OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.08.2021 - 13 B 1226/21.A - asyl.net: M30007
https://www.asyl.net/rsdb/m30007
Leitsatz:

Stattgebender Eilbeschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO wegen Veränderung der Lage in Afghanistan:

Aufgrund der Änderung der Lage in Afghanistan durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie des NATO-Beschlusses zum Ende der Mission Resolute Support (RSM) ist die Frage, ob für einen jungen arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen ein nationales Abschiebungsverbot festzustellen ist, als offen anzusehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Abschiebungsverbot, vorläufiger Rechtsschutz, Existenzgrundlage, RSM, NATO, Taliban, Corona-Virus, humanitäre Gründe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, alleinstehende Männer, Arbeitslosigkeit, Existenzminimum, Änderung der Sachlage,
Normen: VwGO § 80 Abs. 7, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 31. Mai 2019 haben sich entscheidungserhebliche tatsächliche Verhältnisse in Afghanistan verändert. So konnte das Verwaltungsgericht die nachfolgende Entstehung der COVID-19-Pandemie und ihre Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Nahrungsmittelversorgung in Afghanistan seit dem Frühjahr 2020 (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 15. Juli 2021, Stand: Mai 2021, S. 4), bei seiner Entscheidung naturgemäß nicht berücksichtigen.

Gleiches gilt für den NATO-Beschluss vom 14. April 2021 zum Ende der Mission Resolute Support (RSM) und dessen Folgen. Diese Mission soll bis spätestens 11. September 2021 beendet sein; zum 1. Mai 2021 wurde der Abzug der internationalen militärischen Kräfte aus Afghanistan eingeleitet (vgl. NATO, NATO Allies decide to start withdrawal of forces from Afghanistan, 14. April 2021, abrufbar unter www.nato.int /cps/en/natohq/news_183086.htm?selectedLocale=en; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 15. Juli 2021, Stand: Mai 2021, S. 5).

Zahlreiche ausländische Truppen haben das Land bereits verfassen. Die Taliban haben ihr Einflussgebiet seit dem NATO-Beschluss ausgeweitet und mittlerweile mehrere Provinzhauptstädte erobert (vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Ende des Afghanistaneinsatzes: Unsere Soldaten sind auf dem Weg nach Hause, 29.06.2021, abrufbar unter www.bmvg.de/de/presse/ende-des-afghanistan-einsatzes-unsere-soldaten-sind-auf-dem-weg-nach-hause-5101202; zdf heute, Einsatz am Hindukusch - US-Oberkommandierender verlässt Afghanistan, 12.07.2021, abrufbar unter www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-usa-general-miller-truppen-abzug-100.html; Deutsche Welle, Taliban erobern Kundus und weitere Provinzhauptstädte in Afghanistan, 08.08.2021, abrufbar unter www.dw.com/de/taliban-erobern-kundus-und-weitere-provinzhauptst%C3%A4dte-in-afghanistan/a-58802739; Long War Journal, Mapping Taliban Contested and Controlled Districts in Afghanistan, Weekly time lapse video of the Taliban's Advance, Apr 13 to Present, abrufbar unter www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan).

Aufgrund dieser aktuellen tatsächlichen Entwicklungen der Lage in Afghanistan sowie vor dem Hintergrund der uneinheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Rückkehrmöglichkeiten für arbeitsfähige afghanische Männer wie den Antragsteller (vgl. nur VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17. Dezember 2020 - A 11 S 2042/20 -, juris, Rn. 104 f.; Bay. VGH, Urteil vom 7. Juni 2021 - 13a B 21.30342 -, juris, Rn. 14), ist die Frage, ob die der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung in Ziffer 3, des Bescheids zugrundeliegende Feststellung (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) in Ziffer 2, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, rechtmäßig ist, derzeit als offen anzusehen. Da eine grundsätzliche Klärung jedenfalls durch das beschließende Gericht noch nicht erfolgt ist, muss sie dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. [...]