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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.11.2020 - 13 ME 374/20 - asyl.net: M29346
https://www.asyl.net/rsdb/m29346
Leitsatz:

Nachträgliche Verlängerung der Frist eines Einreise- und Aufenthaltsverbots:

1. zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei einer nachträglichen Änderung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG

2. zur Berücksichtigung des Art. 6 GG (Ehe) im Rahmen einer nachträglichen Änderung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Schutz von Ehe und Familie, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ermessensfehler,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 4 S. 5, AufenthG § 11 Abs. 3 S. 1, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

6 Die Verlängerung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots um weitere 6 Monate entspricht nicht den Anforderungen an eine nach § 11 Abs. 4 Satz 5 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung.

7 Im Rahmen der Ermessenserwägungen berücksichtigt der Antragsgegner die Ehe des Antragstellers mit seiner deutschen Ehefrau nicht in der gebotenen Weise.

8 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 -, juris Rn. 12 m.w.N.). [...]

11 d) Die Verlängerung der von Anfang an durchaus reichlich bemessenen Sperrfrist von 2 Jahren um weitere 6 Monate ist vor diesem Hintergrund unangemessen. Der Antragsteller ist seit seiner Abschiebung vom 2. Juli 2019 von seiner deutschen Ehefrau getrennt. Es ist ihm weiterhin bis Juli 2021 verboten, nach Deutschland einzureisen. Dieser Zeitraum reicht unter Berücksichtigung des durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutzes der ehelichen Lebensgemeinschaft nach Auffassung des Senats unter spezial- wie auch generalpräventiven Aspekten aus, um sowohl dem Antragsteller als auch anderen Ausländern in vergleichbarer Situation die Folgen seines Fehlverhaltens nachdrücklich vor Augen zu führen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Antragsteller nach durchgeführter Abschiebung im neuerlich angestrengten Visumverfahren erneut falsche Angaben gemacht hat. Da der Antragsteller nach Ablauf der Sperrfrist bei Fortbestand der Ehe aber voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG haben wird, die ihn zur Aufnahme einer Beschäftigung berechtigt, ist die Prognose des Verwaltungsgerichts naheliegend, eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers wegen Falschangaben zum Zwecke der Erschleichung der Einreise werde wegen des dann entfallenen Anlasses voraussichtlich nicht mehr auftreten. [...]