Die Dublin II-Verordnung beinhaltet auch die Begründung von Vertrauensschutz für die Asylsuchenden im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens zur Prüfung der Zuständigkeit des für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats. Es obliegt einem Mitgliedstaat, der sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaat berufen will, das darauf gerichtete Verfahren zügig durchzuführen. Eine Außerachtlassung dieser Obliegenheit stellt eine Verletzung der Rechte der Antragsteller aus Art. 18 der Charta dar, die die Verpflichtung des Mitgliedstaats begründet, den Asylantrag selbst zu prüfen.
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Der so verstandene Antrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Abschiebungsanordnung in dem angefochtenen Bescheid ist offensichtlich rechtswidrig.
Der Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO steht nicht die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine durch das Bundesamt erfolgte Abschiebungsanordnung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§§ 34 a Abs. 1, 27 a AsylVfG) nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in verfassungskonformer Auslegung dieses Ausschlusses vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen nach allgemeinen Regeln dann in Betracht kommt, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem Sonderfall betroffen ist, der von dem der gesetzlichen Regelung in § 34a Abs. 2 AsylVfG zugrunde liegenden Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangen wird (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A –, www.nrwe.de, m.w.N., insbesondere bezugnehmend auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 –, juris, und auf BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris).
Voraussetzung dafür, dass ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union sich gegenüber einem Asylbewerber nach Art 16 ff. der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (Im Folgenden: Dublin-II-VO) nicht auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats berufen kann, ist, dass hinsichtlich dieses Mitgliedstaats nicht unbekannt sein kann, dass er die Beachtung und Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – GFK – vom 28 Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 953) sowie der Richtlinien 2003/09, 2004/83 und 2005/85 nicht sicherstellt, wobei allerdings nicht der geringste Verstoß hiergegen zur Unvereinbarkeit mit den Regelungen der Verordnung Nr. 343/2003 führen kann, sondern es sich um einen systemischen Mangel handeln muss (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 – juris -).
Anhaltspunkte für mögliche erhebliche systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Zypern könnten sich ergeben aus dem Jahresbericht 2012 von amnesty international, "Punishment Without a Crime – Detention of migrants and asylum – seekers in Cyprus",http://www.amnesty.org/fr/library/asset/EUR17/001/2012/en/36f06387-9ce6-43df-9734-a4550fa413d6/eur170012012en.pdf, wonach Asylsuchende und Ausreisepflichtige unter möglicherweise menschenrechtswidrigen Bedingungen inhaftiert werden und ihre Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten und Unterkunft nicht grundsätzlich gewährleistet ist. Mangels anderer Erkenntnisquellen lässt sich jedenfalls nicht ausschließen, dass es sich bei den geschilderten Umständen um systemische Mängel handelt.
Ob die Antragsteller bei einer Abschiebung nach Zypern mit derartig schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu rechnen hätten, dass die Erfüllung ihrer notwendigen Lebensbedürfnisse gefährdet wäre und/oder sie sonst eine erhebliche Verletzung ihrer im Rahmen der zitierten normativen Vergewisserung zu gewährleistenden Rechte zu gewärtigen hätten, kann hier jedoch dahinstehen.
Der vorliegende Antrag hat bei verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG schon deshalb Erfolg, weil die Antragsgegnerin die Anforderungen an das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit nach der Dublin-II-VO nicht erfüllt hat. Dieses Verfahren hat im Fall der Antragsteller unangemessen lange gedauert und damit ihre Rechte aus Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verletzt.
Der Antragsgegnerin ist es verwehrt, sich auf die Zuständigkeit der Republik Zypern für die Entscheidung über den Asylantrag der Antragsteller zu berufen, weil sie die zeitlichen Anforderungen an das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit nach der Dublin-II-VO nicht erfüllt hat. Die Dublin-II-VO bezweckt nicht nur, Asylsuchende daran zu hindern, gleichzeitig oder nacheinander Asylanträge in verschiedenen Ländern der EU zu stellen, sondern beinhaltet auch die Begründung von Vertrauensschutz für die Asylsuchenden im Hinblick auf die Dauer der Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit des für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats. So ist nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-II-VO ein an einen anderen Staat zu richtender Antrag auf Aufnahme eines Asylbewerbers so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb von drei Monaten zu stellen, und der angegangene Mitgliedstaat hat gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung innerhalb von zwei Monaten hierüber zu befinden. Die Nichteinhaltung dieser Fristen begründet sodann die Zuständigkeit des jeweiligen Mitgliedstaats gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2, bzw. 18 Abs. 7 der Verordnung. Danach obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats berufen will, das darauf gerichtete Verfahren zügig durchzuführen. Eine Außerachtlassung dieser Obliegenheit stellt eine Verletzung der Rechte der Antragsteller aus Art. 18 der Charta dar, die die Verpflichtung des Mitgliedstaats begründet, den Asylantrag selbst zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O., Randnummern 98, 108).
Das Bundesamt hatte spätestens seit der Anhörung der Antragsteller am 15. August 2011 gesicherte Erkenntnisse darüber, dass die Antragsteller bereits ein Asylverfahren in Zypern erfolglos betrieben hatten, weil sie diesen Vorgang nicht nur vorgetragen, sondern auch die ablehnende Entscheidung der zypriotischen Behörden vorgelegt hatten. Die Antragsteller waren auch bei Antragstellung am 29. Juli 2011 gemäß Art. 3 Abs. 4 der Dublin-II-VO über die Kriterien und das Verfahren nach der Verordnung und ausdrücklich über die genannten Fristenregelungen belehrt worden. Dennoch wurde das Wiederaufnahmegesuch erst annähernd sieben Monate später, nämlich am 13. März 2012, an die zypriotischen Behörden gesandt. Diese Vorgehensweise widerspricht dem Grundgedanken der Dublin-II-VO, "eine klare und praktikable Methode" einzurichten, mit der "rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist". In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Verordnung nach dem 15. Erwägungsgrund darauf abzielt, "die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18" (der Charta) "verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten" (so EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O., Randnummern 15, 84). Daher hat der Mitgliedstaat, der die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für die Entscheidung über einen Asylantrag geltend machen will, "jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird," (so EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O. Randnummern 98, 108).
Daraus folgt, dass der ersuchende Mitgliedstaat sich nur dann auf die Zuständigkeitsregeln der Dublin-II-VO berufen kann, wenn er seinen Obliegenheiten nachgekommen ist und eine Verletzung der Grundrechte der Asylbewerber insoweit nicht zu befürchten ist.
Soweit das Bundesamt im Schriftsatz vom 25. Juli 2012 darauf hinweist, dass die Dublin-II-VO bezüglich eines Wiederaufnahmegesuchs keine Fristenregelung enthalte, weil Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung nur auf Aufnahmegesuche nach Art. 16 Abs. 1 a) der Verordnung Anwendung finde (in den Fällen, in denen noch nicht in einem anderen Mitgliedstaat ein Asylantrag gestellt wurde), greift diese Argumentation zu kurz. Aus dem Wortlaut des Art. 17 der Verordnung ("Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde...) folgt zunächst keine ausdrückliche Einschränkung in der Weise, dass ein Wiederaufnahmegesuch von der Vorschrift nicht erfasst wäre. Auch der Regelung in Art. 16 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung, die auf die Art. 17 bis 19 verweist, sowie der Regelung in Art. 16 Abs. 1 c) bis e), wonach im Fall der Wiederaufnahme eines Asylbewerbers – u. a. nach Abschluss eines vorangegangenen Asylverfahrens in dem anderen Mitgliedstaat – auf Art. 20 der Verordnung verwiesen wird, ist nichts anderes zu entnehmen. Denn Art. 20 der Verordnung befasst sich allein mit den Modalitäten der Wiederaufnahme durch den aufnehmenden Staat, wobei dieser in längstens einem Monat zu entscheiden hat. In diesem Zusammenhang wäre es systemwidrig, wenn der abgebende Mitgliedstaat – allein im Fall der Wiederaufnahme – unbegrenzt Zeit für die Antragstellung hätte. Dies lässt den Schluss zu, dass Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO alle Arten von Aufnahmeanträgen erfasst. Bestätigt wird diese Auffassung durch den klarstellenden Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Neufassung der Verordnung Nr. 343/2003 vom 3. Dezember 2008 (https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/gesetzetexte /EU-Komm._v._3.12.08_zur_Dublin_IIVO.pdf),Art. 20 durch Art. 23 zu ersetzen und darin ausdrücklich für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs eine Frist von zwei, bzw. drei Monaten festzulegen.
Die Übermittlung des Wiederaufnahmeantrags sieben Monate nach Stellung des Asylantrages erfüllt die an eine zügige Weiterleitung zu stellenden Anforderungen nicht und ist deshalb mit dem Grundgedanken der Dublin-II-VO nicht zu vereinbaren.
Spricht somit vorliegend alles dafür, dass die Antragsgegnerin durch die zeitliche Verzögerung und damit durch Missachtung ihrer Obliegenheiten bei der Stellung des Wiederaufnahmeantrags die Rechte der Antragsteller aus Art. 18 der Charta verletzt hat und ihr daher aus Gründen des Grundrechtsschutzes die Abgabe der Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags an Zypern verwehrt ist, verbietet die verfassungskonforme Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG, den Antragstellern die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes zu entziehen.
Das Gericht kommt im Rahmen der ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse der Antragsteller, bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Zypern abgeschoben zu werden, höher zu bewerten ist, als das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebung. Das öffentliche Interesse hat gegenüber dem Anspruch der Antragsteller auf einen Schutz entsprechend den nach dem Europäischen Gemeinschaftsrecht bestehenden Mindeststandards zurückzutreten. Es besteht die Gefahr, dass im Fall einer Überstellung der Antragsteller nach Zypern, z. B. wegen drohender Obdachlosigkeit und Unerreichbarkeit nicht mehr rückgängig zu machende Rechtsbeeinträchtigungen eintreten. [...]