VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 28.01.2010 - 6 A 386/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 120 f.] - asyl.net: M16674
https://www.asyl.net/rsdb/M16674
Leitsatz:

Kein Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung, da keine entscheidungserhebliche Veränderung der Verhältnisse für aktive Sympathisanten bzw. Mitglieder der monarchistischen Opposition im Iran gegeben ist. Der Kläger wäre im Iran nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung.

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, Iran, monarchistische Opposition
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Die hier maßgeblichen Verhältnisse im Iran haben sich im Verhältnis zum Zeitpunkt des Erlasses des widerrufenen Bescheides nicht im Sinne vom § 73 AsylVfG geändert. Die von der Beklagten der Anerkennungsentscheidung zugrundegelegte Ausgangssituation ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Ergehens der Widerrufsentscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) nicht anders zu beurteilen.

An dieser Einschätzung vermag auch der Hinweis der Beklagten im angefochtenen Bescheid, die Situation im Iran habe sich im Verlauf der letzten Jahre entspannt, nichts zu ändern. Zwar ergibt sich (bereits) aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10.12.2001, dass "nunmehr von einer Veränderung der Verhältnisse im Iran auszugehen sei, sich die Situation in den letzten Jahren entspannt habe und die monarchistische Opposition nicht mehr als Bedrohung gesehen werde", dennoch hat sich in der Zwischenzeit das allgemeine Gefährdungspotential jedenfalls bei einem über die bloße Sympathisantenschaft/Mitgliedschaft hinausgehenden Engagement nicht - wie die Beklagte annimmt - verringert.

Während zuvor davon auszugehen war, dass es seit Jahren im Iran keine monarchistischen Aktivitäten mehr gegeben hatte, die monarchistische Opposition nicht im gleichen Maße wie die Volksmudjahedin als Bedrohung empfunden wurde und deshalb ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates hinsichtlich der Mitglieder monarchistischer Organisationen eher als fraglich einzustufen war (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.04.2001, Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 31.03.1998 an das VG Münster), wird seit dem Jahr 2003 eine Neubewertung des Gefährdungspotentials für aktive Mitglieder der Monarchisten für erforderlich gehalten, weil die monarchistische Opposition im Iran durch Satellitenfernsehen erhebliche Propaganda gegen das Regime betreibt und die Abneigung im iranischen Volk gegen politische, westlich gefärbte Vorschläge monarchistischen Ursprungs im weiteren Sinne nicht nur signifikant nachgelassen hat, sondern auch Forderungen dieser Exilopposition von politischen Gruppen im Iran aufgegriffen worden ist (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2004 - 22 K 7796/02.A - unter Hinweis auf die Stellungnahme des Deutschen Orient-Institutes vom 26.05.2003 an die VG Kassel und Schleswig).

Entsprechend findet sich in den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes seit dem 22.10.2004 auch die noch zuvor anzutreffende Formulierung, die Mitglieder der monarchistischen Opposition "werden (daher) nicht mehr verfolgt" (vgl. Lagebericht vom 10.12.2001), nicht mehr. Aus dem Lagebericht vom 19.11.2009 ergibt sich weiterhin, dass in Folge der Ereignisse zur Wahl 2009 die staatlichen Maßnahmen zur Unterdrückung oppositioneller Aktivitäten zugenommen haben. Missliebige Personen werden aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten (z.B. Spionage im Ausland) aus politischen Gründen angeklagt. Diese Aussagen aus dem Lagebericht werden durch die vom Gericht gewonnenen allgemeinen zugänglichen aktuellen Erkenntnisquellen (u.a. Spiegel-online, Süddeutsche Zeitung) durch Einzelfallbeispiele bestätigt. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.11.2009 weiterhin davon auch davon auszugehen, dass Auslandsiraner auch nach den Ereignissen zur Wahl 2009 strikt vom iranischen Geheimdienst beobachtet werden.

Von einer entscheidungserheblichen Veränderung der Verhältnisse für aktive Sympathisanten bzw. Mitglieder der monarchistischen Opposition kann daher nicht gesprochen werden. Das Gericht ist dabei aufgrund des unmittelbaren Eindrucks aus der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger zu dem Personenkreis gehört, der nach wie vor im Visier der iranischen Sicherheitsdienste ist. Danach kann derzeit Zeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran vor politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. [...]