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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 06.06.2008 - 5210601-423 - asyl.net: M14794
https://www.asyl.net/rsdb/m14794
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Sippenhaft, Juden, Russen, Ehegatte, Ehefrau
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Laut der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. Mostafa Danesch vom 15.04.2008 resultiere aus dem Umstand, dass die Ehefrau des Ausländers einerseits Jüdin und andererseits Russin sei, eine erhebliche Gefährdung für seine Person bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Die aus der Zeit der sowjetischen Besatzung stammenden Ressentiments gegenüber Russen seien in der Bevölkerung nach wie vor tief verankert, besonders in den paschtunischen Stammesgebieten im Süden und Norden des Landes, also der Gegend, aus der der Antragsteller stamme. Verschärfend komme die jüdische Religionszugehörigkeit der Ehefrau hinzu. Der Gutachter geht davon aus, das dem Antragsteller asylrelevante Verfolgung drohe, falls er mit seiner jüdischen Frau nach Afghanistan zurückkehre. Denn die Ehe eines Moslems mit einer Jüdin werde in Afghanistan nicht nur von radikalen Islamisten als Todsünde angesehen. Von einem Muslim werde - sowohl von der Gesellschaft als auch von der islamischen Obrigkeit - erwartet, dass er seinen Ehepartner zum Islam bekehre. Eine Ehe zwischen Muslimen und Christen oder Juden sei in dieser Gesellschaft gar nicht denkbar, der Antragsteller hätte seine Frau erst ehelichen dürfen, nachdem sie zum Islam übergetreten sei. Indem er jedoch ganz offensichtlich das Verbleiben seiner Frau beim jüdischen Bekenntnis toleriert habe, habe er sich einer erheblichen Pflichtverletzung schuldig gemacht, die bereits als Apostasie gelte. Es sei darauf hinzuweisen, dass Apostasie die größte denkbare Sünde und auf jeden Fall mit dem Tode zu bestrafen sei. Auch wenn das Ehepaar nicht durch die Behörden oder die Justiz verfolgt würde, wären die Gefahren, die allein durch eine gesellschaftliche Ächtung zustande kämen, erheblich. Dies sei vor allem dann der Fall, würde das Ehepaar in das ländliche Herkunftsgebiet des Antragstellers zurückkehren, es träfe aber auch städtische Großräume wie Kabul zu. Denn keine Instanz wäre in der Lage, das Ehepaar vor Übergriffen zu schützen. Auch die eigene Familie sei kaum weder dazu fähig noch bereit, dem Ehepaar Schutz zu bieten. Man könne eher davon ausgehen, dass dem Ehepaar gerade Gefahr aus dem eigenen Clan des Mannes drohe. Das Ehepaar könne die Tatsache, dass die Ehefrau Russin und Jüdin sei, im Falle einer Rückkehr nicht verbergen. Es sei anzunehmen, das der Fall des Antragstellers in der afghanischen Exilgemeinde diskutiert worden sei und über dies auch in Afghanistan bekannt geworden sei. Unter Berücksichtigung dieser Informationen muss davon ausgegangen werden, dass dem Ausländer bei Rückkehr nach Afghanistan eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nach § 60 Abs. 7 AufenthG droht. [...]