BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 1.19; ähnlich: 1 C 20.19, 1 C 21.19, 1 C 22.19 - asyl.net: M28423
https://www.asyl.net/rsdb/M28423
Leitsatz:

Rechtsschutz in Deutschland gegen Asylantragsablehnung als "einfach unbegründet" ist unionsrechtskonform:

1. Der in Deutschland vorgesehene Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines Antrags auf Asyl und internationalen Schutz als "einfach unbegründet" entspricht den Vorgaben des EuGH Urteils vom 19.06.2018 (C-181/16 Gnandi gg. Belgien - Asylmagazin 9/2018, S. 310 ff. - asyl.net: M26457).

2. Die Verbindung der Asylantragsablehnung mit einer Rückkehrentscheidung (hier: Abschiebungsandrohung) wahrt im Ergebnis die Anforderungen, die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergeben, wonach gemäß der Rückführungsrichtlinie zu gewährleisten ist, dass die betreffende Person bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Asylantragsablehnung ein Bleiberecht hat und dieser Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet.

a. Die Regelung des § 38 Abs. 1 S. 1 AsylG, wonach die Ausreisefrist bereits mit der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids - während der Klagefrist - zu laufen beginnt, ist angesichts des Fristlaufverbots und Bleiberechtsgebots der Rückführungsrichtlinie unionsrechtswidrig.

b. Bei Klageerhebung allerdings gilt die unionsrechtskonforme Regelung des § 38 Abs. 1 S. 2 AsylG, wonach die Ausreisefrist 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens endet.

c. Um auch für Fälle, in denen es nicht zu einer Klageerhebung kommt, die Unionsrechtskonformität zu wahren, kann das BAMF die Ausreisefrist für die Dauer der Klagefrist nach § 80 Abs. 4 VwGO aussetzen.

3. Eine Verletzung der Informationspflicht durch das BAMF, die betreffende Person über die ihr bis zur Gerichtsentscheidung zustehenden Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte zu unterrichten, führt nicht zur Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung.

(Leitsätze der Redaktion)

Siehe auch:

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, Ablehnungsbescheid, Asylverfahren, Rechtsmittel, Rechtsbehelf, wirksamer Rechtsbehelf, Gnandi, EuGH, Non-Refoulement, Refoulement, Abschiebungsandrohung, Rückführungsrichtlinie, Vorabentscheidungsverfahren, effektiver Rechtsschutz, Ausreisefrist, Bleiberecht, Informationspflicht, Unionsrecht, Klagefrist, Belehrung,
Normen: AsylG § 34 Abs. 1, AsylG Abs. 2, AsylG § 34a, AsylG § 38 Abs. 1 S. 1, AsylG § 38 Abs. 1 S. 2, AsylG § 67, AsylG § 74 Abs. 2 S. 2, § 75 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 1, VwGO § 80 Abs. 4, RL 2008/115/EG Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, RL 2008/115/EG Art. 5, RL 2008/115/EG Art. 6, AufenthG § 59 Abs. 1 S. 6, AufenthG § 59 Abs. 1 S. 7,
Auszüge:

[...]

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend dahin entschieden, dass die Abschiebungsandrohung, die allein noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (1.), den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt und daher nicht aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung und ihre Verbindung mit der ablehnenden Asylentscheidung entspricht den gesetzlichen Voraussetzungen des nationalen Rechts (2.). Die Anforderungen, die sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465], Gnandi -) für eine Verbindung einer ablehnenden Asylentscheidung mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung durch das Unionsrecht ergeben (3.1), sind im Ergebnis ebenfalls gewahrt (3.2). Die Verletzung der unionsrechtlichen Pflicht, den Ausländer über die ihm nach dem Unionsrecht bis zur Entscheidung über die Klage zustehenden Rechte und Garantien zu unterrichten, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung (4.). [...]

2. Die Abschiebungsandrohung und ihre Verbindung mit der ablehnenden Asylentscheidung entspricht den Vorgaben des nationalen Gesetzesrechts. [...] Eine etwa fortgeltende Aufenthaltsgestattung (§§ 63 ff., § 67 AsylG) ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG; sie ändert als verfahrensabhängiges Bleiberecht auch nichts daran, dass sich der Ausländer nach der Ablehnung des Asylantrages im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG "illegal" im Bundesgebiet aufhält.

Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG, der insoweit an den durch Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG belassenen Spielraum zur Ausgestaltung durch innerstaatliche Rechtsvorschriften anknüpft, soll die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Gründe, die unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben für diese Verknüpfung (dazu 3.1) im Fall des Klägers ein Absehen von einer Abschiebungsandrohung ermöglicht oder geboten hätten, sind tatrichterlich nicht festgestellt und auch sonst nicht erkennbar. [...]

3. Die Abschiebungsandrohung steht auch mit den Vorgaben, die sich aus dem Unionsrecht für eine Verbindung von ablehnender Asylentscheidung mit der Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung ergeben (dazu 3.1), im Ergebnis im Einklang (dazu 3.2). [...]

Für die Verbindung einer ablehnenden Entscheidung über den Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes durch die zuständige Behörde mit dem Erlass einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrages hat der EuGH (Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -; s.a. Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU [ECLI:EU:C:2018:544] -) entschieden, dass die RL 2008/115/EG in Verbindung mit der RL 2005/85/EG im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemeinsam mit der Ablehnung des Schutzantrages nicht schlechthin entgegenstehen. Der betreffende Mitgliedstaat muss aber gewährleisten, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der RL 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die RL 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 60 ff., 68); auch muss sichergestellt sein, dass der Ausländer nicht zwecks Abschiebung in Haft genommen wird (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 62; Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - Rn. 54, 56). Dem Gebot, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrages auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet und während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind, genügt dabei nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Es müssen vielmehr alle Rechtswirkungen dieser Entscheidung ausgesetzt werden. Daher darf insbesondere die in Art. 7 RL 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 61 f.). [...]

3.2 Diese Voraussetzungen sind hier bei der Abschiebungsandrohung in der Gestalt, in der sie zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht, erfüllt, so dass sie auch nach Unionsrecht mit der ablehnenden Asylentscheidung verbunden werden durfte und hiervon nicht nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG abzusehen war. Es ist gewährleistet, dass eine Abschiebung nicht erfolgen kann (3.2.1) und ein Bleiberecht, also keine Verlassenspflicht, besteht (3.2.2), die Rechte als Asylbewerber nach der RL 2003/9/EG fortgelten (3.2.3), das Vorbringen neuer Umstände im gerichtlichen Verfahren zulässig ist (3.2.4, 3.2.5), keine Abschiebungshaft verhängt werden darf (3.2.6) und auch die Frist für die freiwillige Ausreise nicht vor dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens läuft (3.2.7).

3.2.1 Die Klage gegen einen Bescheid des Bundesamtes, durch den ein Asylantrag nicht nach den §§ 34a, 35 oder 36 AsylG in qualifizierter Form, sondern als (einfach) unbegründet abgelehnt wird (§ 38 Abs. 1 AsylG), hat gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG aufschiebende Wirkung. [...]

3.2.2 Die kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung der gegen die Bundesamtsentschidung gerichteten Klage bewirkt in den Fällen der Antragsablehnung als einfach unbegründet, dass nach § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylG die Aufenthaltsgestattung erst erlischt, wenn die Entscheidung des Bundesamtes unanfechtbar geworden ist. Das durch die Aufenthaltsgestattung vermittelte verfahrensabhängige Bleiberecht führt zwar nicht dazu, dass dem Ausländer eine Aufenthaltsberechtigung oder ein Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 6 Abs. 4 RL 2008/115/EG erteilt wird; es erfüllt aber jedenfalls die unionsrechtliche Vorgabe, dass dem Ausländer bis zur Entscheidung ein Bleiberecht zusteht. [...]

3.2.3 Für die Dauer der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs kommen Schutzsuchende auch weiterhin in den Genuss der Rechte, die sich aus der Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG beziehungsweise RL 2013/33/EU) ergeben. [...]

3.2.4 Nach dem Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung ist es den Betroffenen auch möglich, "sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände zu berufen, die in Anbetracht der Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Situation haben kann" (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 64). Nach § 77 Abs. 1 AsylG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (oder dem der Entscheidung) ab; dies lässt Raum für eine Berufung auf neue oder veränderte Umstände, die nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetreten sind, und gebietet dann deren Berücksichtigung. Die Präklusionsregelung des § 74 Abs. 2 AsylG lässt ungeachtet dessen, dass das gerichtliche Zurückweisungsermessen verfassungs- und unionsrechtskonform auszuüben ist und durch die Präklusion drohende erhebliche Rechtsnachteile zu berücksichtigen hat (s. etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 24. Februar 2017 - A 11 S 368/17 - InfAuslR 2017, 210; VGH München, Beschluss vom 13. Juni 2019 - 13a ZB 18.30460 - juris), das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel ausdrücklich unberührt (§ 74 Abs. 2 Satz 4 AsylG). Dass Präklusionsregelungen im Asylverfahren schlechthin ausgeschlossen sind (so wohl Hruschka, Asylmagazin 2018, 290 <292>), folgt weder aus dem Gnandi-Urteil (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -) noch aus der sonstigen Rechtsprechung des EuGH und wirft für den Senat auch keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen im Sinne des Art. 267 AEUV auf.

3.2.5 Der allgemeine Grundsatz eines fairen und transparenten Rückkehrverfahrens unter Einbeziehung nachträglich entstandener Umstände hindert auch nicht, im Rahmen der Berücksichtigung von Umständen, die nach Art. 5 RL 2008/115/EG bei der Anwendung der Rückführungsrichtlinie zu beachten sind und die nach nationalem Verständnis lediglich ein inlandsbezogenes (rechtliches oder tatsächliches) Abschiebungshindernis zu begründen geeignet sind, diese nicht durchweg im Verfahren betreffend die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes zu überprüfen, sondern sie in einem gesonderten Verfahren gegen die für den Vollzug der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde geltend zu machen (s. dazu BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305; Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 10 B 39.12 - Buchholz 402.25 § 34 AsylVfG Nr. 11 Rn. 4).

Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse knüpfen nicht an eine (mögliche) Verletzung des Refoulement-Verbotes an und berühren auch sonst nicht den Erlass einer Abschiebungsandrohung dem Grunde nach. Auch Art. 6 Abs. 4 RL 2008/115/EG lässt bei einer Aufenthaltsberechtigung aus humanitären Gründen die Aussetzung der Rückkehrentscheidung zu und verlangt nicht zwingend den Verzicht auf diese oder deren Rücknahme. Die Aufteilung der Rechtsschutzmöglichkeiten ist durch die dem nationalen Gesetzgeber verbliebene Ausgestaltung der Rechtsschutzverfahren gedeckt und folgt der Zuständigkeitsaufteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörden. Diese  Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers folgt dem Grundsatz des Art. 83 GG und ist verfassungsrechtlich jedenfalls möglich. Sie berührt nicht die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die (negative) Asylentscheidung; eine umfassende Prüfung aller zielstaatsbezogenen, an den Refoulement-Schutz anknüpfenden Abschiebungshindernisse bereits in den Rechtsschutzverfahren gegen die mit der ablehnenden Asylentscheidung verbundenen Rückkehrentscheidungen wird gewährleistet. Der Rechtsschutz in Bezug auf inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse gegenüber der Ausländerbehörde wird durch die Bestandskraft der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes nicht berührt. Er ist auch effektiv. Soweit die Ausländerbehörde geltend gemachten inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen nicht bereits durch eine vorübergehende Aussetzung des Vollzuges der Abschiebung Rechnung trägt, kann der Ausländer dagegen um Rechtsschutz nachsuchen, nach § 123 VwGO auch im Eilverfahren.

3.2.6 Eine Anordnung von Abschiebungshaft scheidet ebenfalls aus, solange die aufschiebende Wirkung der Klage besteht. § 62 AufenthG erfordert auch in der Fassung, welche die Regelung im Laufe des Revisionsverfahrens erhalten hat (Art. 1 Nr. 21 Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1294), - jedenfalls bei einer verfassungskonformen Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - eine vollziehbare Ausreisepflicht.

3.2.7 Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht deswegen (teilweise) aufzuheben, weil nach dem Bescheid die Ausreisefrist von 30 Tagen zunächst mit der Bekanntgabe des Bescheides in Lauf gesetzt worden ist.

a) Die vom EuGH herausgearbeiteten Verfahrensgarantien fordern allerdings, dass die in Art. 7 RL 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 62). [...] Das Fristlaufverbot und das Bleiberecht erfassen mithin auch den Zeitraum, in dem ein Rechtsmittel noch nicht eingelegt ist, und stehen für diesen dem Lauf der behördlich zu setzenden Ausreisefrist entgegen; Rechtsmittelfrist und Ausreisefrist dürfen nicht gleichzeitig laufen. Damit nicht vereinbar sind § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG, der für den Lauf der zu setzenden Ausreisefrist von 30 Tagen erkennbar an die Bekanntgabe der Bundesamtsentscheidung anknüpft, und der angegriffene Bescheid, der für den Fristlauf ausdrücklich auf die Bekanntgabe abstellt.

b) Der Kläger ist indes durch diese anfängliche objektive Unionsrechtswidrigkeit des Bescheides mit und durch die Klageerhebung wegen des Eintritts der im Gesetz (§ 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG) und im Bescheid benannten außerprozessualen Bedingung nicht mehr beschwert. Die ursprüngliche, objektiv unionsrechtswidrige Fristsetzung ist damit durch eine unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt worden. Diese neue Regelung der Ausreisefrist verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). [...] Unabhängig davon kann das Bundesamt jedenfalls nach § 80 Abs. 4 VwGO durch Aussetzung einer durch die Bekanntgabe in Lauf gesetzten Ausreisefrist für die Dauer der Klagefrist die Unionsrechtskonformität auch für solche Fälle wahren, in denen es nicht zu einer Klageerhebung kommt (s.a. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 19.19 - II 4.2.3b).

4. Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht mit Blick darauf aufzuheben, dass der Kläger nicht durch das Bundesamt über die zu seinen Gunsten geltenden Verfahrensgarantien unterrichtet worden ist.

Unionsrechtlich muss bei einer Verbindung der Rückkehrentscheidung mit der ablehnenden Asylentscheidung der Schutzsuchende zwar über seine fortbestehenden Rechte informiert werden (unionsrechtliche Informationspflicht) (4.1). Die hier jedenfalls nicht vollständige Erfüllung dieser Informationspflicht führt indes nicht zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung (4.2). [...]

Der EuGH benennt allerdings nicht ausdrücklich diejenige Stelle oder Institution, welche für die Umsetzung dieser unionsrechtlichen Informationspflicht verantwortlich ist, oder die Form der Unterrichtung. Die Gewährleistungsverantwortung, die den Mitgliedstaat trifft, schließt die Überantwortung an Dritte, etwa nichtstaatliche Träger einer unabhängigen Asylverfahrensberatung (§ 12a AsylG), nicht aus. Nicht hinreichend wäre indes der Verweis auf allgemein zugängliche Quellen oder bei Schutzsuchenden tatsächlich vorhandenes Wissen, die Möglichkeit anwaltlicher Rechtsberatung oder eine punktuelle Unterrichtung im Rahmen anhängiger gerichtlicher Verfahren; die unionsrechtliche Informationspflicht ist vor allem auch bei nicht anwaltlich vertretenen sowie solchen Schutzsuchenden zu gewährleisten, die (noch) nicht um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben. Solange die Verantwortung für die Erfüllung der unionsrechtlichen Informationspflicht also nicht eindeutig anderen Stellen zugewiesen ist, ist sie durch das Bundesamt als der für den Erlass der Rückkehrentscheidung zuständigen Stelle zu erfüllen. [...]

Das Bundesamt ist dieser unionsrechtlichen Informationspflicht, die hier bei Erlass der ablehnenden Asylentscheidung unter Verknüpfung mit der Rückkehrentscheidung durch den EuGH noch nicht klargestellt war, auch in der Folgezeit nicht hinreichend nachgekommen. Dies verstößt objektivrechtlich gegen Unionsrecht.

4.2 Die Nichterfüllung der unionsrechtlichen Informationspflicht führt indes nicht zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung. Ein solcher Verstoß gegen das objektive Recht betrifft nicht eine Tatbestandsvoraussetzung der Abschiebungsandrohung (4.2.1), steht auch sonst mit dieser nicht in einem Rechtmäßigkeitszusammenhang und ist zudem nicht geeignet, die Rechtsstellung eines Ausländers zu beeinträchtigen, der mit der Klageerhebung diese Rechte und Vorteile genießt (4.2.2).

4.2.1 Nach der Rechtsauffassung des Senats ist die (vollständige) Erfüllung der Informationspflicht auch dann keine Tatbestandsvoraussetzung der Abschiebungsandrohung, wenn diese mit der ablehnenden Entscheidung über den Asylantrag verbunden wird.

Der EuGH leitet die unionsrechtliche Informationspflicht nicht aus dem Gedanken der Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die ablehnende Asylentscheidung, sondern dem Gebot eines fairen und transparenten Rückkehrverfahrens her und formuliert die Unterrichtung über die bei der Verknüpfung von Rückkehrentscheidung und Asylentscheidung erforderlichen Gewährleistungen als Konsequenz der Rückkehrentscheidung, nicht als deren Voraussetzung. Die unionsrechtliche Informationspflicht ist mithin ausgestaltet als eine verselbständigte Gewährleistungspflicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung. Die Informationspflicht wird folgerichtig in der abschließenden Antwort des EuGH nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Die (möglichen) Rechtsfolgen einer Nichtbeachtung der Informationspflicht benennt der EuGH ebenfalls nicht.

Die Erfüllung der unionsrechtlichen Informationspflicht ist nicht als zusätzliche, zwingende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer Rückkehrentscheidung ausgestaltet. [...]

4.2.2 Die Verletzung der unionsrechtlichen Informationspflicht begründet auch sonst keinen Rechtmäßigkeitszusammenhang mit der Rückkehrentscheidung. Nach nationalem Recht ist eine solche Rechtsfolge nicht vorgesehen. Sie folgt auch nicht aus dem Unionsrecht und seiner effektiven Durchsetzung. [...]

aa) In der Rechtsprechung des EuGH ist anerkannt, dass nicht jede Rechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Erlass einer Sachentscheidung dazu führt, dass die Sachentscheidung selbst aufzuheben ist. Dies scheidet etwa dann aus, wenn das Gericht, ohne dem Einzelnen insoweit in irgendeiner Form die Beweislast aufzubürden, zu der Feststellung in der Lage ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den objektiv vorliegenden Verfahrensverstoß nicht anders ausgefallen wäre (dazu EuGH, Urteile vom 5. Oktober 2000 - C-288/96 [ECLI:EU:C:2000:537], Bundesrepublik Deutschland/Kommission - Rn. 101 <rechtliches Gehör>, vom 10. September 2013 - C-383/13 PPU [ECLI:EU:C:2013:533], M.G. und N.R. - Rn. 39 ff. <Abschiebungshaft>, vom 7. November 2013 - C-72/12 [ECLI:EU:C:2013:712], Altrip - Rn. 49 ff. und vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 [ECLI:EU:C:2015:683], Kommission/Bundesrepublik Deutschland - Rn. 56, 60 <zur Heilungsvorschrift des § 46 VwVfG>). [...]

bb) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung sind sowohl eine andere Entscheidung in der Sache als auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Äquivalenz oder den Effektivitätsgrundsatz ausgeschlossen, so dass ein Rechtmäßigkeitszusammenhang ausscheidet. [...]

Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass die pflichtwidrige Unterlassung hinreichender Information über die für die Dauer der Rechtsbehelfsfrist oder des Verfahrens über einen eingelegten  Rechtsbehelf bestehenden Rechte und Garantien einem Rechtssuchenden in der Situation des Klägers, der einen Rechtsbehelf eingelegt hat, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zur Verteidigung der ihm aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte nähme oder ihn in der effektiven Wahrnehmung beeinträchtigte.

(2) Gegen einen Rechtswidrigkeitsdurchgriff auf die Rückkehrentscheidung spricht maßgeblich zudem, dass die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger nach dem System der RL 2008/115/EG Priorität für die Mitgliedstaaten hat (EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2011 - C-329/11 [ECLI:EU:C:2011:807], Achughbabian - Rn. 38 f. und vom 10. September 2013 - C-383/13 PPU - Rn. 43). Die Aufhebung einer Rückführungsentscheidung wegen der Verletzung einer unionsrechtlichen Informationspflicht über die materiell bestehenden Rechte und Pflichten infolge der Anfechtung der Rückkehrentscheidung beeinträchtigte zudem die praktische Wirksamkeit der RL 2008/115/EG. Dies gilt allzumal dann, wenn die Aufhebung einer im Übrigen nach Inhalt und Erlasszeitpunkt unionsrechtskonformen Rückführungsentscheidung allein mit dem Vorbringen begehrt wird, es sei eine im Einzelnen bezeichnete Informationspflicht verletzt worden, diese Rüge aber klar erkennen lässt, dass der Rechtsschutzsuchende zumindest nunmehr Kenntnis von den ihm vorenthaltenen Informationen hat. Die Frage, ob eine tatsächliche Möglichkeit besteht, dass eine Gefährdung der verfahrensrechtlichen Ausprägung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung auftreten wird, ist jedenfalls dann nicht aus der Sicht ex ante im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung bei einer abstrakten Betrachtung zu beantworten (so aber VG Karlsruhe, Urteil vom 20. August 2019 - A 19 K 5742/17 - juris Rn. 37), wenn tatsächlich als Folge der Rechtsbehelfseinlegung diese Rechte und Garantien nicht gefährdet waren.

(3) Es kann auch ausgeschlossen werden, dass die Rückkehrentscheidung selbst ohne eine Verletzung der Informationspflicht anders hätte ausfallen können oder von ihrem Erlass abgesehen worden wäre, um einer Gefährdung dieser Rechte und Garantien vorzubeugen. [...]