VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 16.01.2009 - 21 K 3263/07.A - asyl.net: M14964
https://www.asyl.net/rsdb/m14964
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 AufenthG nach Jordanien für islamistischen Terroristen (Mitglied einer Zelle von Al Tawhid); Foltergefahr kann nicht durch eine diplomatische Zusicherung Jordaniens ausgeräumt werden.

Schlagwörter: Jordanien, Terrorismusvorbehalt, Terrorismus, terroristische Vereinigung, Mitglieder, bandenmäßige Vorbereitung der Fälschung amtlicher Ausweise, Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Gefahr für die Allgemeinheit, Strafurteil, Al Tawhid, Islamisten, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, Menschenrechtslage, Sicherheitskräfte, Rechtshilfeersuchen, Medienberichterstattung, Haftbedingungen, diplomatische Zusicherung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; StGB § 129a Abs. 1; StGB § 275 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2; EMRK Art. 3
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 AufenthG nach Jordanien für islamistischen Terroristen (Mitglied einer Zelle von Al Tawhid); Foltergefahr kann nicht durch eine diplomatische Zusicherung Jordaniens ausgeräumt werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist im Wege der Untätigkeitsklage als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet. [...]

Der Kläger hat in Anwendung des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]

Der Kläger ist nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen (Alt. 1) und bedeutet eine Gefahr für die Allgemeinheit (Alt. 2), weil er wegen eines Verbrechens nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998, BGBl. 1998 I, S. 3322) i.V.m. § 275 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB, § 25 StGB, § 52 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Oktober 2005 - III-VI 13/03 -). [...]

Der Kläger baute in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit Ende August/Anfang September 2001 eine selbständig agierende Zelle der Al Tawhid auf. Die Al Tawhid zählt als Gruppierung zum weltumspannenden Netzwerk gewaltbereiter Islamisten. Ziel ihrer Mitglieder ist die Förderung und Unterstützung der panislamischen und militant-islamistischen Jihad-Ideologie als "internationaler Kampf gegen die Ungläubigen und Kreuzritter", wie er von Usama bin Laden und der von ihm geführten Al Qaida 1998 ausgerufen worden war. Der Kläger und seine Zelle der Al Tawhid planten im Jahre 2002 Sprengstoffanschläge auf - angeblich - jüdische bzw. israelische Einrichtungen in Deutschland, nämlich in E und C. Die deutsche Zelle zeichnete sich dabei durch eine besondere Gefährlichkeit aus. Sie war in ein internationales Netzwerk gewaltbereiter Islamisten eingebunden. Ihre Mitglieder bestanden aus religiös und politisch fanatisierten Personen, die bereits waren, zur Begehung von Anschlägen hohe persönliche Risiken einzugehen. [...]

Zudem bedeutet der Kläger gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 (Alt. 2) AufenthG eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil er wegen der genannten Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden ist.

Erforderlich ist insoweit die Prognose, dass der Kläger seine die Sicherheit des Staates gefährdende Betätigung auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 31/98 -, BVerwGE 109, 1; Urteil vom 5. Mai 1998 – 1 C 17/97 -, BVerwGE 106, 351; OVG NRW, Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 4728/05.A -, juris).

Diese Voraussetzung ist ebenfalls erfüllt. Es ist im vorliegenden Verfahren weder von seiten des Klägers vorgetragen noch sonst für das Gericht ersichtlich, dass sich der Kläger glaubhaft und endgültig aus seinem Umfeld gelöst hätte, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist. [...]

Der Kläger hat allerdings einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. [...]

Nach Auffassung der Kammer droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Jordanien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter.

Artikel 1 Abs. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246) regelt Folgendes:

"Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck 'Folter' jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind."

Unter Folter ist damit jede unmenschliche oder erniedrigende Behandlung physischer oder psychischer Art zu verstehen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese dem Geständnis eigener oder dem Verrat fremder Taten, der Ahndung bereits bekannter oder der Verhütung zukünftiger Handlungen dient oder Ausdruck anders motivierter Misshandlungen ist. Der Schutz vor Folter ist ein grundlegendes Menschenrecht, ihr Verbot ist in allen wichtigen Menschenrechtsabkommen enthalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 - 9 C 36/83 -, BVerwGE 67, 184).

Das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, das sich auch aus Art. 3 EMRK ergibt, gilt absolut (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 18. Februar 2008 - 37201/06 -, T gegen Italien, abrufbar unter cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp urce=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649, eine Zusammenfassung dieses Urteils wurde herausgegeben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, EU-Ius-News 3/2008, Seiten 6/7; abrufbar unter www.bamf.de/cln_092/nn_442016/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Downloads/EU-Ius- News/2007/eu-ius-news-03-2007,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/eu-ius-news-03- 2007.pdf, zuletzt nochmals ausdrücklich Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 30. Juni 2008 - 22978/05 -, H gegen Bundesrepublik Deutschland, abrufbar unter cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp cation%20%7C%20no.%20%7C%2022978/05&sessionid=11316735&skin=hudoc-en).

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger wegen seiner früheren terroristischen Aktivitäten gegebenenfalls nach wie vor eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Dies ist im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht stichhaltig (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 15. November 1996 – 70/1995/576/662 - D gegen Großbritannien, Orientierungssätze bei juris).

Die Folter wird durch ihre Zwecke nicht zu einem weniger barbarischen Akt und zwar nicht nur für den Gefolterten, sondern auch für den Folternden, der bewusst Grausamkeiten zufügt. Er mag als moralische Verzweiflungstat vorstellbar sein, als Gegenstand einer notwendig abstrakt-generellen Regelung des Rechts ist er undenkbar, weil er das Inhumane normalisiert. Folter bildet ein Jahrhunderte altes Übel, dessen Bekämpfung sich heute mit einer neuen Dringlichkeit stellt. Der einzige Weg, die Praxis der Folter einzudämmen, ist aber ihr ausnahmsloses Verbot (Mahlmann, Elemente einer ethischen Grundrechtstheorie, 2008, S. 339).

Die Verweigerung des Schutzes vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung darf auf dieser Grundlage nicht eingesetzt werden zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dafür sind die gesetzlichen polizei- und ordnungsrechtlichen Mittel sowie die ausländerrechtlichen Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen.

Dem Kläger droht im Falle seiner Rückkehr nach Jordanien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter. Dies ergibt sich aus der aktuellen Erkenntnislage. [...]

Es ist davon auszugehen, dass die jordanischen Behörden Kenntnis von dem in der Bundesrepublik Deutschland gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung haben, da dieser Prozess weitreichende Beachtung in den Medien gefunden hat. Zudem hat der Generalbundesanwalt im Zuge des Strafverfahrens gegen Mitglieder der Al Tawhid ein Rechtshilfeersuchen an Jordanien gestellt, das mit Schreiben des Generalstaatsanwalts beim Gericht für Staatssicherheit des Haschemitischen Königreichs Jordanien vom 9. Juni 2003 beantwortet wurde. Ein Interesse der jordanischen Behörden dürfte sich bereits daraus ergeben, dass die islamistisch-terroristisch ausgerichtete Bewegung Al Tawhid ihre Wurzeln in Jordanien hat bzw. hatte und vorrangig die als "unislamisch" abgelehnte jordanische Monarchie bekämpft. [...]

Die jordanischen Sicherheitsbehörden dürften entgegen der Einschätzung des Bundesamtes aufgrund der dargestellten Stellung des Klägers in der Organisation Al Tawhid ein nicht zu unterschätzendes Interesse daran haben, den Kläger eingehend zu befragen. Hierbei ist aufgrund der dargestellten Erkenntnislage davon auszugehen, dass rechtsstaatliche Anforderungen nicht eingehalten würden. Zudem ist davon auszugehen, dass der Kläger als hochrangiger Vertreter der Organisation Al Tawhid im Vergleich zu Terrorverdächtigen erst recht inhaftiert werden würde, um den jordanischen Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Staatssicherheitsdienst GID, Informationen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu liefern. Hierbei ist allerdings nach der Erkenntnislage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen würde. Die in den dargestellten Erkenntnissen detailliert beschriebenen Behandlungen stellen Folter und Misshandlung dar. Dies hat insbesondere der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen deutlich hervorgehoben.

Anhaltspunkte dafür, dass die jordanischen Sicherheitsbehörden im Falle des Klägers bei dessen Rückkehr nach Jordanien anders verfahren würden, sieht das erkennende Gericht nicht. Die Ausführungen des Bundesamtes zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, insbesondere im Schriftsatz vom 13. November 2006, berücksichtigen nicht die aktuellen, in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse, und verweisen auf Informationen aus den Jahren 2001 bis 2005. [...]

Soweit das Bundesamt eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Juli 2008 zu einem angeblich ähnlich gelagerten Fall in Bezug nimmt, ergibt sich nichts anderes. Denn der Sachverhalt des Referenzfalls wird nicht wiedergegeben, so dass eine vergleichende Betrachtung von vornherein ausscheidet. Des weiteren bestätigt die Auskunft des Auswärtigen Amtes die oben wiedergegebenen Einschätzungen des Gerichts hinsichtlich Foltergefahr in Jordanien. Nicht zuletzt weist das Gericht darauf hin, dass es entgegen der Einschätzung der Beklagten nicht darauf ankommt, ob die allgemeinen Haftbedingungen in Jordanien im regionalen Vergleich akzeptabel erscheinen, sondern allein darauf, ob dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Jordanien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG drohen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts aus den dargestellten Gründen der Fall. [...]

Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass eine Abschiebung des Klägers im vorliegenden Fall auch nach Abgabe einer sog. diplomatischen Zusicherung seitens Jordaniens kaum in Betracht kommen dürfte (vgl. allgemein hierzu: Ward, Ein Feigenblatt für Folter: die Verwendung "diplomatischer Zusicherungen" im OSZE-Raum, in: OSZE-Jahrbuch 2005, 197 ff.).

Die Kammer schließt sich den in den herangezogenen Erkenntnissen vorgebrachten Bedenken gegen sog. diplomatischen Zusicherungen an, wonach diese verwendet würden, um das internationale Folterverbot zu umgehen. Sie erleichterten die Abschiebung unerwünschter Ausländer in Länder, in denen ihnen Folter oder Misshandlung droht. Da derartige Überstellungen rechtswidrig seien, hole sich die entsendende Regierung zunächst das Versprechen des aufnehmenden Staates ein, nicht zu foltern. In den meisten Fällen seien Ausländer betroffen, denen eine Beteiligung an terroristischen Aktivitäten vorgeworfen werde oder die als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet würden. Es gebe zunehmende Anhaltspunkte dafür, dass diplomatische Zusicherungen nicht wirksam vor Folter oder Misshandlung schützten. In den vergangenen Jahren seien Menschen tatsächlich gefoltert worden, die aufgrund diplomatischer Zusicherungen abgeschoben wurden. Es gebe auch kein zuverlässiges Mittel, um die Einhaltung einer solchen diplomatischen Zusicherung zu überprüfen. Diplomatische Zusicherungen seien als bilaterale politische Vereinbarungen, die auf diplomatischer Ebene ausgehandelt werden, nicht rechtlich bindend und nicht überprüfbar. Darüber hinaus sei es sowohl für internationale als auch lokale Organisationen schwierig, freien Zugang zu Haftanstalten zu erhalten. So habe etwa das Internationale Komitee des Roten Kreuzes im April 2004 seine Besuche in jordanischen Haftanstalten für drei Monate ausgesetzt, da der Zugang zu bestimmten Gefangenen nicht garantiert worden sei (vgl. etwa Human Rights Watch, "Diplomatische Zusicherungen” gegen Folter; abrufbar unter www.hrw.org/german/backgrounder/2006/ecaqna1106/).

Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe hebt in seinem Allgemeinen Tätigkeitsbericht vom 22. September 2005 hervor, dass bisher keine überzeugenden Vorschläge unterbreitet worden seien, um einen wirksamen und verlässlichen Kontrollmechanismus zu schaffen. Ein solcher Mechanismus müsse, um überhaupt wirksam sein zu können, eine Reihe von wesentlichen Garantien umfassen, wie das Recht unabhängiger und qualifizierter Personen, die in Haft befindliche Person jederzeit ohne Vorankündigung zu besuchen und sich mit ihr ohne Anwesenheit von Zeugen an einem Ort ihrer Wahl zu unterhalten. Dieser Mechanismus müsse auch Strukturen vorsehen, um sicherzustellen, dass Missstände unverzüglich behoben werden, wenn sich herausstellen sollte, dass die erteilten Zusicherungen nicht beachtet werden (zitiert nach: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 16. Oktober 2006 1101/04 -, Rdnr. 30, juris).

Der UNHCR merkt zu sog. diplomatischen Zusicherungen an, dass ein Entsendestaat nur dann seine menschenrechtlichen Verpflichtungen erfülle, wenn solche Zusicherungen wirksam die Gefahr beseitigten, dass die betroffene Person Verletzungen der darin garantierten Rechte ausgesetzt werde. Demnach könne nur auf diplomatische Zusicherungen vertraut werden, wenn sie (1) eine geeignete Maßnahme zur Beseitigung der Gefahr für die betroffene Person sei, und (2) wenn der Entsendestaat sie nach Treu und Glauben als zuverlässig betrachten könne. Ob dies der Fall sei, müsse in jedem einzelnen Fall anhand aller maßgeblichen Informationen festgestellt werden.

Bei der Bestimmung, welches Gewicht diplomatischen Zusicherungen zukommen könne, müsse der Entsendestaat eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, einschließlich des Grades und der Art der Gefahr für die betroffene Person, der Quelle der Gefahr für den Einzelnen und ob die Zusicherungen wirksam umgesetzt werden. Dies werde unter anderem davon abhängen, ob die vorgesehene Verpflichtung für jene Staatsorgane verbindlich sei, die für die Umsetzung bestimmter Maßnahmen oder die Gewährung von Schutz verantwortlich sind, und ob die Behörden des Empfangsstaates in der Lage seien, die Einhaltung der gegebenen Zusicherungen zu gewährleisten. Die Prüfung müsse unter Berücksichtigung der allgemeinen Menschenrechtslage zum maßgeblichen Zeitpunkt im Empfangsstaat und insbesondere jeglicher Praxis im Hinblick auf diplomatische Zusicherungen oder ähnliche Verpflichtungen vorgenommen werden (Anmerkungen des UNHCR zu diplomatischen Zusicherungen und internationalem Flüchtlingsschutz, August 2006, deutsche Übersetzung durch UNHCR Berlin, Januar 2007, Asylmagazin 1-2/2007, S. 43; abrufbar auch unter www.asyl.net/Magazin/1_2_2007d.html).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte im Jahr 1996 fest, dass die Rückführung eines Sikh-Aktivisten nach Indien gegen die absolute Verpflichtung Großbritanniens verstoße, keine Person bei Foltergefahr auszuliefern, und dies obwohl die indische Regierung diplomatische Zusicherungen angeboten hatte (Urteil vom 15. November 1996 – 70/1995/576/662 - Chahal gegen Großbritannien, Orientierungssätze bei juris).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betont auch in zwei neueren Entscheidungen zum Auslieferungsrecht dass das Vorliegen solcher Zusicherungen die Vertragsstaaten der EMRK nicht davon befreie, die Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit einer Zusicherung im Einzelfall angesichts des absoluten Stellenwertes der garantierten Rechte – hier also der Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung – zu prüfen. Hierbei sei ein strenger Maßstab anzuwenden (Entscheidung vom 16. Oktober 2006 - 1101/04 -, juris, und Entscheidung vom 20. Februar 2007 35865/03 -, NVwZ 2008, 761). [...]