VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 29.09.2021 - 3 B 1890/20 - asyl.net: M30119
https://www.asyl.net/rsdb/m30119
Leitsatz:

Gewährung von Eilrechtsschutz wegen fehlender Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung:

"Enthält ein Verwaltungsakt die ausdrückliche Festlegung, dass die Ausreisepflicht erst mit Bestandskraft des Bescheids eintritt, so ist diese behördliche Entscheidung allein für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht maßgebend. Auf eventuell abweichende gesetzliche Regelungen, die eine andere behördliche Entscheidung hätten tragen können, kommt es nicht an."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Vollziehbarkeit, Ausreisepflicht, Ausländerbehörde, aufschiebende Wirkung, vorläufiger Rechtsschutz, Verwaltungsakt, Vollstreckbarkeit, Fortdauer der aufschiebenden Wirkung, Suspensiveffekt,
Normen: AufenthG § 50 Abs. 1, AufenthG § 59 Abs. 1, AufenthG § 84 Abs. 1, VwGO § 80b Abs. 1, VwGO § 6,
Auszüge:

[...]

Der so verstandene Antrag ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten und zulässig, weil die Antragsgegnerin ausweislich ihres Schriftsatzes vom 07.08.2021 (Bl. 17 - 18 der Gerichtsakte) davon ausgeht, ihre Verfügung vom 15.03.2018 sei (nunmehr) sofort vollziehbar. Diese Auffassung wird auch durch den Umstand bestätigt, dass der Antragstellerin im Juli 2020 nur eine Duldung mit dem Zusatz "erlischt mit Bekanntgabe des Rückreisetermins" (vgl. Bearbeitungsverfügung vom 02.07.2020) ausgestellt wurde. Nach Eingang des Eilantrags lautet der Zusatz bei der erteilten Duldung jeweils: "erlischt mit Entscheidung des Hess. VGH im Verfahren 3 B 1890/20" (Bearbeitungsverfügungen vom 21.10.2020, 18.01.2021, 29.03.2021 und 12.07.2021).

Diese Annahme der Antragsgegnerin erweist sich indes als unrichtig. Sie kann vielmehr erst mit Bestandskraft ihres Bescheids vom 15.03.2018 von der Antragstellerin die Ausreise verlangen und ggf. aus der Abschiebungsandrohung vollstrecken. Denn sie hat in ihrem Bescheid vom 15.03.2018 selbst die Entstehung der Ausreiseverpflichtung nach § 50 Abs. 1 AufenthG und damit auch die darauf beruhende Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG von der Bestandskraft der Verfügung abhängig macht.

Hierauf hat die Antragsgegnerin in dem erstinstanzlichen Eilverfahren 2 L 1469/18.F mit Schriftsatz vom 27.04.2018 selbst hingewiesen und ausgeführt, wegen ihrer Verknüpfung mit der Bestandskraft könnten die Verfügungen rechtliche Wirkungen nicht entfalten, solange das Verfahren in der Hauptsache noch nicht rechtskräftig bzw. unanfechtbar abgeschlossen sei. Eine sofortige Vollziehung sei nicht angeordnet worden.

An dieser zutreffenden Einschätzung ist die Antragsgegnerin festzuhalten.

Die Abweisung der Klage der Antragstellerin in der ersten Instanz führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar endet gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, wenn die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels.

Ein solcher Fall liegt hier aber unabhängig von den Regelungen zur aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen bestimmte ausländerrechtliche Entscheidungen in § 84 Abs. 1 AufenthG nicht vor.

Dabei lässt der Senat dahinstehen, wie sich die Rechtslage hinsichtlich der Fiktionswirkung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) im Falle der Antragstellerin darstellen würde, da dies nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Die Antragstellerin will ausweislich ihres Vortrags mit dem vorliegenden Eilantrag nur ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens sichern, nicht hingegen weitere Folgen aus der Fiktionswirkung für sich herleiten.

Voraussetzung für die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen ist entweder die Bestandskraft oder die sofortige Vollziehbarkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes (vgl. § 6 VwVG).

Enthält dieser Verwaltungsakt – wie hier – die ausdrückliche Festlegung, dass die Ausreisepflicht erst mit Bestandskraft des Bescheids eintritt, so ist diese behördliche Entscheidung allein für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht maßgebend. Auf evtl. abweichende gesetzliche Regelungen, die eine andere behördliche Entscheidung hätten tragen können, kommt es nicht an.

Der Antragsgegnerin ist es daher aufgrund ihrer eigenen Entscheidung verwehrt, vor Bestandskraft des angegriffenen Bescheids vom 15.03.2018, also vor (negativem) Abschluss des Rechtsmittelverfahrens, aus diesem gegenüber der Antragstellerin vorzugehen. Da der Senat mit Beschluss vom 28.09.2021 – 3 A 2524/19.Z – die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 08.08.2019 im Verfahren 2 K 1472/18.F zugelassen hat, sind bis zum Abschluss dieses Berufungsverfahrens (3 A 1996/21) Vollziehungsmaßnahmen aufgrund des Bescheids ausgeschlossen. [...]