Flüchtlingsanerkennung wegen drohender politischer Verfolgung in Weißrussland:
1. Strafrechtliche Verurteilungen und anschließende Inhaftierung wegen regimekritischer Meinungsäußerungen anlässlich einer Demonstration stellen politische Verfolgung dar.
2. Eine später erfolgte Freilassung aufgrund internationalen Drucks - jedoch unter strengen Auflagen - steht einer Rückkehrgefährdung nicht entgegen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Kläger haben durchgehend schlüssig und überzeugend vorgetragen, ohne dass im Vorbringen Widersprüche zu erkennen gewesen wären, die eine Glaubhaftmachung ausscheiden lassen würden, dass sie nach § 3c Nr. 1 AsylG vom weißrussischen Staat aufgrund einer Demonstration gegen Präsidenten Lukaschenko verfolgt werden. Da diese Verfolgung das gesamte Staatsgebiet Weißrusslands betrifft, haben die Kläger auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG. Aufgrund der Schilderung des bisherigen Verfolgungsschicksals der Kläger ist es somit hinreichend wahrscheinlich in oben genanntem Sinne, dass die Kläger, falls sie nach Weißrussland zurückkehren müssten, erneut einen nicht hinnehmbaren Schaden befürchten müssten. Denn aufgrund des Sachvortrags des Klägers zu 1) geht das Gericht davon aus, dass durch die von diesem geschilderten Verurteilungen durch den weißrussischen Staat eine Disziplinierung und Einschüchterung hat erreicht werden sollen, um nicht nur den Kläger zu 1) selbst, sondern auch andere politische Gegner der Lukaschenko-Regierung zu disziplinieren. Zwar wurde hinsichtlich der Verurteilungen des Klägers zu 1) jeweils ein nachvollziehbarer Grund angegeben, doch lassen - immer entsprechend der Schilderung der Kläger - insbesondere die überhohe Strafzumessung, aber auch die sonstigen Umstände unzweideutig darauf schließen, dass insbesondere die Strafhöhe im Verhältnis zum Anlass bzw. zu der den Kläger zu 1) vorgeworfenen Straftat selbst ungebührlich hoch erfolgte. Ein anderer Grund hierfür als der vom Kläger zu 1) vorgetragene Umstand, er habe ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Lukaschenko, geh weg" getragen, ist weder von den Klägern vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Die Beklagte hat hierzu auch weder im schriftlichen Verfahren Stellung genommen, noch war sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vertreten. Das Gericht darf und muss also davon ausgehen, dass die Ursache dieser übermäßigen Strafzumessung die Disziplinierung vermeintlicher politischer Gegner darstellt. In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, dass die Kläger, jedenfalls nach ihrem eigenen Sachvortrag, erst dann ausgereist sind, als sie für sich eine weitere Zukunft in Weißrussland nicht mehr haben sehen können.
Dem spricht auch nicht entgegen, dass der Kläger zu 1) am ... 2015 im Rahmen einer Generalamnestie aus dem Gefängnis entlassen wurde. Vielmehr spricht viel dafür, dass ein gewisser internationaler Druck hierzu geführt haben könnte. Die Kläger haben vorgetragen, dass beispielsweise Radio Free Europe über den Fall berichtet hat und haben des Weiteren Unterlagen vorgelegt, denen sich entnehmen lässt, dass der Fall des Klägers zu 1) über die weißrussischen Grenzen hinaus internationalen Widerhall gefunden hat. Dass, anders als im streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Mai 2017 ausgeführt, durch die Generalamnestie und Freilassung des Klägers zu 1) ein Verfolgungsinteresse des weißrussischen Staates für die Zukunft auszuschließen sei, ist ebenfalls nichts ersichtlich. Zuzugeben ist allenfalls, dass die Freilassung des Klägers offenbar aus freien Stücken erfolgte, dass der Kläger gleichzeitig aber nur unter strengen Auflagen freigelassen worden war. Wenn der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung vorträgt, er habe sich immer wieder bei der Polizei meiden müssen, so ist dies nachvollziehbar. Auch nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch der neue Sachvortrag der Kläger, sie würden zwischenzeitlich gesucht. Zwar mag dieser Umstand im Wesentlichen auch damit zu tun haben, dass die Kläger aufgrund ihrer Ausreise und Asylantragstellung im Bundesgebiet den mutmaßlichen Bewährungsauflagen nicht nachkommen konnten, was konsequenterweise einen erneuten Haftbefehl zumindest für den Kläger zu 1) nach sich ziehen würde, doch besteht aufgrund der Vorfluchtgründe der Kläger auch hier ein hinreichend wahrscheinliches Risiko, erneut einer politisch motivierten Verurteilung entgegensehen zu müssen. [...]