In die Türkei zurückkehrende Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit sind - sofern im Einzelfall keine Besonderheiten vorliegen - hinreichend sicher davor, bei Wiedereinreise asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein (Bestätigung und Fortschreibung der Senatsrechtsprechung, zuletzt Urteil vom 10.11.1999 - A 12 S 2013/97 -). (amtlicher Leitsatz)
In die Türkei zurückkehrende Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit sind - sofern im Einzelfall keine Besonderheiten vorliegen - hinreichend sicher davor, bei Wiedereinreise asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein (Bestätigung und Fortschreibung der Senatsrechtsprechung, zuletzt Urteil vom 10.11.1999 - A 12 S 2013/97 -). (amtlicher Leitsatz)
Eine "Sippenhaft" in Form strafrechtlicher Verfolgung findet in der Türkei nicht statt. In Betracht zu ziehen ist bei Einreisekontrollen "Sippenhaft" in Form von Repressalien im Allgemeinen allenfalls gegen nahe Angehörige von "PKK-Aktivisten", die per Haftbefehl gesucht werden.
Der Kreis der von Sippenhaft betroffenen Personen ist dabei grundsätzlich auf Ehegatten, Eltern Kinder und Geschwister beschränkt. Diese Beschränkung erklärt sich schon daraus, dass sich die Verwandtschaft bezüglich Eltern, Kindern und Geschwistern anhand der Eintragungen im Personalausweis des Betroffenen sofort erkennen lässt, da daraus die Namen von Vater und Mutter hervorgehen. Für Ehegatten gilt im Ergebnis entsprechendes, weil die Personenstandsregistrierung einer Frau mit der Eheschließung an den Ort verlegt wird, an dem ihr Mann gemeldet ist.
Bei der Einreise erfolgt eine genaue Kontrolle der Personalien des Einreisenden, insbesondere wird geprüft, ob sein Name auf der Fahndungsliste steht, etwa bei Vorliegen eines Haftbefehls, oder ob Ein-oder Ausreiseverbote oder andere Besonderheiten im oben erwähnten Sinne vorliegen. Eine systematische Kontrolle auf "Sippenhaft" ist nicht bekannt und wäre auch aus praktischen Gründen allenfalls eingeschränkt möglich. Wenn die Betroffenen nicht selbst die fraglichen Verwandtschaftsverhältnisse angeben, lässt sich bei der Einreise anhand der Eintragungen im Personalausweis allenfalls eine Verwandtschaft zu den genannten nahen Angehörigen feststellen. Die - weitere - Verwandtschaft etwa zu Onkel, Tante, Cousin,Cousine ist allein durch Kontrolle der Personalien nicht festzustellen. Um solche Verwandtschaftsverhältnisse festzustellen, müssten aufwendige Nachforschungen bis "hinunter" zum Heimatort angestellt werden (vgl. hierzu ausführlich Kaya, 16.03.1997 an VG Gießen; Taylan, Aussage am 15.05.1997 vor dem VG Gießen). Bei der Kontrolle der Personalien einer Person werden jedoch nur die persönlichen Daten dieser Person überprüft. Die Nachforschungen bei der Einreise konzentrieren sich in erster Linie auf Fahndungsmaßnahmen oder Einreiseverbote gegen den Rückkehrer selbst. Die Situation von Verwandten und die Beziehung zu diesen wird bei Gelegenheit der Einreisekontrollen grundsätzlich nicht erforscht.
Von der Einreisesituation ist grundsätzlich zu unterscheiden die Gefährdung von (zurückgekehrten) Verwandten "vor Ort", zumal in der Südosttürkei (vgl. hierzu Rumpf, 15.05.1997 an VG Hamburg). Das Auswärtige Amt ( vgl. etwa Lagebericht vom 22.06.2000, 03.08.1999 an VG Stuttgart, 02.07.1999 an VG Kassel, 04.06.1999 an VG Freiburg) bestätigt, dass im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen Familienangehörige zu Vernehmungen z.B. über den Aufenthalt von Gesuchten geladen werden. Die Einbeziehung des persönlichen Umfelds gehört zu einer routinemäßig durchgeführten Ermittlungsarbeit. Freilich sind angesichts der dabei von den türkischen Sicherheitskräften verwandten Vernehmungsmethoden nach wie vor Übergriffe zu verzeichnen, was auch vom Auswärtigen Amt bestätigt wird (vgl. etwa 03.08.1999 an VG Stuttgart, 02.07.1999 an VG Kassel, 04.06.1999 an VG Freiburg). Der Zugriff auf nahe Angehörige setzt indes regelmäßig gezielte polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen den betreffenden Angehörigen voraus. Den Erkenntnisquellen ist nämlich nicht zu entnehmen, dass sich die in der Türkei festzustellende Praxis von "Sippenhaft" auch auf Angehörige von bloßen Sympathisanten von terroristischen staatsfeindlichen Organisationen erstreckt. Dies bedeutet, dass der Zugriff in Form von Übergriffen auf Angehörige wenig wahrscheinlich ist, wenn eine verwandte Person bei den örtlichen Sicherheitskräften lediglich allgemein - ohne Bezug zu einer konkreten Ermittlung - im vagen Verdacht der PKK-Unterstützung steht, mag diese möglicherweise auch schon deswegen vorübergehend festgenommen oder verhört worden sein.
Das kann der Fall sein, wenn die Verdachtsmomente zu einer weiteren Untersuchungshaft bzw. Anklageerhebung nicht ausgereicht haben, der Betreffende von den örtlichen Sicherheitsbehörden aber gleichwohl argwöhnisch als potentieller PKK-Unterstützer beobachtet wird. Ebensowenig liegt eine Sippenhaft in Form von Repressalien nahe, wenn der betreffende "hauptverdächtige" Verwandte nicht mehr lebt, in Haft ist oder sich dauerhaft im Ausland, zumal mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus, aufhält. In diesen Fällen wird es regelmäßig nicht plausibel sein, dass die türkischen Sicherheitsbehörden auf den Rückkehrer - unterstellt, das Verwandtschaftverhältnis würde offenbar - massiv Druck ausüben, um des eigentlich Gesuchten habhaft zu werden. Schließlich ist auch nicht zu erwarten, dass ein Angehöriger von vornherein und zwangsläufig dem Verdacht ausgesetzt ist, er teile die politische Meinung des gesuchten Verwandten, oder er habe sich an dessen Aktivitäten beteiligt (Kaya, 22.06.1994 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, 16.08.2994 an VG Freiburg; vgl. auch Rumpf, 15.05.1997 an VG Hamburg).