BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 23.05.2000 - 9 C 2.00 - asyl.net: R9065
https://www.asyl.net/rsdb/R9065
Leitsatz:

Anspruch auf Feststellung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG, da die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan "ohne den Ehemann und Vater in ihrer materiellen Existenz gefährdet" wären, weil sie ohne männlichen Schutz "eine beachtlich wahrscheinliche Überlebenschance derzeit" nicht hätten.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Paschtunen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Alleinige Rückkehr, Versorgungslage, Existenzminimum, Extreme Gefahrenlage, Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Prüfungskompetenz, Ausländerbehörde
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausschließlich mit der Begründung verpflichtet, die Kläger wären bei einer Rückkehr nach Afghanistan "ohne den Ehemann und Vater in ihrer materiellen Existenz gefährdet", weil sie ohne männlichen Schutz "eine beachtlich wahrscheinliche Überlebenschance derzeit" nicht hätten.

Der Senat versteht diese Ausführungen so, daß das Berufungsgericht damit eine extreme allgemeine Gefahrenlage für die Kläger im Falle einer alleinigen Rückkehr bejaht und ihnen deshalb in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG Abschiebungsschutz zugesprochen hat.

Das ist, wie die Revision zu Recht geltend macht und der Senat bereits in seinem Beschluß über die Zulassung der Revision ausgeführt hat, mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu vereinbaren (vgl. das Urteil vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 12.99 - NVwZ 2000, 206 = DÖV 2000, 298 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt). Danach ist das Oberverwaltungsgericht zwar zutreffend davon ausgegangen, daß bei der Prüfung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG für die Kläger, deren Vater und Ehemann Abschiebungsschutz genießt und der über eine Aufenthaltsbefugnis verfügt, nicht unterstellt werden darf, sie würden zusammen mit dem bleibeberechtigten Ehemann bzw. Elternteil in den Heimatstaat zurückkehren. Ob die Kläger im Falle alleiniger Rückkehr infolgedessen mittelbar trennungsbedingten Gefahren im Abschiebezielstaat ausgesetzt wären, welche ihre Abschiebung unzulässig erscheinen lassen, hat aber nicht das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren nach § 53 AuslG, sondern allein die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu prüfen; erst die Ausländerbehörde hat ggf. Vollstreckungsschutz nach § 55 AuslG zu gewähren. Das Oberverwaltungsgericht hätte schon deshalb die Beklagte nicht verpflichten dürfen, im Asylverfahren die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach

§ 53 Abs. 6 AuslG wegen solcher mittelbar trennungsbedingter Gefahren festzustellen.

Die Berufungsentscheidung scheint zwar davon auszugehen, daß den Klägern in Afghanistan nur deshalb extreme allgemeine Gefahren drohen, weil sie ohne die Begleitung ihres Ehemanns und Vaters dorthin zurückkehren müßten und darum - ohne sonstigen "familiären oder gruppenmäßigen Rückhalt" - nicht überleben könnten. Es hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob ihnen solche Gefahren auch aus anderen Gründen drohen. Der Senat kann deshalb nicht abschließend entscheiden, ob den Klägern Abschiebungsschutz auch nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG endgültig zu versagen oder, wie die Kläger unter Hinweis auf eine neuere Entscheidung des Berufungssenats geltend machen, wegen der allgemeinen verschlechterten Versorgungslage in Afghanistan zu gewähren ist.