VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 10.11.2020 - 2 E 712/20 Me - asyl.net: M29085
https://www.asyl.net/rsdb/m29085
Leitsatz:

Die Situation der Opposition in Kambodscha hat sich in den letzten Jahren so gravierend verschlechtert, dass ein nach Ablehnung des ersten Asylantrags in Schweden im Herbst 2018 gestellter Zweitantrag nicht als unzulässig anzusehen ist.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Kambodscha, Zweitantrag, Änderung der Sachlage, CNRP, Cambodia National Rescue Party, Nationale Rettungspartei Kambodschas, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 71a, VwGO § 51,
Auszüge:

[...]

Tatsächlich hat sich die Lage der Opposition in Kambodscha in den letzten zwei Jahren laufend gewandelt. Die CNRP, deren Mitglied der Antragsteller nach eigenen Angaben ist, war die größte Oppositionspartei in Kambodscha und hat bei den Wahlen im Jahr 2013 44,5 Prozent errungen. Die Kambodschanische Volkspartei (CPP) unter Premierminister Hun Sen, der bereits seit 33 Jahren an der Macht ist, kam auf 48,9 Prozent. Für die Wahlen 2018 wurden der CNRP realistische Chancen für einen Sieg zugesprochen. Dies wollte die regierende CPP nicht zulassen, deshalb leitete die Regierung 2017 ein Verbotsverfahren beim Obersten Gerichtshof ein, dass im November zu einem Verbot der CNRP führte. Daraufhin errang die CPP bei den Parlamentswahlen am 29.07.2018 alle Sitze. Der Oppositionsführer und Vorsitzende der CNRP Sam Rainsy musste bereits zuvor ins Ausland flüchten, weil er der Verleumdung und Aufwiegelung angeklagt worden war. Sein Nachfolger Kem Sokha wurde unter Verletzung der parlamentarischen Immunität wegen Hochverrats inhaftiert. Zwar wurde die Haft zwischenzeitlich in Hausarrest umgewandelt. der Prozess wegen Hochverrat läuft jedoch weiter. Nachdem Sam Rainsy im November 2019 plante, aus dem Exil nach Kambodscha zurückzukehren, kam es zu zahlreichen Verhaftungen und Übergriffen auf die Unterstützer der CNRP. Selbst in Malaysia wurden die stellvertretende CNRP-Vorsitzende Mo Sochua sowie zwei CNRP- Aktivisten, die ihre Rückkehr nach Kambodscha planten, verhaftet. Sam Rainsy gelang die Rückkehr ebenfalls nicht, da ihm von verschiedenen asiatischen Fluggesellschaften die Flüge verweigert wurden (Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderberichte: "Politischer Showdown in Kambodscha" vom 22.11.2019).

Die Lage der Opposition in Kambodscha gestaltet sich demnach sehr schwierig, die Reaktionen des Premierministers Hun Sen sind kaum einzuschätzen und hängen z. B. auch davon ab, wie sich sein Verhältnis zur EU gerade gestaltet. Droht Brüssel womöglich mit dem Entzug von Zollpräferenzen, kommt es kurzfristig zu Entlassungen von inhaftierten Oppositionellen (Neue Zürcher Zeitung vom 15.11.2019, "Kambodschas Opposition im Kreisverkehr").

Dem Vorstehenden ist zu entnehmen, dass Personen, die sich für die Opposition engagieren, Gefahr laufen, in das Visier der Regierung [zu] kommen und zumindest die Möglichkeit besteht, dass ihnen Repressalien bis hin zur Verhaftung droht. Diese Entwicklung war im Zeitpunkt der Entscheidung der schwedischen Behörden im Jahr 2018 noch nicht so absehbar. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er Mitglied der CNRP ist und sowohl für diese Partei als auch für Amnesty International aktiv tätig ist. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ihm bei einer Rückkehr nach Kambodscha Gefahr drohen würde. Die Sach- und Rechtslage hat sich daher nachträglich zu seinen Gunsten geändert. Er war auch außerstande, diesen Wiederaufgreifensgrund bereits im Asylverfahren in Schweden geltend zu machen, da sich die Lage in Kambodscha erst nach Abschluss des dortigen Verfahrens so entwickelt hat. [...]