1. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass
– nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
– eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und
– bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
2. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.
[...]
49 Mit seinen ersten beiden Fragen in beiden Rechtssachen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta verstößt, eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie sein kann und ob insoweit zwischen einem "Kernbereich" der Religionsfreiheit und ihrer Ausübung in der Öffentlichkeit zu unterscheiden ist.
50 Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie mit "Flüchtling" insbesondere ein Drittstaatsangehöriger bezeichnet wird, der sich "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung" wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und der den "Schutz" dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder "wegen dieser Furcht" nicht in Anspruch nehmen will.
51 Der betreffende Staatsangehörige muss somit aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände und des Verhaltens der Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, eine begründete Furcht vor einer Verfolgung haben, die sich aus zumindest einem der fünf in der Richtlinie und der Genfer Konvention genannten Gründe gegen seine Person richtet, wobei einer dieser Gründe seine "Religion" ist.
52 Gemäß Art. 13 der Richtlinie erkennt der betroffene Mitgliedstaat dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zu, wenn dieser die insbesondere in den Art. 9 und 10 der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen erfüllt.
53 Art. 9 der Richtlinie definiert die Merkmale, die es erlauben, Handlungen als Verfolgung zu betrachten. So müssen die fraglichen Handlungen gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie, auf den sich das vorlegende Gericht in seinen ersten beiden Fragen bezieht, aufgrund ihrer Art oder Wiederholung "so gravierend" sein, dass sie "eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen", insbesondere der absoluten Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist.
54 Außerdem stellt Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie klar, dass eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die "so gravierend" ist, dass eine Person davon in "ähnlicher" wie der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist, ebenfalls als Verfolgung gilt.
55 Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen, darunter dem in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definierten Verfolgungsgrund der "Religion", und den Verfolgungshandlungen bestehen.
56 Das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Religionsfreiheit entspricht dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht.
57 Die Religionsfreiheit ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten.
58 Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung darstellt, die die zuständigen Behörden verpflichten würde, denjenigen, der diesem Eingriff ausgesetzt wird, als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie anzuerkennen.
59 Aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie ergibt sich vielmehr, dass eine "schwerwiegende Verletzung" dieser Freiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung gelten können.
60 Somit sind Handlungen, die gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Ausübung des Grundrechts auf Religionsfreiheit im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Charta darstellen, ohne deswegen dieses Recht zu verletzen, von vornherein ausgeschlossen, da sie durch Art. 52 Abs. 1 der Charta gedeckt sind.
61 Handlungen, die zwar gegen das in Art. 10 Abs. 1 der Charta anerkannte Recht verstoßen, aber nicht so gravierend sind, dass sie einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf, können ebenfalls nicht als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und Art. 1 A der Genfer Konvention gelten.
62 Um konkret festzustellen, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten können, ist es nicht angebracht, zwischen Handlungen, die in einen "Kernbereich" ("forum internum") des Grundrechts auf Religionsfreiheit eingreifen sollen, der nicht die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit ("forum externum") erfassen soll, und solchen, die diesen "Kernbereich" nicht berühren sollen, zu unterscheiden.
63 Diese Unterscheidung ist nicht vereinbar mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, die alle Komponenten dieses Begriffs, ob öffentlich oder privat, kollektiv oder individuell, einbezieht. Zu den Handlungen, die eine "schwerwiegende Verletzung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben.
64 Diese Auslegung ist geeignet, Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie einen Anwendungsbereich zu sichern, in dem die zuständigen Behörden alle Arten von Eingriffen in das Grundrecht auf Religionsfreiheit prüfen können, um festzustellen, ob sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie als Verfolgung gelten können.
65 Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der Repressionen, denen der Betroffene ausgesetzt ist, und deren Folgen, wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.
66 Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierten Rechts eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich deshalb danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können.
67 Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
68 Insoweit ist anzumerken, dass eine zuständige Stelle, wenn sie nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie einen Antrag auf internationalen Schutz individuell prüft, alle Akte berücksichtigen muss, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können.
69 Da der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definierte Religionsbegriff auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, umfasst, kann das Verbot einer solchen Teilnahme eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen, wenn sie in dem betreffenden Herkunftsland für den Antragsteller u. a. die tatsächliche Gefahr heraufbeschwört, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
70 Bei der Prüfung einer solchen Gefahr wird die zuständige Behörde eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Der subjektive Umstand, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der Öffentlichkeit, die Gegenstand der beanstandeten Einschränkungen ist, zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, ist ein relevanter Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Größe der Gefahr, der der Antragsteller in seinem Herkunftsland wegen seiner Religion ausgesetzt wäre, selbst wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis keinen zentralen Bestandteil für die betreffende Glaubensgemeinschaft darstellt.
71 Aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie geht nämlich hervor, dass der Schutzbereich des mit der Religion verknüpften Verfolgungsgrundes sowohl Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die die Person für sich selbst als unverzichtbar empfindet, d. h. diejenigen Verhaltensweisen, "die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen", umfasst, als auch solche Verhaltensweisen, die von der Glaubenslehre angeordnet werden, d. h. diejenigen, die "nach dieser [Überzeugung] vorgeschrieben sind".
72 In Anbetracht all dessen ist auf die erste und die zweite Frage in beiden Rechtssachen zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass
– nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
– eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und
– bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
Zur dritten Frage
73 Mit der dritten Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung dann vorliegt, wenn er eine Verfolgung in seinem Herkunftsland dadurch vermeiden kann, dass er auf die Vornahme bestimmter religiöser Betätigungen verzichtet.
74 Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist zu bemerken, dass sie den – in den Ausgangsverfahren vorliegenden – Fall betrifft, dass der Antragsteller nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht worden ist.
75 Da es an einem solchen "ernsthaften Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers begründet ist", im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie fehlt, stellt sich für das vorlegende Gericht die Frage, inwieweit von dem Antragsteller, wenn er seine Furcht nicht mit einer wegen seiner Religion bereits erlittenen Verfolgung begründen kann, verlangt werden könnte, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland die tatsächliche Gefahr einer Verfolgung weiterhin vermeidet.
76 Hierzu ist festzustellen, dass nach der Systematik der Richtlinie die zuständigen Behörden, wenn sie nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie prüfen, ob ein Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung hat, herauszufinden versuchen, ob die festgestellten Umstände eine solche Bedrohung darstellen, dass der Betroffene in Anbetracht seiner individuellen Lage begründete Furcht haben kann, tatsächlich Verfolgungshandlungen zu erleiden.
77 Diese Beurteilung der Größe der Gefahr, die in allen Fällen mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist (Urteil Salahadin Abdulla u. a., Randnr. 90), beruht ausschließlich auf einer konkreten Prüfung der Ereignisse und Umstände anhand der Regeln, die insbesondere in Art. 4 der Richtlinie enthalten sind.
78 Keine dieser Regeln deutet darauf hin, dass bei der Beurteilung der Frage, wie groß die Gefahr ist, dass der Betreffende tatsächlich Verfolgungshandlungen in einem bestimmten Kontext erleiden wird, berücksichtigt werden müsste, ob der Antragsteller die Gefahr einer Verfolgung möglicherweise dadurch vermeiden kann, dass er auf die betreffende religiöse Betätigung und folglich auf den Schutz, den ihm die Richtlinie mit der Anerkennung als Flüchtling garantieren soll, verzichtet.
79 Sobald feststeht, dass sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, müsste ihm daher nach Art. 13 der Richtlinie die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden. Dass er die Gefahr durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist grundsätzlich irrelevant.
80 Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage in beiden Rechtssachen zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten. [...]
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass
– nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
– eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und
– bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
2. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten. [...]