Keine Gruppenverfolgung von Kurd*innen in der Türkei:
Kurd*innen droht in der Türkei ohne das Hinzutreten individueller Verfolgungsgründe keine Gruppenverfolgung allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 3. August 2018, S. 15 – im Folgenden: Lagebericht AA); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Lagebericht AA, S. 15). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Lagebericht AA, S. 13 f.). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung "Özgür Gündem" unter dem Vorwurf, "Sprachrohr der PKK" zu sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 15).
Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in der Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B. v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m. w. N.; BVerwG, B. v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 –, juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U. v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A –, juris Rn. 51, m. w. N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U. v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A –; BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399 –, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht AA, S. 22). Um eine solche Person handelt es sich bei dem Kläger jedoch nicht. [...]
Hinsichtlich einer Verfolgung des Klägers als HDP-Anhänger ist das Gericht davon überzeugt, dass sich Mitglieder dieser Partei zwar nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen können, da Teilen der Basis der HDP/BDP eine Verbindung zur PKK nachgesagt wird, sich zahlreiche HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft befinden und im Zuge der Notstandsdekrete bis Ende 2017 insgesamt 93 gewählte Kommunalverwaltungen, überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhänder ersetzt worden sind (vgl. Lagebericht AA, Seite 11). Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dem Kläger jedoch nicht um einen Anhänger der HDP, welcher derartigen Verfolgungshandlungen ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr ausgesetzt sein wird. Unklar bleibt schon, ob er tatsächlich aktives Mitglied war, oder die Partei lediglich unterstützt hat. Gegen eine herausgehobene Position des Klägers innerhalb der Partei spricht, dass er nach eigenem Vortrag lediglich Flyer verteilt hat und zu Versammlungen gegangen ist. Dies sind typische Tätigkeiten eines einfachen Mitglieds. Wäre der Kläger in einer vermeintlichen oder tatsächlich herausragenden Position für die HDP in Erscheinung getreten, so wäre er nicht unbehelligt geblieben, sondern als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung verhaftet oder auch verurteilt worden. [...]