VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.11.2020 - 11 B 95/20 - asyl.net: M29053
https://www.asyl.net/rsdb/m29053
Leitsatz:

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung einer Berufsqualifizierungsmaßnahme: 

Einer Ärztin oder einem Arzt mit ausländischem Studienabschluss kann noch vor positivem Abschluss der Gleichwertigkeitsprüfung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16d AufenthG erteilt werden, wenn sie/er eine Tätigkeit im Sinne von § 10 BÄO ausübt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Fachkräfteeinwanderung, Gleichwertigkeitsprüfung, ausländischer Studienabschluss, Medizin, Hochqualifizierte, Arzt, Ärztin,
Normen: AufenthG § 16d Abs. 1,
Auszüge:

[...]

37-40 3. Der Antragsteller hat allerdings einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16d Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG. Nach Satz 1 soll zum Zweck der Anerkennung einer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation eine Aufenthaltserlaubnis für die Durchführung einer Qualifizierungsmaßnahme einschließlich sich daran anschließender Prüfungen erteilt werden, wenn von einer nach den Regelungen des Bundes oder der Länder für die berufliche Anerkennung zuständigen Stelle festgestellt wurde, dass Anpassungs- oder Ausgleichsmaßnahmen oder weitere Qualifikationen

1. für die Feststellung der Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation mit einer inländischen Berufsqualifikation oder

2. in einem im Inland reglementierten Beruf für die Erteilung der Berufsausübungserlaubnis erforderlich sind.

41 Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis knüpft damit an eine Feststellung der zuständigen Stelle an i.V.m. der Geeignetheit der Bildungsmaßnahme zur Anerkennung oder zum Berufszugang (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 16d Rn. 13). Zweck des mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz neu gefassten § 16d AufenthG (vorher § 17a AufenthG) ist es den Zwiespalt zwischen dem Ziel der Steigerung der Zuwanderung von Fachkräften in Ausbildungsberufe und der mangelnden Anerkennungsfähigkeit ausländischer Ausbildungsabschlüsse aufzulösen (BT-Drs. 19/8285, 92). Mit dem § 16d AufenthG wird das Spannungsverhältnis dahingehend gelöst, dass zwar an dem Nachweis der Gleichwertigkeit einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation festgehalten wird. Zugleich wird aber die Nachweispflicht zeitlich vom Einreisezeitpunkt entkoppelt und damit die Möglichkeit geschaffen, den Gleichwertigkeitsnachweis innerhalb einer bestimmten Frist 'nachzureichen' (Kolb, Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Gleichwertigkeitsnachweis: Drei Optionen in Theorie und Praxis, ZAR 2019, S. 169 ff.). Der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass eine Berufsausübung in eingeschränktem Maße auch vor Erteilung einer Berufsausübungserlaubnis (z.B. die Approbation) möglich ist. Das Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis knüpft an den Abschluss des Verfahrens zur Feststellung der Gleichwertigkeit der ausländischen Qualifikation an. Erst wenn dieses Verfahren abgeschlossen und in diesem festgestellt wurde, dass ein durch geeignete Bildungsmaßnahmen zu behebendes Defizit der ausländischen Qualifikation gegenüber den inländischen Anforderungen an den Berufszugang besteht, steht fest, dass sich der Ausländer zum Zweck der Anerkennung seiner im Ausland erworbenen Berufsqualifikation einer Bildungsmaßnahme und einer sich daran anschließenden Prüfung unterziehen muss (BeckOK AuslR/Fleuß, 27. Ed. 1.10.2020, AufenthG § 16d Rn. 15).

42 Neben den aufenthaltsrechtlich relevanten Belangen sind bei reglementierten Berufen allerdings noch die berufsrechtlichen Maßgaben zu beachten, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit bestimmte Voraussetzungen normieren. Reglementiert sind solche Berufe, in denen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt ist, dass die Berufsausübung einen Nachweis einer bestimmten beruflichen Qualifikation voraussetzt. Dazu gehört auch die vom Antragsteller beabsichtigte Tätigkeit als Arzt. Der Zugang zum ärztlichen Beruf ist in der Bundesärzteordnung (BÄO) geregelt. Gemäß § 2 Abs. 1 BÄO bedarf es zur Berufsausübung der Approbation nach § 3 BÄO. Im Fall der Absolvierung der medizinischen Ausbildung in einem Drittstaat gilt gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BÄO, dass die Approbation dann zu erteilen ist, wenn die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben ist. Andernfalls muss gemäß § 3 Abs. 3 Satz 3 BÄO i.V.m. § 37 der Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) die Kenntnisprüfung abgeleistet werden (Spickhoff/Schelling, 3. Aufl. 2018, BÄO § 3 Rn. 35).

43 Daneben ist eine vorübergehende oder eine auf bestimmte Tätigkeiten beschränkte Ausübung des ärztlichen Berufs auch mit der sog. Berufserlaubnis nach § 10 BÄO möglich. Dazu bedarf es des Nachweises einer abgeschlossenen Ausbildung für den ärztlichen Beruf. Die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes wird hier gerade nicht vorausgesetzt (Nomos-BR/Haage BÄrzteO/Heinz Haage, 2. Aufl. 2016, BÄO § 10 Rn. 2). Die Erteilung der Erlaubnis steht im Ermessen der Behörde und wird gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 BÄO in der Regel auf eine nicht selbständige Tätigkeit in einem bestimmten Krankenhaus oder eine ärztliche Praxis beschränkt. Sie darf nur widerruflich und nur bis zu einer Gesamtdauer von höchstens zwei Jahren erteilt werden.

44 Aus diesen berufsrechtlichen Maßgaben folgt, dass für Inhaber von Abschlüssen aus Drittstaaten die Approbation auf zwei verschiedenen Wegen erlangt werden kann. Zum einen kann die Gleichwertigkeitsprüfung durchgeführt werden. Sofern diese festgestellt wird, ist die Approbation zu erteilen. Bei fehlender Gleichwertigkeit (entweder nach Feststellung durch ein Gutachten oder Verzicht auf die Gleichwertigkeitsprüfung) kann zunächst eine Berufserlaubnis erteilt werden. Nach erfolgreicher Kenntnisprüfung wird die Approbation erteilt. Letztlich regelt die BÄO abschließend, ob und in welchem Umfang der ärztliche Beruf ausgeübt werden darf.

45 Dieses für alle Angehörigen des ärztlichen Berufs geltende Verfahren gleich welcher Staatsangehörigkeit ist auch in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht relevant. Sowohl bei der Frage, ob eine Fachkraft mit akademischer Ausbildung im Sinne des § 18 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG vorliegt, als auch bei der für § 16d Abs. 1 AufenthG relevanten Frage, welche Maßnahmen oder Qualifikationen erforderlich sind, liegen die Kompetenzen bei den für die nach der BÄO zuständigen Behörden. Das ist in Schleswig-Holstein das Landesamt für soziale Dienste, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Landesverordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach gesundheits- und tiergesundheitsrechtlichen Vorschriften. In einem dem Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgeschalteten Verfahren ist zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang der ärztliche Beruf ausgeübt werden darf. Es handelt sich dabei um ein eigenständiges Verfahren, das mit einer behördlichen Entscheidung über die Erteilung der Approbation oder der Erlaubnis endet und nicht um eine interne Mitwirkungshandlung einer anderen Behörde.

46 Bei Gesamtbetrachtung der mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz verfolgten Ziele und den in der BÄO normierten Voraussetzungen für die Berufszulassung, die der Qualitätssicherung und damit letztlich auch dem Patientenschutz dienen, ist die Ausländerbehörde an die Erteilung der Berufserlaubnis durch die hierfür zuständige Behörde, das LAsD, gebunden. Soweit das LAsD die Erlaubnis unter Einbeziehung der konkreten Stellenzusage erteilt hat, besteht keine Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde, ob diese zurecht ergangen ist. Denn die Prüfung der Voraussetzungen des § 16d Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat bei reglementierten Berufen stets im Zusammenhang mit dem jeweiligen Berufsrecht zu erfolgen. Ob die mit den Zulassungsbeschränkungen des jeweiligen Berufs verfolgten Zwecke gewährleistet werden, liegt allein im Prüfungsbereich der Behörde in dem vorgeschalteten Verfahren. Das hat zur Folge, dass auch die Frage, inwieweit die Defizite der im Ausland erworbenen Berufsqualifikation festgestellt werden müssen, berufsspezifisch auszulegen ist und anhand der Ergebnisse des vorgeschalteten Verfahrens zu messen ist. Es ist nach der Gesetzesbegründung auch nicht erforderlich, dass besondere Anpassungs- oder Ausgleichsmaßnahmen in Form von besonderen Lehrgängen durchgeführt werden. Qualifizierungsmaßnahmen können unter Umständen auch rein betrieblich durchgeführt werden (BT-Drs. 19/8285, 92). [...]

48 Die Kammer ist nicht der Auffassung, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 16d Abs. 1 AufenthG in diesem Fall davon abhängt, ob auf die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung verzichtet wird. Zunächst erschließt sich kein sachlicher Grund, der dagegen spricht, dass die Gleichwertigkeitsprüfung parallel durchgeführt wird und letztlich entweder zur Feststellung der Gleichwertigkeit oder zur Feststellung der Defizite und damit ggf. zur eingeschränkten Eignungsprüfung führt. Darüber hinaus betrifft diese Frage das Verfahren bei der für die Prüfung der BÄO zuständigen Behörde und nicht der Ausländerbehörde. Ob der fehlende Verzicht auf die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BÄO berücksichtigt werden kann, ist von der Kammer demnach nicht zu entscheiden. Entscheidend ist vielmehr, dass für die konkrete Stellenzusage eine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BÄO vorliegt. Letztlich setzt auch der Wortlaut des § 16d Abs. 1 Satz 1 AufenthG keinen Defizitbescheid voraus. Erforderlich ist lediglich, dass festgestellt wurde, dass Maßnahmen oder Qualifikationen erforderlich sind. Wie differenziert die Feststellung sein muss, ist für den jeweiligen Beruf bereichsspezifisch auszulegen. Hier ergibt diese Auslegung, dass auch ohne den Defizitbescheid die erforderliche Feststellung vorliegt. Auch nach Sinn und Zweck des § 16d Abs. 1 AufenthG ist kein Defizitbescheid erforderlich, da der Erwerb der Erteilungsvoraussetzungen für die Approbation auch ohne den Bescheid möglich ist. [...]