Verpflichtung zur Entscheidung über den Asylantrag:
1. Die Einholung einer Zusicherung der Behörden des Staates, in den eine Person überstellt werden soll, kann einen zureichenden Grund im Sinne von § 75 VwGO darstellen und eine Verzögerung des Asylverfahrens rechtfertigen.
2. Aufgrund des Beschleunigungsgebots in Asylverfahren ist dem BAMF zur Einholung einer Zusicherung jedoch nur ein begrenzter Zeitraum zuzugestehen. Über den Asylantrag ist jedenfalls dann ohne weitere Verzögerung zu entscheiden, wenn die Behörden des anderen Staates sich über einen Zeitraum von sechs Monaten nicht zu der Anfrage des BAMF geäußert haben.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
b) Auch Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Asylverfahrensrichtlinie n. F., kurz: VRL-n.F.) lässt die Dreimonatsfrist des § 75 S. 2 VwGO unberührt. Danach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass das Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht wird. Diese Frist kann unter bestimmten Umständen um höchstens neun weitere Monate verlängert werden. In ausreichend begründeten Einzelfällen ist eine weitere Überschreitung dieser Fristen um jeweils drei Monate möglich, so dass die Verfahrensdauer im besonderen Einzelfall höchstens 21 Monate betragen kann. Die Umsetzungsfrist für diese Regelung läuft gemäß Art. 51 Abs. 2 VRL-n.F. erst zum 20.07.2018 ab. Eine frühere Umsetzung ist durch den deutschen Gesetzgeber nicht erfolgt, insbesondere ist eine von § 75 VwGO abweichende Sonderregelung für das Asylverfahrensrecht nicht erlassen worden, so dass § 75 S. 2 VwGO auch in Verfahren nach dem AsylG weiterhin uneingeschränkt Anwendung findet (VG Bremen, Urteil vom 12.01.2017 - 5 K 3131/16 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Januar 2017 - 17 K 7856/15.A -, juris; VG München, Urteil vom 02.12.2016 - M 17 K 16.33942 -, juris; VG Osnabrück, Urteil vom 14.10.2015 - 5 A 390/15 -, juris). [...]
Gegenwärtig - im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG - liegt jedoch kein zureichender Grund für die Untätigkeit der Beklagten vor. [...]
Die Einholung einer entsprechenden Zusicherung der griechischen Behörden im Hinblick auf die Möglichkeit einer angemessenen Unterbringungsmöglichkeit des Klägers in Griechenland, ist - im Lichte der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung zu den griechischen Mitgliedstaatenbescheiden - ein zureichender Grund gewesen, eine durch die Einholung dieser Zusicherung entstehende gewisse Verzögerung im Asylverfahren hinzunehmen. [...]
Infolgedessen war der Beklagten grundsätzlich eine angemessene Verfahrensverlängerung zuzugestehen und auf Seiten des Klägers war eine daraus folgende Verzögerung des Verfahrens hinzunehmen, da die Einholung einer entsprechenden Zusicherung naturgemäß einen gewissen zusätzlichen Zeitaufwand bedeutet.
Von einer angemessenen Verfahrensverlängerung kann mittlerweile jedoch nicht mehr gesprochen werden. Wie bereits ausgeführt, holte die Beklagte bereits am 16.09.2019 eine EURODAC-Mitteilung ein, mit dem Ergebnis, dass dem Kläger in Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde. Daraufhin erfolgte die Anfrage an die griechischen Behörden am 02.04.2020, ohne dass Griechenland geantwortet hätte oder gar mitgeteilt hätte, bis wann mit einer Antwort gerechnet werden könne. Aufgrund des im Asylverfahren geltenden Beschleunigungsgebots (vgl. dazu BVerwG, a.a.O., Rn. 19) kann die Beklagte nicht auf unbegrenzte Zeit darauf warten, dass die griechischen Behörden auf die Anfrage der Beklagten antworten. Erhält die Beklagte über mehrere Monate keine Antwort der griechischen Behörden auf eine Anfrage zur Abgabe einer Zusicherung, und ist auch nicht absehbar, dass sie demnächst eine solche erhalten wird, so muss sie eine Entscheidung über den Asylantrag ohne eine solche treffen. Dies ist - in Orientierung an der Frist des § 24 Abs. 4 AsylG - jedenfalls dann der Fall, wenn sechs Monate nach der ersten Anfrage der Beklagten noch keine Antwort der griechischen Behörden eingegangen ist oder die griechischen Behörden im konkreten Fall zu erkennen gegeben haben, dass sie die Abgabe einer individuellen Zusicherung nicht für erforderlich halten (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 05.02.2021 (Az: 9 A 218/20).
Diese Frist ist seit Oktober 2020 verstrichen.
Die Beklagte kann sich weiterhin auch nicht erfolgreich darauf zurückziehen, dass für derartige Fälle noch keine Verwaltungspraxis entwickelt worden sei. Im Hinblick auf den bereits zitierten Beschleunigungsgrundsatz wäre zu erwarten gewesen, dass die Beklagte eine entsprechende Verwaltungspraxis zwischenzeitlich entwickelt hat, zumal mittlerweile ein Jahr seit der Übersendung der Anfrage an die griechischen Behörden vergangen ist. Dies ist seitens des Klägers nicht mehr hinzunehmen und stellt auch keine nachvollziehbare Verzögerung mehr dar.
Dabei berücksichtigt das Gericht die Regelungen des Art. 31 Abs. 3 S. 1, S. 4 und Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Asylverfahrensrichtlinie), wonach die Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht werden sollen, die Frist ausnahmsweise in begründeten Fällen neun Monate betragen darf und in jedem Fall innerhalb von 21 Monaten abgeschlossen sein müssen. Auch ist an der Regelung des § 24 Abs. 4 AsylG zu sehen, dass der Gesetzgeber wohl davon ausgeht, dass Asylverfahren im Regelfall nicht sechs Monate überschreiten sollten (vgl. dazu VGH München, U. V. 23.03.2017 - 13a B 16.30951 - Rn. 27, juris, wonach sich die Angemessenheit der Frist an der in § 24 Abs. 4 AsylG normierten Entscheidungsfrist von sechs Monaten orientieren soll; und BVerwG, a.a.O., Rn. 19 f., wonach § 24 Abs. 4 AsylG darauf hinweise, dass der Normgeber eine Frist von sechs Monaten als (noch) i.S.d. § 75 S. 1 VwGO "angemessene" Dauer des behördlichen Verfahrens sehe und Art. 31 Abs. 3 - 5 der Asylverfahrensrichtlinie eine Orientierung dafür gebe, unter welchen Umständen eine Überschreitung der Sechsmonatsfrist bei der Anwendung des § 75 8.1 VwGO als sachlich gerechtfertigt hinzunehmen sei). [...]