VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 08.10.2019 - 2 A 463/18 - asyl.net: M29666
https://www.asyl.net/rsdb/m29666
Leitsatz:

"Unverzügliche Antragstellung bei Familienasyl:

Eine unverzügliche Antragsstellung nach § 26 AsylG kann auch dann noch vorliegen, wenn der Asylantrag erst zwei Monate nach der Einreise aktenkundig gestellt wird, wenn diese Verzögerung nicht in den Verantwortungsbereich der Asylsuchenden fällt, weil diese rechtzeitig alle aus ihrer Sicht erforderlichen Schritte für eine "unverzügliche" Antragstellung getan haben.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienschutz, Unverzüglichkeit, Asylantrag, Asylantragstellung, Verschulden, Verantwortungsbereich
Normen: AsylG § 26 Abs. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Eine Besonderheit gegenüber dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Sachverhalt besteht schon darin, dass der Aufenthaltszweck der Kläger nicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens begrenzt war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte nämlich ausgeführt, von einem gewissenhaften Asylsuchenden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet vorläufig und nur zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet sei (§ 55 Abs. 1 AsylVfG), sei zu erwarten, dass er sich nach der Geburt eines Kindes über dessen Rechtsstellung, ggf. durch Einholung von Rechtsrat Klarheit verschafft und den erforderlichen Antrag nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG stellt. (Ebenso Epple in: GK-AsylG, § 26 Rn. 49). Hier hingegen hatten die Kläger aufgrund des § 36 AufenthG mit ihrer Einreise in das Bundesgebiet einen Anspruch auf ein verfestigtes Aufenthaltsrecht, um ihre elterliche Sorge für ihren minderjährigen Sohn auszuüben. Zudem war auch das den Klägern erteilte Visum, das bis zum 28. April 2018 befristet war, zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung am 17. April 2018 noch gültig. Reisen Familienangehörige mit einem solchen Visum ein, ist eine Asylantragstellung innerhalb der Gültigkeitsdauer dieses Visums auf jeden Fall als noch unverzüglich anzusehen.

Ein weiteres kommt hinzu:

Bei der Frage, ob ein Asylsuchender seinen Asylantrag "unverzüglich" i. S. v. § 26 Abs. 1 AsylVfG gestellt hat, ist darauf abzustellen, ob er das getan hat, was man billigerweise von ihm verlangen kann. "Unverzüglich" heißt in diesem Sinne nicht nur "möglichst schnell", sondern auch "sachgemäß". Sachgemäß ist es aber, dass ein rechtsunkundiger Asylsuchender mit einem Rechtsanwalt Kontakt aufnimmt, um sich von ihm beraten zu lassen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24.06.2003 -10 UE 843/03.A, juris Rn. 21). Bei den Klägern handelt es sich um einfache Menschen, die sich in ihrer Heimat mehr schlecht als recht von Landwirtschaft ernährt haben. Sie sind mit den (Rechts-) Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland gänzlich unvertraut. Sie haben damit, dass sie ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten aufgesucht und dort am 19. Februar 2018 einen Asylantrag unterschrieben haben, das aus ihrer Sicht erforderliche getan, um ein Asylverfahren einzuleiten. Dass sie den entsprechenden Antrag bei ihrem Anwalt unterschrieben haben, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der von diesem abgegebenen eidesstattlichen Versicherung fest. Der Umstand, dass dieser Antrag nicht zu den Akten gelangt ist, kann den Klägern nicht als schuldhaftes Verhalten zugerechnet werden. Warum der laut eidesstattlicher anwaltlicher Versicherung frankiert auf den Postweg gegebene Brief nicht bei der Beklagten ankam, jedenfalls nicht aktenkundig gemacht worden ist, lässt sich nicht aufklären. Jedenfalls liegt der Grund hierfür nicht im Verantwortungsbereich der Kläger. Die auf den 17. April 2018 datierende aktenkundige Antragstellung ist deshalb nicht schuldhaft verzögert. [...]