OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.08.2021 - 13 ME 142/21 - asyl.net: M29970
https://www.asyl.net/rsdb/m29970
Leitsatz:

Eilrechtsschutz für nicht sorgeberechtigten Vater von deutschen Kindern:

1. Die Nachholung des Visumsverfahrens ist unzumutbar, wenn die Erteilung des Visums ungewiss ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn der betroffene Elternteil eines deutschen Kindes nicht sorgeberechtigt ist.

2.  Eine mögliche Besserstellung von nicht sorgeberechtigten Elternteilen gegenüber sorgeberechtigten Elternteilen in Hinblick auf die Nachholung des Visumsverfahren ist hinzunehmen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eltern-Kind-Verhältnis, Sorgerecht, Visumsverfahren, deutsches Kind, Vater, Duldung, vorläufiger Rechtsschutz, Schutz von Ehe und Familie, Nachholung des Visumsverfahrens, Visum, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 60a, GG Art. 6, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Dass danach zwischen dem Antragsteller und seinen am ... 2019 und am ... 2020 geborenen, im Bundesgebiet lebenden deutschen Kindern eine schutzwürdige familiäre Bindung tatsächlich besteht, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Auch für den Senat besteht derzeit kein Anlass, daran zu zweifeln. Der Antragsteller hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der deutschen Kindesmutter vom 5. April 2021 (GA, Bl. 96) in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht, dass er mit der Mutter seiner Kinder in einer festen eheähnlichen Beziehung zusammenlebt und sich um die Aufzucht seiner beiden in der gemeinsamen Wohnung lebenden Töchter kümmert. Allerdings ist er nicht sorgeberechtigt. [...]

Diese zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern tatsächlich bestehende schutzwürdige familiäre Beziehung würde durch eine Abschiebung des Antragstellers für einen voraussichtlich erheblichen, nicht mehr zumutbaren Zeitraum unterbrochen. Allerdings hat sich die Antragsgegnerin bereit erklärt, den Antragsteller bis zu einem Termin zur Nachholung des Visums bei der Deutschen Botschaft in Belgrad zu dulden und eine Vorabzustimmung zu erteilen. Auch geht sie davon aus, dass der Antragsteller im Anschluss daran innerhalb eines Zeitraums von 4 Wochen legal mit dem erforderlichen Visum erneut in die Bundesrepublik Deutschland einreisen könnte. Der Senat vermag aber nicht hinreichend verlässlich zu prognostizieren, dass die Trennung auf diesen kurzen Zeitraum beschränkt bleiben wird.

Insbesondere ist ungewiss, ob dem Antragsteller ein Visum zur Familienzusammenführung nach § 6 Abs. 3 AufenthG mit dem Ziel der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgestellt werden wird. Eine Aufenthaltserlaubnis auf dieser Grundlage wird zwar dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil erteilt. Sie setzt indes voraus, dass "die familiäre Gemeinschaft" schon im Bundesgebiet gelebt wird". Diese Voraussetzung entfällt indes mit der Ausreise des nicht personensorgeberechtigten Elternteils aus dem Bundesgebiet, so dass auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ein Zuzug aus dem Ausland nach bisheriger Auffassung des Senats von vorneherein nicht erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschl. v. 26.4.2018 - 13 ME 71/18 -, juris Rn. 7; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.1.2018 - OVG 3 S 5.18 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 9.4.2015 - OVG 11 M 39.14 -, juris Rn. 3).

Die von der Antragsgegnerin erbetene Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Belgrad vom 6. Mai 2021 (GA, Bl. III) belegt nichts Gegenteiliges mit der erforderlichen Sicherheit. Dort ist lediglich von einer Erteilung eines Visums die Rede, "sofern die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen". Auf die Nachfrage des Berichterstatters vom 6. Mai 2021 (GA, Bl. 115), ob für einen Ausländer, der die Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erfüllt, die Ausstellung eines Visums möglich sei, ist bislang keine Antwort erfolgt. Auf erneute Nachfrage unter dem 10. Juni 2021 (GA, Bl. 118) teilte die Botschaft unter dem 25. Juni 2021 mit, dass eine Antwort unmittelbar durch das Auswärtige Amt erfolgen werde (GA, Bl. 120). Da eine Antwort weiterhin aussteht, sieht der Senat keine Veranlassung, seine bisherige Rechtsprechung im vorliegenden Eilverfahren zu ändern. Die endgültige Klärung der aufgeworfenen Frage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Der Senat verkennt nicht, dass die fehlende Möglichkeit der Erteilung eines Visums für eine Aufenthaltserlaubnis eines nicht personensorgeberechtigten Elternteils nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Besserstellung gegenüber einem personensorgeberechtigten Elternteil (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zur Folge haben kann. Während letzterem regelmäßig eine kurzfristige Trennung von seinem in Deutschland lebenden minderjährigen deutschen Kind zum Zweck der Nachholung des Visumverfahrens zuzumuten ist, ist dies für denjenigen, dem nur ein Umgangsrecht zu seinem minderjährigen Kind zusteht, nicht der Fall. Dies hat seinen Grund jedoch darin, dass einem nicht personensorgeberechtigten Elternteil, das Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hat, nach der gesetzlichen Regelung ein Visum zu diesem Zweck nicht erteilt werden kann.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller auf die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung nach § 6 Abs. 3 AufenthG mit dem Ziel der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 4 in Verbindung mit § 36 AufenthG verwiesen werden könnte. Denn es bestehen im konkreten Fall, in dem der Antragsteller den Umgang mit seinen Töchtern, die nicht zwingend auf die Gewährung seiner familiären Lebenshilfe angewiesen sind, wahrnehmen möchte, keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Härte (vgl. zu den Anforderungen: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013 - BVerwG 1 C 15.12 -, BVerwGE 147, 278, 281 f.). Eine solche außergewöhnliche Härte folgt jedenfalls nicht schon daraus, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis zu einer Erschwerung des Umgangsrechts führt (vgl. Senatsbeschl. v. 26.4.2018, a.a.O., Rn. 8; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.3.1995 - 1 S 3605/94 -, juris Rn. 8).

Ist danach offen, auf welcher Grundlage und zu welchem Zeitpunkt dem Antragsteller eine legale Wiedereinreise in das Bundesgebiet möglich sein wird, muss derzeit von einer Unterbrechung der familiären Beziehung zu seinen im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Töchtern für eine nicht absehbare Zeit ausgegangen werden. Eine solche Unterbrechung ist dem Antragsteller und seinen Töchtern unter Berücksichtigung deren glaubhaft gemachter tatsächlicher Verbundenheit und des Kindeswohls nicht zuzumuten. [...]