OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.07.2021 - 11 W 59/19 (Wx) - asyl.net: M29869
https://www.asyl.net/rsdb/m29869
Leitsatz:

Ausreichender Nachweis der Identität durch eidesstattliche Versicherung wegen drohender Verfolgungsgefahr:

Der bei den Angaben zur Kindesmutter eingetragene Zusatz "Identität nicht nachgewiesen" ist vorliegend zu streichen. Der Identitätsnachweis durch eine eidesstattliche Versicherung ist hier ausreichend, da es der als Flüchtling anerkannten Kindesmutter nicht zugemutet werden kann, bei den Behörden ihres Heimatlandes vorzusprechen. Auch für Angehörige oder Dritte kann eine Verfolgung nicht ausgeschlossen werden, wenn sie der Kindesmutter bei der Beschaffung von amtlichen Identitätsdokumenten behilflich sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: China, Flüchtlingsanerkennung, Geburteneintrag, Geburtsurkunde, Exilpolitik, eidesstattliche Versicherung, Identitätsnachweis, Tibet,
Normen: PStV § 33, AsylG § 3, PStG § 48, PStG § 51,
Auszüge:

[...]

Der bei den Angaben zur Kindesmutter eingetragene einschränkende Vermerk "Identität nicht nachgewiesen" ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Geburtseintrag der Beteiligten zu 1 zu streichen. [...]

cc) Wird die Geburt eines Kindes angezeigt, soll das Standesamt gemäß § 33 Satz 1 Nrn. 2 und 3 PStV verlangen, dass nicht miteinander verheiratete Eltern u.a. die Geburtsurkunde der Mutter sowie jeweils einen Personalausweis, Reisepass oder ein anderes anerkanntes Passersatzpapier vorlegen. Der Standesbeamte kann sich aber auch auf andere Weise von der Identität einer Person überzeugen, da § 33 PStV nur eine "Soll-Vorschrift" ist. Insbesondere kann sich der Standesbeamte ausnahmsweise auch mit einer eidesstattlichen Versicherung (§ 9 Abs. 2 Satz 2 PStG) zufriedengeben, wenn keine Verdachtsmomente bestehen und die Eltern nachgewiesen haben, dass sie alles ihnen Zumutbare unternommen haben (vgl. Henrich, StAZ 2016, S. 1 <7>). Die Entscheidung, was der Standesbeamte letztlich zu seiner Überzeugungsbildung ausreichen lässt, unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 15.05.2020 - l-3 Wx 69/20 -, juris Rn. 13).

Als anerkannte Passersatzpapiere (§ 33 Satz 1 Nr. 3 PStV) können - ohne Einschränkungen ausgestellte - Reiseausweise für Ausländer oder für Flüchtlinge dem Identitätsnachweis dienen, allerdings entfalten sie keine Bindungswirkung im Personenstandsverfahren und befreien das Gericht nicht von einer eigenständigen Identitätsprüfung. In deren Rahmen sind insbesondere in Fällen, in denen von der Vorlage einer Geburtsurkunde nach § 33 Satz 1 Nr. 2 PStV abgesehen wird, weitere Ermittlungen zur Richtigkeit der Personenangaben durchzuführen; insbesondere kann eine eidesstattliche Versicherung über die Richtigkeit der Angaben verlangt werden (vgl. BGH, B. v. 17.05.2017 - XII ZB 126/15 -, juris Rn. 20 ff.). [...]

aa) Der zur Beurkundung der Geburt vorgelegte Reiseausweis für Flüchtlinge, der mit dem einschränkenden Zusatz versehen ist, dass die darin enthaltenen Daten auf den Angaben des Inhabers beruhen, bietet für sich genommen keine ausreichende Grundlage für die Streichung des einschränkenden Zusatzes (vgl. Senat, B. v. 19.08.2016 - 11 W 50/16 - Juris) und gibt daher Anlass zu weiterer Aufklärung. Auch der zwischenzeitlich vorliegende Reiseausweis ohne den einschränkenden Zusatz entbindet nicht von der eigenständigen Identitätsprüfung und hat im Übrigen keinen höheren Beweiswert als das vorhergehende Dokument, da der einschränkende Zusatz nach dem Ergebnis der Ermittlungen nur aufgrund eines behördlichen Versehens entfallen ist.

bb) Von der Vorlage einer Geburtsurkunde und anderen von Behörden der Volksrepublik China ausgestellten öffentlichen Urkunden ist abzusehen.

(1) Ist wie vorliegend durch bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge festgestellt, dass die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorausgesetzte Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG vorliegt, so ist es der betroffenen Person nicht zuzumuten, sich persönlich dem unmittelbaren Einfluss dieses Staates und damit etwaigen gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen auszusetzen (vgl. KG Berlin, B. v. 19.09.2019 - 1 W 230/19 juris Rn. 7).

(2) Der Beteiligten zu 2 ist es auch nicht zumutbar, Personenstandsurkunden durch Einschaltung von Angehörigen oder Dritten zu erlangen.

Nach der vom Amtsgericht eingeholten Auskunft der Deutschen Botschaft Peking vom 13.02.2019 kann eine Gefährdung von Angehörigen jedenfalls dann nicht ausgeschlossen werden, wenn eine Person wegen mutmaßlicher separatistischer Aktivitäten im Visier der chinesischen Behörden steht. So liegt der Fall hier.

(aa) Das Verwaltungsgericht Freiburg sah es aufgrund einer ausführlichen Anhörung der Beteiligten zu 2 und zahlreicher von ihr vorgelegter Unterlagen zu ihren exilpolitischen Tätigkeiten in Deutschland als erwiesen an, dass die Beteiligte zu 2 tibetische Volkszugehörige aus der VR China ist und sich an chinakritischen Aktionen beteiligt hat. Der Beteiligten zu 2, so das Verwaltungsgericht, würden politische, nämlich in Anknüpfung an ihre abweichende politische Einstellung in Form eines chinakritischen Separatismus anknüpfende Verfolgung von menschenrechtsverletzender Intensität - in Form von strafrechtlicher Verfolgung und menschenrechtswidriger Haft - jedenfalls deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, weil sie im deutschen Exil ganz offenkundig ein nachhaltig kontinuierliche, glaubhafte und für die chinesische Auslandsüberwachung zweifellos sichtbare lang anhaltende persönliche Aktivität innerhalb der sehr kleinen und daher recht überschaubaren Exilgruppierung der Tibetinitiative Deutschland an verschiedenen Orten im Bundesgebiet und insbesondere auch mehrfach vor den chinesischen Konsulaten an den Tag gelegt habe. Diese wurde zweifellos zu einer Befragung und Verfolgung der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach China führen, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit während dieser Aktivitäten vom chinesischen Auslandsgeheimdienst mehrfach fotografiert und gefilmt worden sei, so dass eine Identifizierung den chinesischen Sicherheitsbehörden nicht schwerfallen dürfte.

(bb) Auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Senat keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Beteiligte zu 2 damit rechnen muss, wegen separatistischer Aktivitäten im Blickfeld der chinesischen Behörden zu stehen und deswegen auch mit einer realen Gefährdung ihrer Angehörigen oder sonstiger Dritter rechnen muss, die ihr bei der Beschaffung amtlicher Identitätsnachweise behilflich wären. Eine Vorlage amtlicher Personenstandsurkunden kann ihr unter diesen Umständen nicht zugemutet werden.

ec) Ein Identitätsnachweis mittels der in § 33 Satz 1 Nr. 2 und 3 PStV genannten Urkunden ist mithin nicht möglich. Daher können nach pflichtgemäßem Ermessen auch andere Urkunden wie Bescheinigungen oder Privaturkunden, zumindest in Verbindung mit einer Versicherung an Eides Statt, als Beurkundungsgrundlage dienen (§ 9 Abs. 2 PStG, vgl. Bornhofen, a.a.O., § 9 Rn. 57, 59). [...]