VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 05.08.2021 - 1 B 139/21 - asyl.net: M29904
https://www.asyl.net/rsdb/m29904
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz wegen unklarer Sicherheitslage in palästinensischen Autonomiegebieten:

Derzeit ist offen, ob die aktuell geltende Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel halten wird oder eine weitere Eskalation der Gewalt droht, die sodann die (bislang noch nicht erreichte) Schwelle des § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 AsylG überschreiten könnte. Die bewaffneten Auseinandersetzungen im Mai 2021 haben zu einer erheblichen Steigerung der Opferzahlen im Vergleich zum Vorjahr geführt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Palästinensische Gebiete, offensichtlich unbegründet, subsidiärer Schutz, Abänderungsantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Hamas, Israel, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt,
Normen: VwGO § 80 Abs. 7, AsylG § 4 Abs. 1 S. 1, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Die vom Antragsteller begehrte Abänderung des Beschlusses vom 08.06.2021, zu der das Gericht nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO jederzeit berechtigt ist, war vorliegend unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten.

Danach rechtfertigen Erwägungen zur offensichtlichen Unbegründetheit des individuellen Vorbringens nicht ohne weiteres, den Asylantrag auch im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes nicht lediglich als "einfach" unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abzulehnen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2017 - 2 BvR 1353/17 -, juris Rn. 2).

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem entschieden, dass das Bestehen einer äußerst volatilen und regional unterschiedlichen Sicherheitslage im Zielland der Abschiebung, verbunden mit der Gefahr, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschritten sein könnte, zu einer laufenden Unterrichtung über die tatsächlichen Entwicklungen und vor allem dazu verpflichte, nur auf der Grundlage dieser aktuellen Erkenntnisse zu entscheiden. Dem stehe die Annahme einer eindeutigen und gesicherten Auskunftslage, die ein Offensichtlichkeitsurteil tragen könne, grundsätzlich entgegen (BVerfG, Beschl. v. 25.04.2018 - 2 BvR 2435/17 -, juris Rn. 35).

Der im Klageverfahren angefochtene Bescheid enthält indes keinerlei Ausführungen zur Bedrohung von Zivilpersonen aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel, die im Mai dieses Jahres eskaliert sind und zu einer ganz erheblichen Steigerung der Opferzahlen im Vergleich zum Vorjahr geführt haben (vgl. OCHA, www.ochaopt.org/data/casualties, Stand: 26.07.2021), wobei derzeit noch völlig offen ist, ob die aktuell geltende Waffenruhe halten wird oder eine weitere Eskalation der Gewalt droht, die sodann die (bislang noch nicht erreichte) Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschreiten könnte.

Die Antragsgegnerin hat sich auch im vorliegenden Abänderungsverfahren nicht zu den vom Antragsteller nunmehr dezidiert angesprochenen Aspekten der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage geäußert, so dass dem Begehren des Antragstellers zu entsprechen war. [...]