VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 10.12.2008 - 1 A 27/06 - asyl.net: M14843
https://www.asyl.net/rsdb/m14843
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Repressalien wegen (vermeintlich) oppositioneller Haltung gegen das Regime in Vietnam.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Änderung der Rechtslage, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungsbegriff, Verfolgungshandlung, Gesamtbetrachtung, Kumulierung, Oppositionelle, Diskriminierung, Verhaftung, Internet, Telefonüberwachung, Internetüberwachung, Hausarrest, Passverweigerung, Registrierung, Strafverfahren, illegales Verbleiben im Ausland, Zwangsarbeit, Glaubwürdigkeit, Umerziehungslager
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 5; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage, die sachdienlich unter Einbeziehung der Richtlinie 2004/83/EG (Amtsbl. der EU v. 30.9.2004 / L 304/12) umfassend auszulegen ist (BVerwG, Urt. v. 21.11.2006 - 1 C 10.06 - ), ist insoweit begründet, als es dem Kläger um seine Anerkennung als Flüchtling geht. Im Übrigen ist sie abzuweisen.

1. Die begehrte Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheidet hier aus: Der Kläger ist ausweislich der Anhörung vom 30. Januar 1992 (Bl. 28 d. Beiakten A zu 1 A 558/92) auf eigenen Antrag hin für einen Arbeitsplatz in der damaligen CSFR nominiert worden und damit aus Vietnam unverfolgt ausgereist (Urteil der Kammer vom 29. April 1994 - 1 A 558/92 -). Auch später ist er nicht Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen, die den Charakter einer politischen Verfolgung iSd Asylgrundrechts aus Art. 16 a Abs. 1 GG tragen. [...]

2. Der Kläger ist jedoch als Flüchtling anzuerkennen (§ 3 AsylVfG iVm Art. 13 der Richtlinie 2004/83/EG, Amtsbl. der EU v. 30.9.2004 / L 304/12 ), d.h. es ist zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG iVm Art. 33 GFK v. 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S. 560) festzustellen. [...]

2.1. Die Entscheidung der Beklagten zu § 60 Abs. 1 AufenthG, die nach ihrer Auffassung (Schr. v. 21.11.2008) im angefochtenen Bescheid "gleichzeitig" enthalten sein soll, nämlich hier mit Blick auf eine Flüchtlingsanerkennung gemäß Qualifikationsrichtlinie (Art. 13) ein Folgeverfahren nicht mehr durchzuführen, ist rechtswidrig: Die Prüfung im Folgeverfahren nach §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 VwVfG hat in Anlehnung an die Richtlinie 2005/85/ EG d. Rates v. 1. Dezember 2005 in Stufen zu erfolgen (h.M. der Verwaltungsrechtsprechung; vgl. auch Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 2, § 71 Rdn. 85 m.w.N.; BVerfG, InfAuslR 1993, 304; BVerwGE 39, 234; 44, 338; 77, 325; VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217). In der 1. Stufe ist lediglich substantiiert vorzutragen, was nur dann als unbeachtlich verworfen werden kann, wenn der Vortrag nach jeder nur denkbaren Betrachtungsweise völlig ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zu einem Abschiebungsverbot/Flüchtlingsanerkennung zu verhelfen (BVerfG, DVBl. 1994, 38; BVerfG, InfAuslR 1993, 229/233).

Insoweit hat der Kläger hier jedoch über seine Rückkehr nach Vietnam im April 2004 und seine dortigen Erfahrungen berichtet, was eine Neubefassung mit seinem umfassend auszulegenden Asylbegehren geradezu geboten hätte: Abgesehen davon, dass die Glaubwürdigkeitszweifel, wie sie im angefochtenen Bescheid dargelegt sind, nicht zu überzeugen vermögen, sollte es mit der Unterstellung des Klägerberichtes dann als wahr (S. 5 des angef. Besch.) selbst nach der Einschätzung der Beklagten so gewesen sein, dass der Bericht Beeinträchtigungen des Klägers in seiner Heimatgemeinde belegt, "welche nach dem westlichen Demokratieverständnis einen schweren Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Einzelnen darstellen" (S. 5 unten des angef. Bescheides v. 3.2.2006).

Das nun wäre Anlass genug gewesen, ein Folgeverfahren durchzuführen. Denn die gen. Rechte sind nicht etwa deshalb nivellierbar, weil sie in einem totalitär geführten Staat - ggf. üblicherweise - missachtet werden. Gerade für diesen Fall beanspruchen die gen. Rechte ihre uneingeschränkte Geltung. Die Beklagte kann ihre eigene Einschätzung nicht mit der Erwägung abschwächen, "nach vietnamesischen Maßstäben" stellten die Beeinträchtigungen einen schweren Eingriff nicht dar (S. 5 unten d. angef. Bescheides) - selbst wenn der Kläger sie "nach längerer Abwesenheit von seinem Heimatland subjektiv" so empfunden haben mag (S. 6 d. angef. Besch.).

Unter diesen Umständen hat die Beklagte den Folgeantrag des Klägers zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage iSv 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liege nicht vor (S. 3 und S. 6 d. angef. Bescheides): Im Konflikt zwischen den Grundsätzen der Rechtssicherheit (Bestandskraft des Bescheides vom 28.8.2000) und der Gerechtigkeit steht die gesetzlich festgeschriebene Verpflichtung der Behörde ("hat"), ein Verfahren gem. § 51 VwVfG dann wieder aufzugreifen, wenn eine summarische Schlüssigkeitsprüfung die bloße Eignung des Vortrags für einen Erfolg nahelegt (BVerwGE 78, 332/336; VGH München NVwZ 1990, 269; OVG Münster NVwZ 1986, 51/52). Solche Eignung liegt hier vor. Der entsprechenden Verpflichtung, ein Verfahren wieder aufzugreifen, hatte die Beklagte somit nachzukommen. Hierbei ist auch, ohne dass eine Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsland oder jener des Klägers vorliegen müssen, bereits eine Änderung nur der Rechtslage von Amts wegen beachtlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG: "oder"). [...]

2.2. Eine Änderung der hier maßgeblichen Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ist im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG iVm dem rechtsverbindlichen "Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559)" - GFK -, im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, vor allem aber auch mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG gegeben, deren Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 abgelaufen ist (vgl. Hollmann, Asylmagazin 11/2006, S. 4).

Das gilt nun für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hier in besonderem Maße, weil mit dem "Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" - EURLAsylUmsG - vom 19.8.2007 (BGBl. I 2007, S. 1970) § 60 Abs. 1 AufenthG geändert und durch Satz 5 die Anwendung der Qualifikationsrichtlinie (vgl. Art. 9 und Art. 10, Verfolgungshandlungen/-gründe) ausdrücklich vorgeschrieben ist.

2.3. Sind die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen gem. den §§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG - wie hier - erfüllt, hat das Verwaltungsgericht durchzuentscheiden (§§ 113 Abs. 5 u. 86 Abs. 1 VwGO; vgl. BVerwGE 106, 171 = DVBl. 1998, 725 = NVwZ 1998, 861 m.w.N.). [...]

2.4. Dem Kläger droht im Falle seiner Rückführung nach Vietnam für den Zeitpunkt des Jahres 2008 eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung iSd Kapitel II und III der Richtlinie 2004/83/EG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG iVm Art. 33 GFK. Er ist schutzbedürftig und daher als Flüchtling anzuerkennen.

2.4.1 Der Maßstab für diese Anerkennung ist der humanitären Intention zu entnehmen, die das Flüchtlings- und Asylrecht im Lichte der GFK und der Qualifikationsrichtlinie insgesamt prägt: Es soll demjenigen Aufnahme und Schutz gewährt werden, der sich in einer für ihn - subjektiv (Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie: "Furcht vor Verfolgung") - ausweglosen Lage befindet (BVerfGE 80, 315/335) und sich deshalb bedroht fühlt. [...]

Hierbei sind - in Übereinstimmung mit § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG - die Verfolgungsgründe des Art. 10 Richtlinie maßgeblich, deretwegen die vom Flüchtling befürchteten Bedrohungen iSv Art. 9 Richtlinie bestehen (vgl. Urt. d. VG Bremen v. 21.1.2008 - 4 K 1327/07.A). Insoweit können umfassend sämtliche Maßnahmen in ihrer Kumulation bedrohungsrelevanten Charakter haben. Bei Anwendung der gen. Artikel reicht es folglich aus, dass aufgrund einer Gesamtbetrachtung Menschenrechte iSv Art. 9 Abs. 1 (mit den Regelbeispielen aus Art. 9 Abs. 2) gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG betroffen und nur bedroht erscheinen bzw. der Kläger - bei "Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen" - in einer nur "ähnlich" gravierenden Weise "betroffen" ist (Art. 9 Abs. 1 b der Richtlinie), er also eine begründete - subjektive - Furcht (Art. 4 Abs. 4) vor einer zureichend gravierenden Bedrohung (vgl. Art. 2 c RL) plausibel machen kann. [...]

Ein enger Katalog der in Betracht zu ziehenden Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungsmaßnahmen ist angesichts der in Vietnam praktizierten Ausgrenzungen, Verfolgungen und Demütigungen, etwa durch Verhaftungen, Internet-Verbot, ausgedehnte Verhöre, Telefon- und Mailüberwachung bis hin zum "Kappen" der Internet- und Telefonverbindungen, Hausarrest, Aufnahme in eine schwarze Liste mit Namen derer, denen ein Reisepass versagt wird usw. usw. (vgl. dazu Lageberichte des AA v. 31.3.06 und v. 14.7.2008) auch sachlich völlig verfehlt, zumal es nach der Qualifikationsrichtlinie (Art. 9 Abs. 1 b) nicht mehr allein darauf ankommt, ob Verfolgungshandlungen die Menschenwürde oder Kern- bzw. Randbereiche von Menschenrechten verletzen (Hollmann, Asylmagazin 11/2006, S. 5). Erst recht gebietet Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie eine lebensnahe Gesamtbetrachtung und -bewertung einer Vielzahl nur unterschwelliger Einzelhandlungen, die je für sich noch nicht verfolgungsrelevant sein mögen (Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen), das in ihrer Gesamtheit jedoch werden (vgl. Urt. d. VG Köln v. 12.10.2007 - 18 K 6334/05.A -). Schon die Verletzung der Freiheit des Briefverkehrs, etwa durch ständige Postkontrolle, kann eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung sein, u.zw. unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung, Art. 9 Abs. 1 a der Richtlinie (so Hollmann, aaO., S. 6; Kalkmann, Asylmagazin 9/2007, S. 5). [...]

2.4.2 Solche Bedrohung kann sich zunächst schon aus einer möglichen Bestrafung - mit Sanktionen aller Art - auf Grund des bloßen Aufenthaltes des Klägers in Deutschland ergeben: Das illegale Verbleiben im Ausland stellt in Vietnam einen Verstoß gegen Art. 274 vStGB dar, wonach sich u.a. strafbar macht, wer illegal sonst im Ausland verbleibt (vgl. dazu auch Lagebericht AA v. 14.7. 2008). Es ist im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass gegen den Kläger als zurückkehrendem Asylbewerber wegen eines - ggf. nur als Vorwand benutzten - Verstoßes gegen Art. 274 vStGB vorgegangen wird. Sein Bericht legt das jedenfalls nahe, auch wenn es im Allgemeinen nicht beachtlich wahrscheinlich erscheint, dass gegen zurückkehrende Asylbewerber nur und allein wegen eines Verstoßes gegen Art. 274 VStGB vorgegangen wird (ebenso VG Meiningen, InfAuslR 2006, 159f). Allerdings ist damit ein Vorgehen aus anderen Gründen - etwa wegen falscher Gesinnung oder politischer Haltung - keineswegs ausgeschlossen, zumal seit dem Frühjahr 2007 in Vietnam ein "verschärftes Vorgehen" gegen Demokratiebewegungen zu beobachten ist (Lagebericht AA v. 14.7.2008; Will, APuZ 27/2008, Beilg. z. Parlament, S. 6 ff / S. 10 m.w.N.; ai-Jahresbericht 2008, 460/461).

2.4.3 Des Weiteren kann sich eine Bedrohung dadurch ergeben, dass dem Kläger - wie nach seinen Angaben bereits geschehen - eine Anmeldung in seinem Heimatort systematisch verweigert wird (vgl. dazu S. 3 der Klageschrift) und er so ausgeschlossen wird, eine Arbeitstätigkeit aufzunehmen, er arbeitslos bleibt. Vgl. dazu M. Schäuble in FU-Nachrichten, Zeitung der Universität Berlin, Ausgb. 11-12/2003:

"Vietnam ist ein totalitärer Staat, in dem die Arbeit von oben verteilt wird. Man kann, wenn man unangenehm aufgefallen ist, unter Umständen nicht mehr arbeiten und seine Familie ernähren."

Zugleich war dem Kläger nach seinem Bericht mangels Anmeldung ca. ein Jahr lang die Möglichkeit versagt, sich in Vietnam frei zu bewegen. Erst durch ein Bestechungsgeld, das seine Mutter gezahlt hatte (ca. eine Monatsrente) war ihm die Anmeldung gelungen.

Anschließend jedoch wurde er durch die Sicherheitsbehörde seines Heimatortes - ohne gerichtliches Verfahren - zu Zwangsarbeiten herangezogen (S. 4/5 der Klageschrift). Hintergrund hierfür soll, so meint der Kläger, die Frühpensionierung seines Vaters sein, der aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Kollegen gezwungen worden sei, seinen Dienst als Polizist zu quittieren. Seitdem werde seine Familie von der örtlichen Sicherheitsbehörde beobachtet, drangsaliert und schikaniert. Ihm selbst sei der Vorwurf gemacht worden, die "Nation verlassen" zu haben, sozusagen "Deserteur" zu sein.

Im angefochtenen Bescheid werden solche vorgetragenen "Restriktionen und Auflagen" nur deshalb vernachlässigt, weil sie "gemessen an den objektiv herrschenden Bedingungen in Vietnam" angeblich keine "asylerhebliche Intensität" erreichten. Das jedoch ist der Fall, da das auf S. 6 des angef. Bescheides ausführlich beschriebene Regierungssystem in Vietnam nicht etwa schwere Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Einzelnen nur deshalb erlaubt, weil es dort üblich ist und solche Eingriffe von der Beklagten zu den "herrschenden Bedingungen" in Vietnam gerechnet werden.

2.4.4 Die Aussagen des Klägers bedürfen gem. Art. 4 Abs. 5 Qualifikationsrichtlinie keines weiteren Nachweises, da dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Vortrag zu substantiieren, verfügbare Anhaltspunkte vorliegen, die Aussagen insgesamt kohärent und plausibel sind sowie zu den allgemeinen Informationen über Vietnam nicht in Widerspruch stehen, er seinen Antrag im Dezember 2005 - sofort nach seiner Rückkehr - zum frühest möglichen Zeitpunkt gestellt hat und er schließlich generell glaubwürdig ist. Letzteres ergibt sich schon aus der Anhörung vom 30. Januar 1992 (Beiakten A zu 1 A 558/92), in der der Kläger freimütig und offen ausgesagt hatte. Auch die Anhörung vom 19. Januar 2006 belegt die Glaubwürdigkeit des Klägers. Die Zweifel der Beklagten an einzelnen Aussagen vermögen die generelle Glaubwürdigkeit des Klägers nicht zu erschüttern, zumal es sich dabei um Gesichtspunkte handelt, die nach der Glaubwürdigkeitslehre nicht jederzeit präsent sein müssen. Die Aussagen des Klägers waren letztlich Anlass dafür, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Ausführungen des Klägers zum "Stimmungsumschwung" ja doch "durchaus für möglich gehalten" hat (S. 4 d. angef. Bescheides).

2.4.5 Angesichts dessen, dass der Kläger schon früh gegen den vietnamesischen Staat eingestellt war (vgl. dazu die Anhörung vom 30. Jan. 1992), erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass er als "Dissident" bzw. dem Staat feindlich gesonnener Bürger angesehen wird, zumal dann, wenn er erst nach vielen Jahren nach Vietnam zurückkehrt. Das kann besonders deshalb der Fall sein, weil sein Vater Polizist war und damit an ihn wie auch an seine Familie erhöhte Anforderungen hinsichtlich einer Staatstreue gestellt werden. Angesichts der in Vietnam geführten Familienakten ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass dem Kläger als Bürger nach seinem langjährigen Aufenthalt in Europa keinerlei Vertrauen mehr entgegen gebracht wird, er vielmehr als "Problemfall" betrachtet wird, der unbedingt umerzogen werden muss.

In Vietnam wird nämlich ganz offenkundig schon die abweichende Gesinnung Einzelner bekämpft (vgl. die dafür geschaffenen "Umerziehungslager", die jenen in Nordkorea ähneln - ai-journal 10/2005 S. 32), ohne dass es darauf ankommt, in welchem Maße deren Engagement oder abweichende Gedanken bereits von Deutschland aus in Vietnam irgendeine Breitenwirkung erzielt haben. Es geht nicht nur um einen "Gesichtsverlust" des vietnamesischen Regimes, sondern - nach zwei Aufständen (Februar-Aufstand 2001 und April-Aufstand 2004) - offensichtlich um die Abwehr freiheitlicher Meinungen und Bestrebungen, die in Vietnam schon von ihrer "Wurzel an" nachhaltig bekämpft werden. Hier wird dann "hart durchgegriffen" (so S. 358 des 7. Berichts der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen v. 15.6.2005). Öffentliche Kritik an Partei und Regierung wird nicht geduldet (Lagebericht AA v. 14.7.08). Aktive und überzeugte (Gesinnungs-) Gegner des Sozialismus und des Alleinherrschaftsanspruchs der KP müssen daher stets mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen und sind ernstlich gefährdet (so schon Lagebericht AA v. 28.8. 2005). Deshalb ist freiheitliches Denken und eine entsprechende Gesinnung für sich bereits "verboten". [...]