VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 26.05.2021 - 4 A 188/19 - asyl.net: M29769
https://www.asyl.net/rsdb/m29769
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für homosexuellen Mann aus Mali im Asylfolgeverfahren:

Zwar können junge erwerbsfähige Männer in Mali in nicht von Kriegshandlungen bedrohten Gebieten ein menschenwürdiges Existenzminimum erwirtschaften. Dies gilt jedoch nicht für Männer, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Zwar ist Homosexualität in Mali nicht verboten, es besteht jedoch auch kein gesetzlicher Schutz vor Diskriminierung. Vielmehr kommt es zu Strafaktionen nichtstaatlicher Akteure. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Betroffene bei einer Rückkehr nach Mali keinen Arbeitsplatz finden können, der das Existenzminimum garantiert. 

(Leitsätze der Redaktion; Anmerkung: internationaler Schutz wurde nicht geprüft, da das Gericht von dem Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 51 VwVfG ausgegangen ist)

Schlagwörter: homosexuell, Mali, Existenzminimum, Abschiebungsverbot, Asylfolgeantrag, Drei-Monats-Frist,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, VwVfG § 51,
Auszüge:

[...]

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kann sich der Kläger erfolgreich auf eine Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Malis berufen.

Das Gericht ist unter Berücksichtigung aller einzelnen Umstände davon überzeugt, dass einer Ausweisung bzw. einer Abschiebung des Klägers nach Mali humanitäre Gründe zwingend entgegenstehen. Dabei geht das Gericht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ein alleinstehender gesunder, arbeitsfähiger Mann in nicht von Kriegshandlungen bedrohten Gebieten seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterhalt befriedigen kann. [...]

Diese Situation ändert sich aber unter Berücksichtigung aller Umstände ausnahmsweise dann, wenn es um einen Mann geht, der sich offen zu seiner bestehenden Homosexualität bekennt. In diesem Fall kann angesichts der besonderen, in Mali herrschenden Umstände nicht mehr davon gesprochen werden, dass ein solcher Mann - wie andere gesunde sowie erwerbsfähige Männer - in nicht von Kriegshandlungen bedrohten Gebieten seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterhalt befriedigen kann. [...]

Dem Kläger ist es gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe mit Blick auf seine Homosexualität in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen steht zur Überzeugung des Gerichts fest. dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Mali relevante Gefahren ernsthaft drohen und sich diese Gefahren auch alsbald nach der Rückkehr in sein Heimatland realisieren. Denn das Gericht hat auf Grund seines Eindrucks vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2021 und seinen glaubhaften Angaben über seine Homosexualität, auch unter Einbeziehung der von ihm vorgelegten Unterlagen keine Zweifel, dass bei ihm im Falle der Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Die Würdigung der Angaben des Klägers ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO. [...]

In Mali ist Homosexualität zwar legal. Es gibt jedoch keine Gesetze. die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität verbieten. Die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit für LGBTI-Personen wird durch ein Gesetz eingeschränkt, das Vereinigungen "für einen unmoralischen Zweck" verbietet. Es gibt daher auch keine öffentlich sichtbaren LGBTI-Organisationen im Land, obwohl einige Nichtregierungsorganisationen medizinische Unterstützungsprogramme anbieten, die speziell auf die Bedürfnisse homosexueller Männer ausgerichtet sind. Homosexuelle Frauen und Männer dürfen keine Kinder adoptieren. Nichtregierungsorganisationen berichten, dass LGBTI-Individuen physischer, psychologischer und sexueller Gewalt ausgesetzt sind, die von der Bevölkerung als "korrigierende" Bestrafung wahrgenommen wird. Familienmitglieder, Nachbarn sowie Gruppen von Unbekannten begehen den Großteil dieser Taten an öffentlichen Plätzen, wobei die Polizei häufig nicht eingreift. Die meisten LGBTI-Personen leben im Verborgenen und halten ihre sexuelle Orientierung geheim (vgl. zum Obigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl {BFA), Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Mali - Gesamtaktualisierung vom 16. Januar 2018; dies bestätigend das in der vom Kläger überreichten Abhandlung des Lesben- und Schwulenverband vom 10. Mai 2021 aufgeführte Zitat vom US Departement of State: 2020 Contry Reports an Human Rights Pratices: Mali, 30). Tatsächlich existieren insoweit staatliche Schutzmöglichkeiten nicht (Auswärtiges Amt. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Mali (Stand: März 2021)).

Vor diesem Hintergrund ist das Gericht davon überzeugt, dass es dem Kläger angesichts seiner Homosexualität nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gelingen wird, in nicht von Kriegshandlungen bedrohten Gebieten seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterhalt zu befriedigen. Angesichts der beschriebenen Ablehnung von LSBTI-Personen in Mali ist es nämlich nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass der Kläger als Homosexueller bei einer Rückkehr in sein Heimatland zeitnah einen Arbeitsplatz finden wird, der ihm ein Überleben sichert, zumal angesichts der dort bestehenden Armut - von der zunehmenden Armut seien 78,1 % der Bevölkerung betroffen - und der kontinuierlichen Verschlechterung der Lebensgrundlagen in Mali aufgrund der kumulativen Auswirkungen von Dürren, bewaffneter Gewalt und Unsicherheit (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Mali: Interne Fluchtalternative (IFA) für einen gesunden, arbeitsfähigen Mann in nicht von Kriegshandlungen bedrohten Gebieten, vom 30. März 2021) von einem beschränkten Angebot von Arbeitsplätzen sowie einer großen Anzahl von Interessenten, einer Erwerbsmöglichkeit nachzugehen, auszugehen ist. Das Gericht ist deswegen davon überzeugt, dass Personen, die homosexuell sind, bei der Verteilung der Arbeitsplätze wenig Aussicht auf Erfolg haben. [...]