VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 01.09.2021 - 3 A 564/16 - asyl.net: M30050
https://www.asyl.net/rsdb/m30050
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für Mann aus dem Sudan wegen drohender Inhaftierung:

1. Vor dem Hintergrund der allgemein unmenschlichen Haftbedingungen im Sudan ist dem Kläger subsidiärer Schutz zu gewähren, da damit zu rechnen ist, dass er bei einer Rückkehr in den Sudan inhaftiert werden wird.

2. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Situation in den Gefängnissen nach dem Regierungswechsel im Jahr 2019 verbessert hat.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Sudan, Darfur, Haftbedingungen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

VI. Allerdings kann der Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylG beanspruchen. [...]

Grundsätzlich können Haftbedingungen, gleichgültig aus welchem Grund die Haft vollstreckt wird, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK und damit auch i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG darstellen (VG Freiburg, Urteil vom 24.04. 2018 – A 1 K 4712/16 –, juris Rn. 24f m.w.N.). [...]

Im Fall des Klägers ist davon auszugehen, dass er bei seiner Rückkehr in den Sudan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar sofort in Haft genommen wird. Das ergibt sich aus den vorstehend (s. oben II.) ausführlich gewürdigten glaubhaften Darlegungen des Klägers zu der durch Bestechung erreichten Flucht aus der Haft. Grundsätzlich ist zwar jeder Staat berechtigt, seine und die Sicherheit seiner Bürger dadurch zu gewährleisten, dass zur Bekämpfung und Verhinderung von Bestechung, Korruption und Flucht aus staatlicher Haft insbesondere die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens unter staatlicher Leitung im verträglichen Miteinander dadurch geschützt wird, dass insoweit eine strafrechtliche Sanktionierung solcher Handlungen erfolgt. Dabei ist eine Grenze jedoch erreicht, wenn der Vollzug einer solchen Sanktionierung die Garantien von Art. 3 EMRK unterläuft und missachtet.

Nach den eingangs genannten Grundsätzen und den vorliegenden Erkenntnismitteln besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Sudan durch freiheitsentziehende Maßnahmen einer unmenschlichen Behandlung und Folter ausgesetzt werden würde. Dabei gestaltet sich die Ermittlung der tatsächlichen Sanktionierungspraxis der sudanesischen Behörden aufgrund der eingeschränkten Auskunftslage zu Sudan schwierig. [...]

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich bspw. hinsichtlich des Geheimdienstes und dessen Tätigkeit im Wesentlichen bisher nur der Name bzw. die Abkürzung geändert hat (statt NISS nun GIS; vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.06.2020, S. 21), aber der Schutz von dessen Mitarbeitern vor jeglicher strafrechtlicher Verfolgung und Disziplinierungsverhandlungen aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit auch nach dem Sturz von al-Baschir weiterhin in Kraft ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Situation insbesondere auch in den Haftanstalten bisher zu einer menschenrechtlich akzeptablen verändert hat. Das Auswärtige Amt (aaO.) berichtet ausdrücklich von Folter durch Polizei, Armee oder Sicherheitsdiensten, auch mit Todesfolge. So etwas sei zwar schon auch unter dem vorherigen Regime verboten gewesen, verlässliche Berichte darüber, ob es überhaupt sanktioniert worden sei, gebe es aber nicht. Ausdrücklich spricht das Auswärtige Amt (aaO.) von menschenunwürdigen Zuständen in vielen Haftanstalten des Sudan.

Wie sich aus den vorhandenen Quellen ergibt, legen Sudans gegenwärtige Machthaber es offensichtlich immer noch darauf an, möglichst wenig Informationen über die wahren Zustände im Land nach außen dringen zu lassen. So berichtet das BFA (aaO.) unter Verweis auf das Außenministerium der Vereinigten Staaten darüber, dass die Übergangsregierung zwar grundsätzlich die Einschränkung des Zugangs durch unabhängige nichtstaatliche Organisationen aufgehoben habe, jedoch allenfalls gelegentlich eingeschränkter Zugang und dann auch nur zu Regierungsgefängnissen in Darfur bekannt sei.

Nach dieser Beurteilung der Lage im Sudan ist nach Überzeugung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger, welcher aufgrund seiner glaubhaften Ausführungen eine strafrechtliche Sanktionierung seiner durch Bestechung erreichten Flucht aus der Haft im Falle seiner zwangsweisen Rückführung nach Sudan unmittelbar inhaftiert und in der Haft unmenschlichen Haftbedingungen sowie Folter ausgesetzt sein wird. Die nach §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3 c AsylG erforderlichen Verfolgungsakteure sind ebenfalls gegeben, eine innerstaatliche Fluchtalternative (§§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3 e AsylG) besteht nicht, Ausschlussgründe nach § 4 Abs. 2 AsylG sind nicht zu erkennen. [...]