VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 16.02.2000 - 10 Cs 99.3290 - asyl.net: R6029
https://www.asyl.net/rsdb/R6029
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz wegen Verstoß gegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO durch Aufforderung, sich unverzüglich in der Aufnahmeeinrichtung Jena zu melden sowie räumliche Beschränkung auf das Land Thüringen i.V.m. Bescheid über die Erteilung einer vorläufigen Duldung; zudem Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides selbst.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Kosovo, Albaner, Duldung, Umverteilung, Zuweisung, Räumliche Beschränkung, Auflagen, Nebenbestimmungen, Anfechtbarkeit, Sofortvollzug, Begründungserfordernis, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde, Suspensiveffekt
Normen: AuslG § 56 Abs. 3 S. 2; AuslG § 71 Abs. 3; VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufforderung, sich unverzüglich in der Aufnahmeeinrichtung Jena zu melden, und der räumlichen Beschränkung auf das Land Thüringen in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. August 1999 entspricht nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Damit ist schon aus diesem Grund dem Antrag stattzugeben und die aufschiebende Wirkung des mittlerweile erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen.

Im Übrigen begegnet auch die Rechtmäßigkeit des Bescheides Bedenken. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist bereits nicht entsprechend § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründet. Zwar sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es müssen jedoch die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (Jörg Schmidt in Eyermann, a.a.O., RdNr. 43 zu § 80). Die von der Behörde angegebenen Gründe, eine "gleichmäßige Verteilung" sowie ein "Lastenausgleich" zwischen den Bundesländern, ist jedoch weder einzelfallbezogen noch lässt sie die Dringlichkeit des sofortigen Vollzuges deutlich werden. Zwar können bei gleichartigen Verwaltungsakten eines Massenverfahrens gleiche oder gruppentypisierte Begründungen zulässig sein (BayVGH v. 22.5.1987 BayVBI 1987, 560; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 85 zu § 80). Angaben, in welcher Zahl die Antragsgegnerin hier derartige Verwaltungsakte erlassen hat, liegen nicht vor. Ob eine ausreichend auf die Umstände des konkreten Falles bezogene Darlegung anzunehmen sein könnte, kann jedoch offen bleiben. Aus der Begründung geht nämlich zudem nicht hervor, worin die besondere Dringlichkeit gesehen wird. Das "besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes" ist ein Interesse, das regelmäßig über jenes Interesse hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerfG v. 16.7.1974 BVerfGE 38,52; BayVGH v. 24.2.1988 BayVBI 1989,117). Dabei kann auch eine Identität zwischen dem Erlassinteresse am Verwaltungsakt und dem besonderen Vollzugsinteresse bestehen. Deutlich werden muss jedoch - wenn auch knapp -, warum die Behörde in concreto dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt (Schoch in Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 178 zu § 80). Hieran fehlt es. Eine "gleichmäßige Verteilung" und ein "Lastenausgleich" sind grundsätzlich auch ohne Sofortvollzug möglich. Dabei ist auch unklar, ob unter "Lastenausgleich" ein finanzieller Ausgleich zu verstehen ist. Zwar bewirkt die den Antragstellern auferlegte Belastung nichts Unabänderliches und kann als nicht sehr schwerwiegend angesehen werden. Der hohe, auch verfassungsrechtliche Stellenwert, der nach § 80 Abs. 1 VwGO und nach Art. 19 Abs. 4 GG der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen belastende Verwaltungsakte zuzumessen ist, gebietet es jedoch, auch der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ein hohes Gewicht beizumessen und auch dann eine tragfähige Begründung zu verlangen.

Im Übrigen begegnet auch die Rechtmäßigkeit der verfügten Auflagen Bedenken. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, diese könnten auf § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift können bei einer Duldung "weitere Bedingungen und Auflagen" angeordnet werden. Bezug genommen wird damit auf § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG, wonach die Duldung räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt ist. Diese räumliche Begrenzung gilt zwingend und ohne ausländerbehördliche Anordnung (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, RdNr. 7 zu § 56 AuslG). (Nur) innerhalb dieser bereits gesetzlich geregelten Beschränkung einer Duldung sind weitere Bedingungen und Auflagen möglich. Nicht umfasst ist eine Regelung, die gerade § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG widerspricht. Hier werden die Antragsteller aufgefordert, das Gebiet des Landes zu verlassen, das ihnen eine Duldung erteilt hat. Mag das Überschreiten des räumlichen Geltungsbereichs der Duldung auch keinen Straftatbestand nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfüllen (BGH v. 5.11.1996 InfAuslR 1997,160), steht es jedoch im Widerspruch, wenn ein Inhaber einer Duldung aufgefordert wird, den Geltungsbereich einer Duldung zu verlassen, obwohl es ihm verboten ist, sich außerhalb ihres Geltungsbereichs aufzuhalten (so auch VG Sigmaringen v. 16.7.1999 Az. 1 K 1535/99). Die in § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG angesprochenen weiteren Bedingungen und Auflagen können sich daher nur im Rahmen der räumlichen Beschränkung von Satz 1 dieser Bestimmung bewegen, diese gegebenenfalls weiter einschränken, nicht aber dieser widersprechende Anordnungen treffen. Gibt § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG keine ausreichende Rechtsgrundlage, so kommt es auch nicht darauf an, welche Regelungen das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 8. Juli 1999 (Az. IA 2-2082.10-312) enthält.