OVG Sachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 28.07.2020 - 3 B 45/20 - asyl.net: M29622
https://www.asyl.net/rsdb/m29622
Leitsatz:

Versagung der Ausbildungsduldung bei Vorspiegelung von Passlosigkeit:

"1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Fall der Rücknahme einer Duldung ist die gerichtliche Entscheidung in der Tatsacheninstanz.

2. Spiegelt ein Ausländer der Ausländerbehörde vor, nicht im Besitz eines Reisepasses zu sein, können aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm i.S.v. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Rücknahme, Beurteilungszeitpunkt, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Identitätsklärung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6, AufenthG § 60c,
Auszüge:

[...]

19 Spiegelt ein Ausländer der Ausländerbehörde vor, nicht im Besitz eines Reisepasses zu sein, können aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden. Seine Abschiebung wird dadurch im Regelfall unmöglich. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der Ausländer die Tatsache, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm nicht vollzogen werden können, auch dann zu vertreten hat, wenn er bei der Passbeschaffung oder bei der Beschaffung von Identitätspapieren - sei es, dass seine Identität geklärt ist oder nicht - vorwerfbar nicht mitwirkt. Denn bei den § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG angegebenen Fällen einer Täuschungshandlung oder der Kundgabe falscher Angaben handelt es sich nur um Beispielsfälle für das Vertretenmüssen i. S. d. Satzes 1 Nr. 2 (SächsOVG, Beschl. v. 15. September 2017 - 3 B 245/17 -, juris Rn. 6; VGH BW, Beschl. v. 26. November 2018 - 12 S 2460/18 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschl. v. 18. Januar 2006 - 18 B 1772/05 -, juris Rn. 43 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22 November 2016 - 12 S 61.16 -, juris Rn. 4). Der mangelnden Mitwirkung des Ausländers bei der Passbeschaffung oder bei der Beschaffung von Identitätspapieren gleichzustellen ist seine Vorspiegelung, nicht im Besitz von Reisedokumenten zu sein. Auch hierdurch wird der Vollzug aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen im Regelfall verhindert. [...]

21 Ihr Vorspiegeln des Nichtbesitzes von Reisepapieren ist schließlich für die Verzögerung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch ursächlich, da "passlosigkeitsunabhängige" Duldungsgründe (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 21. Januar 2020 - 13 ME 368/19 -, juris) nach Aktenlage nicht (mehr) vorliegen. Ein von ihrem Sohn abgeleiteter Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V. Art. 6 GG besteht aktuell nicht (mehr), nachdem dieser die Schulausbildung mit dem Schuljahr 2018/19 abgeschlossen hat und ist inzwischen volljährig ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines anderweitigen Duldungsanspruchs der Antragstellerin ist nicht ersichtlich. [...]