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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.03.2000 - 9 L 3275/99 - asyl.net: R8625
https://www.asyl.net/rsdb/R8625
Leitsatz:

Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG aufgrund drohender Blutrache im Nordirak.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Kurden, Blutrache, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit sie auf die Erlangung von Abschiebungsschutz gem. § 51 Abs. 1 AuslG gerichtet war, zu Recht abgewiesen. Dagegen liegen wegen der dem Kläger drohenden Blutrache die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vor.

Aus den Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, daß das Phänomen der Blutrache im Nordirak ein mehr oder weniger praktizierter Bestandteil der insbesondere ländlichen "Rechtskultur" ist. Sie ist nicht nur eine entfernt und abstrakt vorstellbare Möglichkeit, sondern eine real vorhandene und jederzeit aktualisierbare tödliche Bedrohung durch die betroffene Familie.

Der Senat hat auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, daß dem Kläger die Blutrache wegen des tödlichen Ausgangs des Autounfalls nicht konkret und individuell zurechenbar drohen würde. Zwar beziehen sich die beiden zitierten Erkenntnisquellen des Deutschen Orient-Instituts jeweils auf Fälle von Tötungen in Landstreitigkeiten, um die es sich hier nicht handelt. Die Exekution der Blutrache beschränkt sich aber keineswegs auf derartige Streitigkeiten; Auslöser ist regelmäßig allein die Tatsache der Tötung eines Familienmitglieds. Der Annahme einer konkreten Gefährdung des Klägers steht auch nicht der Umstand entgegen, daß andere Angehörige der Familie des Klägers bislang nicht getötet worden sind. Zum einen gibt es keine zeitlichen Gesetzmäßigkeiten. Das Deutsche Orient-Institut führt insoweit an, daß "durchaus erst einmal ein paar Jahre gar nichts passieren kann". Zum anderen ist es typisch, daß die Blutrache zunächst an dem für den Todesfall Verantwortlichen zu ahnden versucht wird, bevor dann andere Familienangehörige ins Blickfeld geraten können.