VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 30.07.2021 - A 14 K 2105/21 - asyl.net: M29946
https://www.asyl.net/rsdb/m29946-1
Leitsatz:

Kein unzulässiger Zweitantrag nach Widerruf des subsidiären Schutzes in Dänemark:

"1. Dänemark ist weder an die Qualifikations- noch an die Verfahrensrichtlinie gebunden. Ein Asylantrag kann daher nicht mit Blick auf eine in Dänemark ergangene Asylentscheidung als Zweit­antrag im Sinne von § 71a AsylG behandelt werden.

2. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die dänischen Behörden eine zuvor getroffene positive Entscheidung zum subsidiären Schutz widerrufen haben."

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 20.05.2021 - C-8/20 L.R. gg. Deutschland - asyl.net: M29661; ebenso VG Berlin, Beschluss vom 05.08.2021 - 3 L 227/21 A - asyl.net: M29936)

Schlagwörter: Dänemark, Asylantrag, Zweitantrag, Folgeantrag, Unionsrecht, Zulässigkeit, Unzulässigkeit, Qualifikationsrichtlinie, Asylverfahrensrichtlinie, GEAS,
Normen: AsylG § 71a Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, RL 2013/32/EU Art. 33 Bst. d
Auszüge:

[...]

Vorliegend dürften die Mitteilungen der dänischen Behörden - die sich im Übrigen auch mit den eigenen Angaben des Antragstellers decken - geeignet sein, den negativen Abschluss des Asylverfahrens des Antragstellers in Dänemark zu belegen (dazu (1).). Ob dagegen auch im Falle eines zunächst zuerkannten und sodann widerrufenen Schutzstatus vom Vorliegen eines Zweitantrags im Sinne des § 71a AsylG auszugehen ist, kann vorliegend offenbleiben. Denn jedenfalls ist es erforderlich, dass sich das in dem sicheren Drittstaat betriebene Asylverfahren sowohl auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes bezogen hat (vgl. exemplarisch: VG Minden, Beschluss vom 31. Juli 2017 - 10 L 109/17.A -, Rn. 35, juris m.w.N.). Daran bestehen im Falle Dänemarks - jedenfalls für den Zeitraum, in dem dem Antragsteller in Dänemark der subsidiäre Schutz zuerkannt und - unanfechtbar - widerrufen wurde - erhebliche Zweifel (dazu (2).).

(1). Sowohl der Antragsteller als auch die dänischen Behörden (diese mit Schreiben vom 21. Januar 2021) haben übereinstimmend mitgeteilt, dass dem Antragsteller am 14. Juli 2014 eine befristete Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach "section 7 (2)" erteilt wurde. Am 02. Oktober 2017 wurde diese wieder entzogen, wogegen der Antragsteller am 06. Oktober 2017 Beschwerde einlegte. Die dänische "Schiedsstelle für Flüchtlingsfragen" wies die Beschwerde am 07. Dezember 2018 zurück, bestätigte die Entscheidung der dänischen Ausländerbehörde und entschied, dass es keine Grundlage für die Zuerkennung subsidiären Schutzes mehr gebe ("there was no basis for subsidiary protection anymore"). Dem Antragsteller wurde eine Frist von einem Monat eingeräumt, Dänemark freiwillig zu verlassen. Andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Somalia angedroht.

(2). Ob das Vorliegen eines Zweitantrags im Sinne des § 71a AsylG auch dann zu bejahen ist, wenn einem Antragsteller - wie hier - in einem anderen Mitgliedstaat zunächst ein Schutzstatus zuerkannt, dieser sodann jedoch - unanfechtbar - widerrufen wurde, kann offenbleiben. Es spricht jedoch viel dafür, dies gleichwertig zu behandeln, da andernfalls solche Antragsteller, deren Schutzgesuch "direkt" abgelehnt wurde, schlechter stehen würden und der Zweck des § 71a AsylG, eine "Mehrfachprüfung" von Anträgen auf internationalen Schutz zu vermeiden, vereitelt würde.

Jedenfalls aber ist ein Asylantrag nur dann als Zweitantrag anzusehen, wenn zuvor ein Asylverfahren - mit vollständiger Prüfung des internationalen Schutzes - in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen ist, der zugleich ein Zuständigkeitsregelungen enthaltendes Asylabkommen mit Deutschland geschlossen hat bzw. für den die Dublin-VO gilt (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG $ 71a Rn. 3 m.w.N. zur Rspr.). Daran bestehen im Falle Dänemarks - jedenfalls in dem Zeitraum, in dem dem Antragsteller dort der subsidiäre Schutz zuerkannt und - unanfechtbar - widerrufen wurde - erhebliche Zweifel:

So ist grundsätzlich für diejenigen Dublin-Staaten, für die die Vorschriften des Unionsrechts und insbesondere der Verfahrensrichtlinie gelten, ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass diese ihrer unionsrechtlichen Pflicht nachkommen und neben den Voraussetzungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch die des subsidiären Schutzes prüfen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die diese Annahme in Frage stellen. Fraglich kann dies allerdings im Einzelfall bei Staaten sein, die als assoziierte Staaten dem Dublin-Übereinkommen beigetreten sind, oder aufgrund ihrer Sonderstellung nicht an die unionsrechtlichen Asylvorschriften gebunden sind (vgl. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, Band 4, Stand: 01/2019, § 71a AsylG Rn. 21 f.). Letzteres gilt für Dänemark, das weder an die Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) noch an die Anerkennungsrichtlinie (RL 2011/95/EU) gebunden ist (vgl. Erwägungsgrund 51 zu RL 2011/98/EU sowie Erwägungsgrund 59 zu RL 2013/32/EU).

Maßgeblich dürfte in einem solchen Fall unter systematischer und teleologischer Auslegung der Vorgaben von Art. 33 Abs. 2 sowie Art. 35 und 38 RL 2013/32/EU sein, dass in einem solchem Staat ein im Wesentlichen vergleichbarer Schutz gewährt wird (vgl. hierzu insbesondere die Vorgaben des Art. 38 Abs. 1. RL 2013/32/EU, auf die auch in Art. 35 Unterabs. 2 Satz 1 RL 2013/32/EU Bezug genommen wird). Eine völlige Deckungsgleichheit mit den EU-Regeln kann unter Berücksichtigung dessen dagegen nicht verlangt werden (VG Würzburg, Beschluss vom 26. März 2021- W4S 21.30209 -, Rn. 29, juris; so im Ergebnis auch: Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71a Rn. 7).

Daran dürfte es in Dänemark - jedenfalls im Zeitpunkt der Schutzgewährung für den Antragsteller - gefehlt haben. Dem Antragsteller wurde am 14. Juli 2014 in Dänemark der subsidiäre Schutz nach "section (2)" zuerkannt. Dieser subsidiäre Schutz nach "section (2)" blieb - soweit ersichtlich - hinter den Vorgaben des Art. 2 Buchst. a) sowie Art. 15 Buchst. c) RL 2011/95/EU zurück, da das dänische Ausländergesetz keine Schutzgewährung im Falle eines ernsthaften Schadens aufgrund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorsah (in diesem Sinne auch VG Magdeburg, Urteil vom 19. Februar 2020 - 8 A 48/20 -, Rn. 27; VG Lüneburg, Urteil vom 15. August 2020 - 2 A 565/17 -, Rn. 22, juris, jedenfalls bezüglich der Jahre 2014 und 2015).

Ob bereits daraus folgt, dass im konkreten Fall das Vorliegen eines Zweitantrags zu verneinen ist (so wohl: VG Lüneburg, Urteil vom 15. August 2020 - 2 A 565/17 -, Rn. 22, juris) oder aber maßgeblich darauf abzustellen ist, ob dem Antragsteller zu irgendeinem Zeitpunkt - etwa zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung - eine "vollumfängliche" Prüfung zuteilwurde (so VG Würzburg, Beschluss vom 26. März 2021- W4S 21.30209 -, Rn. 31, juris, wobei maßgeblich darauf abgestellt wird, dass jedenfalls im Jahr 2019 mit der Einführung des "section 7(3)" im dänischen Ausländergesetz eine Art. 15 Buchst. c) der RL 2011/95/EU entsprechende Regelung enthalten war), kann vorliegend offenbleiben. Denn eine Prüfung des Asylantrags des Antragstellers am Maßstab des "section 7 (3)" - wobei unklar ist, wann genau diese Regelung eingeführt wurde - hat ausweislich der dem Gericht vorliegenden übersetzten Entscheidung der "dänischen Schiedsstelle für Flüchtlingsfragen" vom 08. Dezember 2018 auch im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht stattgefunden. Die diesbezüglichen Ausführungen erschöpfen sich vielmehr in der Darlegung, dass dem Antragsteller auf Grundlage von "section 7 (2)" seinerzeit der subsidiäre Schutz gewährt worden sei und die diesbezüglichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht mehr vorlägen, nachdem dem Antragsteller seine individuellen Fluchtgründe nicht geglaubt werden könnten. [...]