VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 02.06.2021 - 2 A 41/18 - asyl.net: M29701
https://www.asyl.net/rsdb/m29701
Leitsatz:

Zum Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs bei der Beantragung von Familienschutz:

1. Für die Zuerkennung von Familienschutz ist es unschädlich, wenn die Eheleute gemeinsam einreisen, jedoch mit zeitlichem Abstand Asylanträge stellen. Das Erfordernis der unverzüglichen Antragstellung aus § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AsylG gilt nicht bei gemeinsamer Einreise.

2. Insoweit ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Einreise, Anerkennung der stammberechtigten Person und Beantragung von Familienschutz gefordert wird, so ist dieser jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Familienschutzantrag sechs Monate nach Einreise bzw. vier Monate nach Anerkennung der stammberechtigten Person gestellt wird und die Verzögerung nachvollziehbar begründet ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienschutz, Unverzüglichkeit, zeitlicher Zusammenhang, gemeinsame Einreise,
Normen: AsylG § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AsylG § 26 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf internationalen Schutz für Familienangehörige in Gestalt des subsidiären Schutzes.

Gem. § 26 Abs. 1 AsylG wird der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn 1. die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, 2. die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, 3. der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und 4. die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

Gem. § 25 Abs. 5 AsylG sind auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger ist zusammen mit seiner Ehefrau am 23. Mai 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Seine Frau stellte am 1. Juni 2017 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 22. August 2017 wurde ihr der subsidiäre Schutzstatus unanfechtbar zuerkannt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Zuerkennung zu widerrufen oder zurückzunehmen wäre. Da der Kläger vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes seiner Ehefrau eingereist ist, gilt das Unverzüglichkeitsgebot in diesem Fall nicht. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig. Selbst wenn man einen gewissen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Einreise, der Anerkennung des Stammberechtigten und der Antragstellung verlangen würde, um dem Grundgedanken des § 26 AsylG, das gemeinsame Schicksal der Familienangehörigen zu berücksichtigen, gerecht zu werden (so Epple in: GK-AsylG, Loseblattsammlung, Stand: 119. Lfg., § 26 Rn. 47; Günther in: BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition, Stand: 01.04.2021, AsylG, § 26 Rn. 11), so wäre dieser im vorliegenden Fall zu bejahen. Der Kläger hat nachvollziehbare Gründe dafür angeben können, warum er zunächst von einer Asylantragstellung abgesehen hat. Nachdem die Versuche, Visa auch für seine Töchter zu erhalten, scheiterten, stellte er ebenfalls einen Asylantrag. Ein zeitlicher Zusammenhang zu der Anerkennung des Stammberechtigten liegt bei einem knapp vier Monate nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus seiner Ehefrau gestellten Antrag, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Klägers, vor. [...]