KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 01.12.2020 - 1 VA 1001/20 - asyl.net: M29329
https://www.asyl.net/rsdb/m29329
Leitsatz:

Anerkennungsfähigkeit einer Privatscheidung:

"Die Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen vor einem nicaraguanischen Notar ist eine Privatscheidung ohne konstitutiven Hoheitsakt. Eine Anerkennung im Inland kommt bei Anwendung des deutschen Scheidungsstatuts nicht in Betracht."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Nicaragua, Scheidung, Ehescheidung, Notar, Wirksamkeit, Privatscheidung,
Normen: FamFG § 108, FamFG § 109, BGB § 1564,
Auszüge:

[...]

12 b) Beruht eine im Ausland erfolgte Ehescheidung auf dem konstitutiven Hoheitsakt einer ausländischen Behörde, richtet sich die Frage ihrer Anerkennung im Inland nach den §§ 108, 109 FamFG. Wurde die dortige Scheidung hingegen durch privates Rechtsgeschäft eines oder beider Ehegatten bewirkt, handelt es sich um eine sogenannte Privatscheidung, auch wenn die Ordnungsmäßigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsakts in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht worden war (BGH, FamRZ 2020, 1811, 1812). Auch eine solche Scheidung kann grundsätzlich anerkannt werden, hingegen ist die Frage der Anerkennungsfähigkeit dann anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen (BGH, a.a.O., 1813; Senat, Beschluss vom 3. November 2020, – 1 VA 1010/20 – BeckRS 2020, 29599).

13 aa) Der Scheidung der Ehe der Beteiligten liegt kein konstitutiver Hoheitsakt eines nicaraguanischen Gerichts oder einer dortigen Behörde zugrunde. Das hat die nicaraguanische Rechtsanwältin der Beteiligten zu 1 selbst vorgetragen und stimmt mit den Auskünften der Botschaft Managua überein. Die anders lautende Personenstandsurkunde, wonach die Scheidung "gemäß dem Beschluss des Bezirksrichters für Zivilsachen Dr. ... (…) aufgelöst wurde", ist insoweit zweifellos unrichtig. Tatsächlich beruhte die Scheidung der Ehe der Beteiligten auf einem notariell beurkundete Rechtsgeschäft zwischen ihnen.

14 Die Auflösung einer Ehe erfolgt in Nicaragua durch Nichtigkeitsurteil, gegenseitiges Einvernehmen, den Willen oder den Tod eines der Ehegatten, Art. 137 Código de la Familia – CF - vom 26. August 2014 (deutsche Übersetzung abgedruckt in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Nicaragua, Stand August 2020). Grundsätzlich entscheidet hierüber ein erstinstanzliches Gericht durch – insoweit - nicht rechtsmittelfähiges Urteil, Art. 139 CF.

15 Besteht zwischen den Ehegatten Einvernehmen über die Auflösung des ehelichen Bandes und haben sie keine minderjährigen oder behinderten gemeinsamen Kinder sowie kein gemeinsames Vermögen, kann die Scheidung auch vor bestimmten Notaren erfolgen, Art. 159 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3 CF. Die Ehegatten haben sich vor dem Notar auszuweisen, ihre Eheurkunde sowie je eine Negativbescheinigung über gemeinsame Kinder und Vermögen vorzulegen, Art. 161 CF. Der Notar belehrt die Ehegatten über die Rechtsfolgen der Scheidung und beurkundet dann ihre Erklärungen. Die so errichtete notarielle Urkunde steht einem gerichtlichen Urteil gleich und wird wie dieses in das Personenstandsregister eingetragen, Art. 162 CF.

16 Diese mit Wirkung vom 8. April 2015 in Kraft getretene Form der Ehescheidung beruht allein auf den Erklärungen der Ehegatten. Ziel der mit Gesetz vom 26. August 2014 erfolgten Reform des Scheidungsrechts in Nicaragua war eine Entlastung der Gerichte von nichtstreitigen Verfahren. Allein der Wille der Ehegatten zur Ehescheidung sollte zum Maßstab der Auflösung des Ehebandes gemacht werden. Dies entspricht einem Trend zur "Dejuriditionalisation" des Scheidungsrechts in einigen lateinamerikanischen Ländern – neben Nicaragua auch in Kuba, Brasilien und Kolumbien – (vgl. Tania Belén Payan Cruz/Léster Otoniel Juarez Ordoñes, Divorcio Notarial en Nicaragua, www.Monografias.com). Ähnliche Reformen hat es in Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien gegeben (vgl. Dutta, FamRZ 2020, 1217f).

17 Die Rolle des nicaraguanischen Notars unterscheidet sich dabei nicht von seiner sonstigen Tätigkeit. Auch im Scheidungsverfahren kommt ihm allein eine beratende und beurkundende Funktion zu, Art. 160 CF (D. Leonardo B. Pérez Gallardo, Divorcio por Mutuo Consentimiento ante Notario en el nuevo Código de Familia de Nicaragua, Anuario de la Facultad de Derecho, Universidad de Extremadura/Spanien, 2014, Nr. 14, 429ff). Dagegen spricht der Wortlaut der Art. 159 Abs. 4, 160 CF nicht. Allerdings heißt es dort, der Notar könne das Eheband auflösen, Art. 159 Abs. 4 CF, bzw. der Notar informiere über "seine Entscheidung". Damit ist jedoch keine eigene, konstitutive Entscheidungsmacht des Notars über das "Ob" der Scheidung gemeint. Angesprochen wird dort vielmehr die Aufgabe des Notars, dem Willen der Ehegatten einen rechtsförmlichen Rahmen zu geben und sie über die Folgen zu belehren. Das konstitutive Element der Ehescheidung ist allein der in den beurkundeten Erklärungen zum Ausdruck kommende Wille der Ehegatten; nur sie haben die Macht, das eheliche Band in gegenseitigem Einvernehmen aufzulösen, Art. 159 Abs. 1 S. 1 CF, was "vor" dem Notar und nicht "durch" diesen erfolgt, Art. 160 CF (D. Leonardo B. Pérez Gallardo, a.a.O., 444ff).

18 Nicht anders ist die nun von der Beteiligten zu 1 vorgelegte notarielle Urkunde zu verstehen, auch wenn es in der deutschen Übersetzung heißt, der Notar erkläre die Ehe für geschieden. Diese Übersetzung berücksichtigt den spanischen Text schon nicht vollständig, der in diesem Zusammenhang auch auf den "Weg" der Scheidung hinweist, die nämlich im gegenseitigen Einvernehmen erfolgte ("el Suscrito Notario procede a DECLARAR LA DISOLUCIÓN DEL VINCULO MATRIMONIAL POR LA VIA DEL MUTUO CONSENTIMIENTO"), was als Hinweis auf den Willen der Ehegatten zu verstehen ist. Dass es auf diesen Willen - allein - ankommt, wird im Anschluss dadurch zum Ausdruck gebracht, das die Urkunde den Erschienenen vorgelesen, von ihnen genehmigt und unterschrieben worden ist.

19 bb) Die Anerkennung der danach als Privatscheidung einzuordnenden Eheauflösung im Inland kommt danach nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Das ist nicht der Fall, weil die Ehescheidung hier deutschem Recht unterliegt.

20 Nach § 1564 S. 1 BGB kann eine Ehe aber nur durch richterliche Entscheidung – in Form eines Beschlusses, § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG – geschieden werden. § 1564 S. 1 BGB hat nicht nur verfahrensrechtlichen, sondern auch materiell-rechtlichen Gehalt. In ihm kommt die Grundentscheidung des deutschen materiellen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts zum Ausdruck, wonach über die Scheidung einer Ehe immer ein Gericht zu befinden hat (BGH, NJW 1990, 2194, 2196). [...]