VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 18.05.2010 - 2 K 1802/09.A - asyl.net: M17118
https://www.asyl.net/rsdb/M17118
Leitsatz:

Asylanerkennung wegen politischer Verfolgung im Iran nach außerehelicher Beziehung.

Schlagwörter: Asylverfahren, Asylanerkennung, Iran, sexuelles Verbrechen, Todesstrafe, Misshandlung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Februar 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der Kläger hat im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG sowie auf die Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegt. [...]

Der Kläger hat dem Gericht vermitteln können, dass er sein Heimatland wegen unmittelbar zuvor erfolgter und weiterhin drohender politischer Verfolgung verlassen hat. Ferner ist für den Fall einer Rückkehr des Klägers in den Iran eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Hierbei ist im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Kläger unterhielt zu einer Frau, mit der er bereits zuvor eng befreundet war, nach deren Eheschließung mit einem Mann, der Angehöriger der iranischen Sicherheitsbehörden ist, ein sexuelles Verhältnis. Anlässlich eines Treffens des Klägers mit seiner Geliebten in deren Haus wurden sie von der Schwiegermutter der Freundin gestört. Aufgrund bestimmter Verdachtsmomente (etwa Spuren des stattgefundenen Geschlechtsverkehrs im Bett, Zigarettenrauch) gestand die Freundin ihrem Ehemann das Verhältnis. Dieser zeigte daraufhin den Kläger an. Hierbei wurde angegeben, die Freundin des Klägers sei von diesem mit der Drohung zum außerehelichen Geschlechtsverkehr gezwungen worden, anderenfalls das Verhältnis zu offenbaren. Der Kläger, der sich zunächst bei Verwandten versteckt hatte, erfuhr zwar davon, dass man zu Hause nach ihm gesucht hatte, glaubte aber schließlich, nachdem sich derartige Aktionen während eines längeren Zeitraums nicht wiederholt hatten, dass eine akute Gefahr nicht mehr bestehe, und kehrte nach rund zwei Monaten nach Hause zurück. Bei einem nachfolgenden Friseurbesuch wurde er von zwei Sicherheitskräften festgenommen und zur Dienststelle gebracht, wo er in eine Einzelzelle gesteckt wurde. Bei den nachfolgenden Verhören wurde er eines mit der Todesstrafe bedrohten sexuellen Verbrechens bezichtigt. Zudem erhob man gegen ihn den Vorwurf, ebenso wie sein ältester (Halb-)Bruder und sein Vater ein Gegner des islamischen Systems zu sein. Der Kläger wurde hierbei physisch und psychisch schwer misshandelt. Unter diesem Druck gestand er schließlich das Verhältnis zu seiner Freundin. Nach elf Tagen wurde er in ein Auto gesetzt. Er wurde jedoch nicht zum Gericht gebracht, sondern an einer Ringstraße aus dem Fahrzeug geworfen. Dort erwartete ihn sein Bruder, der mit Hilfe eines bei den Sicherheitskräften beschäftigten Bekannten den Aufenthaltsort des Klägers ausfindig gemacht und dessen Freilassung durch Zahlung von Bestechungsgeldern bewirkt hatte. Danach wurde der Kläger versteckt, bis der Bruder seine Flucht aus dem Iran mit Hilfe eines Schleusers in die Wege geleitet hatte. Über die "grüne Grenze" gelangte der Kläger in die Türkei und von Gaziantep aus auf dem Luftweg nach Deutschland. In der Nacht zum 22. Oktober 2008 landete er auf dem Flughafen Hannover.

Das Gericht glaubt dem Kläger diese Fluchtgründe, da er sie insbesondere in der mündlichen Verhandlung umfänglich, unter Schilderung zahlreicher, auf tatsächlich Erlebtes hinweisender Einzelheiten und weitgehend widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit seiner Darstellung gegenüber dem Bundesamt vorgetragen hat. Insgesamt bietet sein Vorbringen, wie auch bereits das trotz Bundesamt - ungeachtet einiger angeblicher Ungereimtheiten - letztlich festgestellt hat, ein stimmiges, in sich schlüssiges Bild. Es ist zudem allgemein bekannt, dass es bei Verhören in iranischen Einrichtungen immer wieder zur Anwendung von Folter oder unmenschlicher Behandlung insbesondere zur Erzwingung von Geständnissen kommt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. November 2009, Seite 33). Dazu, dass das Gericht dem Kläger insoweit glaubt, hat auch beigetragen, dass er bei der Schilderung der ihm anlässlich der Verhöre zugefügten Misshandlungen emotional stark betroffen war und diese Betroffenheit bei der weiteren Befragung - ungeachtet einer zwischenzeitlichen Unterbrechung - spürbar nachwirkte. [...]

Bei den Misshandlungen handelte sich auch um "politische" Verfolgung, weil diese auch in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale des Klägers erfolgten. Zwar war der eigentliche Anlass für die Festnahme des Klägers, dass dieser des "unerlaubten Geschlechtsverkehrs" nach Art. 64 iStGB bzw. des "unzüchtigen Verhaltens" nach § 637 iStGB bezichtigt wurde, und fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten, dass der iranische Staat mit diesen Vorschriften, die nicht durch das gegenwärtige iranische Regime eingeführt wurden, sondern einer Jahrhunderte alten Tradition islamischen Rechts entsprechen, allgemein eine politisch missliebige Gesinnung oder Betätigung ahnden will (vgl. Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24. Oktober 2001 - 5 LB 448/01 -; im Ergebnis auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. April 2001 - 7 A 11797/00.OVG -; Urteil des erkennenden Gerichts vom 2. Mai 2006 - 2 K 37/06.A -).

Ein solcher "Polit-Malus" trat im Falle des Klägers aber hinzu. Die Sicherheitsbehörden nahmen die Anzeige wegen der Sexualdelikte zum Anlass, die politische Gegnerschaft seiner Familie, die bereits sein ältester Bruder mit dem Tode hatte büßen müssen, auch ihm anzulasten und gegen ihn Methoden anzuwenden, die wesentlich schärfer waren als die bei der Verfolgung von Vergehen ohne politischen Hintergrund eingesetzten Mittel (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1994 - 9 B 14.04 -, NVwZ 1994, 1122, m.w.N.).

Hat die Behandlung des Klägers bereits aus diesen Gründen den Charakter auch einer politischen Verfolgung gewonnen, kann dahinstehen, ob das auch deshalb der Fall war, weil mit dem betrogenen Ehemann ein Staatsdiener in seiner Ehre verletzt worden war.

Die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens wird auch nicht dadurch erschüttert, dass er als von den iranischen Sicherheitsbehörden gesuchte Person das Land hat verlassen können. Insbesondere entspricht die vom Kläger dargestellten Flucht unter Umgehung der Grenzkontrollen (über die "grüne Grenze") in die Türkei den tatsächlichen Möglichkeiten (vgl. nur Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. November 2009, Seite 41).

Es ist schließlich nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran erneut Verhaftung und weitere asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen drohen. Als jemand, der bereits inhaftiert war und sich der Bestrafung vermeintlich durch Flucht entzogen und das Land illegal verlassen hat, würde anlässlich der Wiedereinreise üblichen Kontrollen voraussichtlich erneut festgenommen und weiteren Zwangsmaßnahmen von asylrechtlicher Relevanz unterworfen. [...]