OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 08.07.2021 - 13 ME 246/21 - asyl.net: M30143
https://www.asyl.net/rsdb/m30143
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen "Duldung light" wegen nicht rechtskräftig abgelehnten Asylfolgeantrags:

1. Es ist offen, ob die Ausnahme von den besonderen Passbeschaffungspflichten aufgrund eines Asylantrags oder Asylgesuchs nach § 60b Abs. 2 S. 2 AufenthG auch dann gilt, wenn es sich um einen Asylfolgeantrag nach § 71 AsylG handelt (vorliegend: nicht rechtskräftige Unzulässigkeitsentscheidung hinsichtlich eines Asylfolgeantrags). 

2. Wenn bereits vor der Erteilung einer Duldung mit Zusatz nach § 60b AufenthG eine Beschäftigungserlaubnis erteilt wurde, besteht diese als "überwirkende Beschäftigungserlaubnis" fort. Die Beschäftigungserlaubnis erlischt nicht automatisch durch Duldungserteilung mit daraus folgendem Arbeitsverbot, sondern müsste erst widerrufen werden. In dem Vermerk "Erwerbstätigkeit nicht gestattet" in Folgeduldungsbescheinigungen ist kein Widerruf zu sehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Asylfolgeantrag, überwirkende Beschäftigungserlaubnis, Überwirkung, Widerruf, Arbeitserlaubnis,
Normen: AufenthG § 60b Abs. 2 S. 2, AufenthG § 60b Abs. 2 S. 1, AsylG § 71, AsylG § 13, AsylG § 18
Auszüge:

[...]

6 c) Gegen die Anwendung der Vorschrift des § 60b Abs. 1 Satz 1, 2. Alt., Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG im vorliegenden Fall könnte aber § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG sprechen, nach welchem ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ab der Stellung eines Asylantrags (§ 13 AsylG) oder eines Asylgesuchs (§18 AsylG) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrags nicht der besonderen Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG unterliegt; Gleiches gilt, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt, es sei denn, das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG beruht allein auf gesundheitlichen Gründen. Es ist aber fraglich, ob dieser Ausschluss auch dann gilt, wenn - wie hier am 11. März 2021 (vgl. (Bl. 303 ff. der Ausländerakte) und damit innerhalb der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Duldung mit Zusatz vom 24. Februar 2021 - lediglich ein Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 AsylG gestellt worden ist, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Folgeantrag als unzulässig abgelehnt hat, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen, den Antrag auf Abänderung des vorangegangenen bestandskräftig gewordenen Bescheids (hier v. 23.3.20218, vgl. Bl. 96 ff. der Ausländerakte) bezüglich nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abgelehnt hat und der Antragsteller gegen diese Entscheidungen klagt (hier im Klageverfahren 5 A 164/21 vor dem VG Osnabrück, vgl. die Beschwerdebegründung v. 29.4.2021, Bl. 58 R der GA). Diese Frage kann im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden werden, so dass die Erfolgsaussichten des isoliert gegen den Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG gerichteten Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als offen angesehen werden müssen; mit der Konsequenz, dass die Kosten für dieses erste Eilrechtsschutzbegehren zwischen den Beteiligten hälftig zu teilen sind. [...]

8 Die Duldungsbescheinigung über die vorerst letzte nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ohne einen Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG erteilte Duldung vom 13. Juli 2020 (Bl. 268 ff. der Ausländerakte) enthielt den Vermerk "Beschäftigung nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet, mit Ausnahme von der Beschäftigung als Produktionsmitarbeiter bei der Firma ... GmbH bundesweit in Vollzeit" ohne jeden Zusatz zur Geltungsdauer. Vieles spricht daher dafür, dass es sich dabei um eine unbefristete Beschäftigungserlaubnis für das genannte Arbeitsverhältnis handelte, die nicht mit dem Auslaufen der damaligen Duldung (= Ablauf des 13. Oktober 2020) geendet hat. Eine solche "überwirkende" Beschäftigungserlaubnis hätte zur Folge, dass diese allein durch den Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG in den Folgeduldungen weder erloschen noch im Sinne eines echten Beschäftigungsverbots überholt worden wäre (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2021, a.a.O., Rn. 29, 33 ff.). Auch für ihren Widerruf bestehen keine Anhaltspunkte; ein solcher liegt insbesondere nicht in dem Vermerk "Erwerbstätigkeit nicht gestattet" in den Folgeduldungsbescheinigungen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2021, a.a.O., Rn. 35). Da die Beschäftigungserlaubnis mithin bis heute fortbestünde, hätte der Antragsteller weder Grund noch Anspruch, die vorläufige Erteilung derselben durch die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verlangen. [...]