VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 03.09.2021 - 12 K 2356/16.A - asyl.net: M30142
https://www.asyl.net/rsdb/m30142
Leitsatz:

Unzulässige Sprachanalyse:

Eine durch das BAMF durchgeführte Sprachanalyse ist rechtlich unbeachtlich, wenn sich in der Asylverfahrensakte kein Gutachtenauftrag findet, der an eine natürliche Person gerichtet ist und den konkreten Gegenstand des Auftrags benennt.

Vorliegend: Gewährung von subsidiärem Schutz an yezidische Familie aus Syrien.

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Yeziden, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Syrien, Sprachanalyse, Irak, Türkei, Sprachgutachten, BAMF, subsidiärer Schutz,
Normen: VwVfG § 26, § 4 AsylG,
Auszüge:

[...]

Die Kläger sind nach dem Eindruck des Einzelrichters, den er sich in der mündlichen Verhandlung von den erschienenen Klägern verschafft hat, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kurdische Yeziden, die sich dauerhaft in Syrien aufgehalten haben. Aufgrund ihrer Kenntnisse von den Örtlichkeiten in Syrien, des kleinen Ortes ... (andere Schreibweise: ...), der in der Nähe der Stadt Hasaka liegt, spricht Überwiegendes dafür, dass die Kläger von dort stammen. Aufgrund ihres geringen Bildungsstandes und ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Yeziden, ist nachvollziehbar, dass sie von sich aus keine weiteren Angaben zu Hasaka machen konnten.

Das von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gesprochene kurdisch konnte vom Übersetzer nicht eindeutig zugeordnet werden. Der forensisch sehr erfahrene Übersetzer konnte eine Herkunft der Kläger aus Syrien jedenfalls nicht ausschließen. Das Vorbringen der Kläger zu ihrer Herkunft ist nach Auffassung des Einzelrichters glaubhaft. Das Vorbringen der Kläger selbst bietet für das Gericht keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen zu ihrer Herkunft. [...]

Die in den Ausdrucken elektronisch gespeicherter Daten des Bundesamtes befindlichen und als Sprach- und Textanalyse bezeichneten Erläuterungen haben keinerlei gutachterlichen Beweiswert. Grundsätzlich kann eine Behörde insbesondere Auskünfte jeder Art einholen und Äußerungen von Sachverständigen einholen, § 26 Abs. 1 VwVfG. Somit kann das Bundesamt grundsätzlich eine Sprach- und Textanalyse in Form eines Gutachtens zur Herkunft eines Asylantragstellers einholen. Die mit den Ausdrucken elektronisch gespeicherter Daten eingereichten Erläuterungen 8. Januar 2016 sind indes kein Gutachten, sondern erweisen sich als rechtlich unbeachtlich.

Für eine rechtlich verwertbare Sprach- und Textanalyse fehlt es schon an einem den Ausdrucken elektronisch gespeicherter Daten des Bundesamtes zu entnehmenden Gutachterauftrag, der an eine bestimmte natürliche Person gerichtet ist. Die Kenntnisnahme des vollständigen Sachverhalts durch das Gericht mag daran scheitern, dass das Bundesamt sich auch im Fall der Kläger weigert, seine Originalverwaltungsvorgänge vorzulegen (vgl. zu dieser beharrlich aufrecht erhaltenen Verwaltungspraxis zuletzt VG Potsdam, Beschluss vom 7. Mai 2021 - VG 12 L 99/21.A -, juris Rn. 18 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht kann die Erfüllung der Verpflichtung des § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht erzwingen, sondern kann und muss grundsätzlich die Weigerung der Behörde, ihre Verwaltungsvorgänge vollständig vorzulegen, bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen (vgl. Kopp/Schenke VwGO Kommentar, 24. Aufl. 2018, Anm. 7 zu § 99 VwGO).

Die in den Ausdrucken elektronisch gespeicherter Daten befindlichen und als Sprach-Textanalyse bezeichneten Erläuterungen sind jedenfalls schon deshalb nicht als Gutachten verwertbar, weil sich in den vorgelegten Ausdrucken elektronisch gespeicherter Daten kein Gutachterauftrag finden lässt. Somit lässt sich für das Gericht weder der Verfasser noch der Gegenstand dieser Ausführungen feststellen. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung in dieser Richtung hat das Bundesamt dadurch vereitelt, dass es der Aufforderung des Gerichts, zur mündlichen Verhandlung einen Beamten oder Angestellten zu entsenden, der mit einem schriftlichen Nachweis über die Vertretungsbefugnis versehen und über die Sach- und Rechtslage ausreichend unterrichtet ist, nicht nachgekommen ist. Damit hat sich das Bundesamt jedweder richterlichen Nachfrage zum Verfasser und zum Auftrag für die Sprach- und Textanalyse entzogen, geschweige denn, seinerseits irgendein Beweisangebot gemacht. Die Sachverhaltsaufklärungspflicht durch das Gericht endet aber dort, wo die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beginnt. Dies gilt auch für Behörden (vgl. etwa zur Amtsermittlungspflicht nationaler Gerichte EuGH, Urteil vom 14. Juni 2017 -  C-615/15, beck-online, Rn.15, 16).

Auf die weiteren Mängel der Sprach- und Textanalyse (vgl. dazu nur VG Stuttgart, Urteil vom 20. Februar 2012 - A 11 K 4225/11 -, juris Rn.27 und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. März 1992 - 7B 10321/92 -, juris) und Widersprüche ist vor diesem Hintergrund deshalb nicht weiter einzugehen.

Die Kläger sind zunächst nach alledem als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus Syrien stammende kurdische Yeziden anzusehen. Als solche sind sie subsidiär schutzberechtigt. [...]