SG Lübeck

Merkliste
Zitieren als:
SG Lübeck, Beschluss vom 09.10.2018 - S 36 AL 172/18 - asyl.net: M26645
https://www.asyl.net/rsdb/M26645
Leitsatz:

Vorläufige ausbildungsbegleitende Hilfe für afghanischen Asylsuchenden:

1. Die Beurteilung der sogenannten "gute Bleibeperspektive" kann nicht allein anhand der Gesamtschutzquote des jeweiligen Herkunftslands erfolgen, sondern muss individuell vorgenommen werden. Bereits der Wortlaut des § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wonach Personen, bei denen ein rechtmäßiger Aufenthalt zu erwarten ist, förderungsfähig sind, knüpft nicht an das Herkunftsland, sondern an die Person an, die Leistungen beantragt.

2. Ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt, der für die Ausbildungsförderung von § 132 Abs. 1 SGB III vorausgesetzt wird, kann bereits deshalb angenommen werden, weil die betroffene Person eine Ausbildung aufgenommen hat. Denn selbst bei rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags besteht dann ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG und ggf. auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18a Abs. 1a AufenthG (entgegen SG Köln, Beschluss vom 22.05.2018 - S 20 AL 204/18 ER - Asylmagazin 7-8/2018, S. 281 ff. - asyl.net: M26284).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsförderung, Asylverfahren, Berufsausbildungsbeihilfe, Asylsuchende, Asylverfahren, Ausbildung, Berufsausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfe, Afghanistan, Bleibeperspektive, Schutzquote, einstweilige Anordnung, Anerkennungsquote, Aufenthaltsgestattung, dauerhafter Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Gesamtschutzquote, Ausbildungsbeihilfe, Ausbildungsduldung,
Normen: SGG § 86b Abs. 2 S. 2, SGB III § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, SGB III § 59, SGB III § 56, SGB III § 122, SGB III § 132, AufenthG § 18a Abs. 1 Bst. a, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 44 Abs. 4 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die darüber hinaus erforderliche Bleibeperspektive ist auf jeden Fall dann anzunehmen, wenn abstrakt für das fragliche Herkunftsland eine Schutzquote von mehr als 50 Prozent besteht. Dies ist für Afghanistan, das Herkunftsland des Antragstellers, nicht der Fall. Diese rein abstrakte Betrachtung der guten Bleibeperspektive lässt sich zur Überzeugung des Gerichts nach dem Wortlaut der Vorschrift jedoch nicht zur generellen Maxime aufwerten. Schon rein sprachlich knüpft die Erwartung des rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht an das Herkunftsland, sondern an die Person des die Leistung nachsuchenden Ausländers an. Dies macht zwar generelle Betrachtungen, wie die vorstehende der Gesamtschutzquote - was auch die in Satz 2 aufgenommene negative Vermutungsregel zeigt - nicht von vornherein wertlos, eine individuelle Betrachtung erübrigt sich dadurch gleichwohl nicht.

Hier kann unter anderem zu berücksichtigen sein werden, ob der die Leistung nachsuchende Ausländer die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitel erfüllt, ohne dass dieser bereits erteilt worden wäre. Denn wenn zwingendes Recht die Zuerkennung eines aufenthaltsrechtlichen Status vorsieht, der wiederum die Zugehörigkeit zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 Abs. 2 SGB III zur Folge hätte, legt dies regelmäßig die Annahme einer guten Bleibeperspektive nahe.

Diese ergibt sich daher hier zur Überzeugung des Gerichts daraus, dass der Antragsteller gegenwärtig eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert und damit auch bei einer rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrages einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung hat. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Abs. 8 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller seit der Aufnahme der Ausbildung, da die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht ersichtlich sind, so dass ihm die Duldung zu erteilen wäre und er nach § 5 Abs. 2 SGB III zum förderungsfähigen Personenkreis gehören würde.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller sich auch für den Fall einer negativen Gerichtsentscheidung über seinen Asylantrag weiter rechtmäßig für die Dauer seine Ausbildung (und ggf. nach § 18a Abs. 1 a AufenthG auch über die Ausbildung hinaus) in Deutschland aufhalten darf. Die Voraussetzungen von § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind damit erfüllt. [...]