit das Oberverwaltungsgericht die wirtschaftliche Existenzsicherung für die Klägerin in Sri Lanka als gefährdet ansieht, handelt es sich hingegen um Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG, welche der Bevölkerung in Sri Lanka oder Rückkehrern aus Europa allgemein drohen, die also grundsätzlich nur im Rahmen einer Abschiebestoppregelung nach § 54 AuslG Berücksichtigung finden können. Für eine extreme Gefahrensituation, welche die Klägerin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod durch fehlende Möglichkeiten, das zum Überleben Notwendige zu erhalten, aussetzen würde, ist bisher nichts festgestellt.

Da die tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil nicht ausreichen, um in der Sache selbst abschließend zu entscheiden (§ 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwGO), muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.