Alternative Glaubhaftmachung der Eheschließung für Familiennachzug; keine Ladung von Zeug*innen aus Corona-Risikogebiet:
1. Aufgrund des unzuverlässigen Urkundswesens in Eritrea ist eine alternative Glaubhaftmachung der Eheschließung unabhängig von der Vorlage von Urkunden möglich.
2. Ein Beweisantrag, der sich auf die Vernehmung von im Ausland lebenden Zeug*innen richtet, die bei der Hochzeit anwesend waren, kann abgelehnt werden, wenn nach einer prognostischen Beweisantizipation ein Einfluss auf die richterliche Überzeugung ausgeschlossen ist. In die Bewertung der Verhältnismäßigkeit ist dabei mitzuberücksichtigen, dass die Zeug*innen aus dem Corona-Risikogebieten anreisen müssten und der Verfahrensfortgang deshalb noch weiter verzögert würde.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
23 I. Die Klägerin zu 1 hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug gemäß §§ 6 Abs. 3, 27, 29, 30 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), da eine formell wirksame Eheschließung zwischen ihr und dem Kläger zu 5 nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan ist.
24 1. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass auf Basis des eritreischen Rechts auch die nur religiös geschlossene Ehe eine wirksame Eheschließung darstellt. [...]
27 Im Rahmen der damit weiterhin maßgeblichen freien Beweiswürdigung haben die Kläger keine formell wirksame Eheschließung zur Überzeugung des Gerichts belegt. [...]
31 Nicht zuletzt infolge des unzuverlässigen Urkundswesens in Eritrea ist jedoch auch eine alternative Glaubhaftmachung der Eheschließung möglich (vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 19/19355, 20. Mai 2020, S. 4f.).
32 Verschiedene Aspekte sprechen jedoch gegen die Glaubhaftigkeit der klägerischen Schilderungen im Allgemeinen und ihrer Behauptung einer erfolgten Eheschließung im Besonderen. So räumte der Kläger zu 5 in der mündlichen Verhandlung – entgegen dem Vortrag im Visums- und Klageverfahren zuvor – ein, dass weder eine standesamtliche Eheschließung noch eine zivilrechtliche Registrierung der weiterhin behaupteten kirchlichen Eheschließung erfolgt sei. [...]
42 Der Beweisantrag des Prozessbevollmächtigen der Kläger, zwei in Amsterdam bzw. Den Haag (Niederlande) lebende angebliche Hochzeitsgäste sowie den die Trauung und die Taufe der Kläger zu 2-4 durchführenden Priester aus Eritrea als Zeugen zum Beweis der erfolgten religiösen Eheschließung zu vernehmen, konnte abgelehnt werden.
43 Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, kann nach § 244 Abs. 5 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO) analog abgelehnt werden, sofern die Vernehmung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (vgl. zur Anwendbarkeit im Verwaltungsprozess BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 – 9 B 518/99 –, juris, Rn. 14). Entscheidendes Beurteilungskriterium ist hierbei die Bedeutung des Beweismittels "Auslandszeuge" mit Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis. Danach ist grundsätzlich die Bedeutung und der Beweiswert des weiteren Beweismittels vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses, der zeitliche und organisatorische Aufwand der etwaigen Beweisaufnahme und die damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen. In diesem Rahmen ist das Gericht von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Es darf daher bei seiner Entscheidung prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären (vgl. insgesamt hierzu VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 21. Februar 2012 – VG 8 K 256/09 –, BeckRS 2012, 50400; VG Karlsruhe, Urteil vom 1. Februar 2006 – 6 K 331/05 –, juris, Rn. 29f.). Das Gericht darf damit einstellen, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt das Gericht dabei unter Berücksichtigung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme zu dem Resultat, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der Auslandszeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, kann von einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts Abstand genommen werden (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 1. Februar 2006 – 6 K 331/05 –, juris, Rn. 30; Vierhaus, Beweisrecht im Verwaltungsprozess, 2011, Rn. 172).
44 So liegt der Fall hier. Das eindeutige bisherigen Beweisergebnis, der zu erwartende Beweiswert der benannten Zeugen sowie der zeitliche und organisatorische Aufwand einer etwaigen Beweisaufnahme sprechen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dagegen, dass die Vernehmung der Zeugen vorliegend zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die dargestellten zahlreichen gewichtigen Anhaltspunkte, die insbesondere auch nach der Befragung des Klägers zu 5 und der Vernehmung des Zeugen B in der mündlichen Verhandlung weiterhin gegen eine erfolgte Eheschließung und die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags insgesamt sprechen, begründen die Überzeugung des erkennenden Gerichts, dass keine religiöse Eheschließung erfolgte. Ein Einfluss der Angaben der benannten Zeugen auf diese richterliche Überzeugung ist selbst für den Fall ausgeschlossen, dass diese die in ihr Wissen gestellte Behauptung bestätigen sollten. Der Beweiswert der benannten Zeugen erscheint in verschiedener Hinsicht gering: Es handelt sich jeweils um Nähepersonen der Kläger. Der Kläger zu 5 gab an, dass F.A. ein Verwandter von ihm sei, der ihn sehr gut kenne, und H.T. ein Freund sei, der auch Trauzeuge bei der kirchlichen Hochzeit gewesen sei. Der Priester, der sie getraut habe, sei mit ihnen "vertraut" gewesen. Hinsichtlich des Priesters ist zudem zu berücksichtigen, dass dieser sich laut dem Kläger zu 5 bereits geweigert habe, eine Bescheinigung der Eheschließung an ihn zu senden, solange der Kläger nicht bestimmte Formalia einhalte (z.B. Zahlung der Aufbausteuer). Es erscheint wenig plausibel, inwiefern er dann zu einer die Eheschließung bestätigenden Aussage vor Gericht bereit sein sollte. Weiterhin mangelt es infolge des fehlenden schriftsätzlichen Vortrags im Visums- und Verwaltungsstreitverfahren zum Ablauf der Hochzeitsfeierlichkeiten und aufgrund der auch auf mehrfache Nachfragen eher pauschalen und oberflächlichen Schilderungen dieser durch den Kläger zu 5 in der mündlichen Verhandlung an einem tauglichen Referenzmaßstab für Erkenntnisgewinne aus einer etwaigen Zeugenbefragung, da deren potentielle Angaben nicht mit Details aus dem klägerischen Vortrag verglichen werden können. Die als Zeugen benannten Personen wohnen zudem allesamt in Gebieten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als Risikogebiete im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie eingeordnet waren (vgl. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html, Stand: 13. Oktober 2020), so dass die mit einer Einreise verbundenen Risiken und Schwierigkeiten sowie daraus resultierenden Verzögerungen des Verfahrensfortgangs ebenfalls mit in die gebotene Gesamtbetrachtung einzustellen waren (vgl. oben). Dies gilt nicht zuletzt auch aufgrund des unabhängig von der Frage des Nachweises einer Eheschließung zu bejahenden Ausweisungsinteresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a AufenthG (vgl. B.I.2.). [...]