VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 24.08.2021 - M 16 K 17.36736 - asyl.net: M30197
https://www.asyl.net/rsdb/m30197
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für jungen Mann aus Afghanistan trotz familiären Netzwerks:

1. Die prekäre humanitäre Lage in Afghanistan hat sich durch die Covid-19-Pandemie und die Machtübernahme der Taliban noch einmal verschlechtert. Binnenvertriebene und Rückkehrer aus dem Ausland sind hiervon besonders betroffen.

2. Vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Lage kann auch bei Vorliegen eines familiären Netzwerkes in Afghanistan nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass die Familie zur Unterstützung der betroffenen Person fähig und bereit ist. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass mittellose Rückkehrer aus dem westlichen Ausland als "Versager" gelten würden und somit innerhalb der sozialen wie familiären Netzwerke am Rand stehen.

3. Es kann dahinstehen, ob nach dem Ende der Kampfhandlungen zwischen der ehemaligen afghanischen Regierung und den Taliban noch von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 AsylG ausgegangen werden kann. Jedenfalls nämlich droht Zivilpersonen derzeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung durch willkürliche Gewalt nicht mit der erforderlichen Gefahrendichte.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Existenzminimum, Abschiebungsverbot, Corona-Virus, Existenzgrundlage, humanitäre Gründe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, alleinstehende Männer, Arbeitslosigkeit, Taliban, Netzwerk, begünstigende Umstände, willkürliche Gewalt, Verwestlichung, Rückkehrer, subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Gefahrendichte, westlicher Lebensstil,
Normen: EMRK Art. 5, AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

16 2. An vorstehenden Vorgaben gemessen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und angesichts der derzeitigen Verhältnisse in Afghanistan nicht imstande sein wird, seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft, Hygiene auf legalem Weg zu sichern und auch keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Aus folgenden Gründen:

17 a) Die wirtschaftliche und damit einhergehend humanitäre Situation in Afghanistan ist aktuell und auf unabsehbare Zeit, insbesondere für Rückkehrer, besorgniserregend.

18 aa) Bereits vor der Machtübernahme der Taliban war die wirtschaftliche und humanitäre Lage der Bevölkerung in Afghanistan in besorgniserregendem Maß schlecht. [...]

23 bb) Mit der für alle Seiten unerwartet raschen Machtübernahme der radikalislamischen Taliban über nahezu das gesamte Land, zuletzt durch die Einnahme der Stadt Kabul am 15. August 2021, dem Ende der Islamischen Republik Afghanistan und der Ausrufung des Islamischen Emirats Afghanistan haben sich die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan in kürzester Zeit grundlegend geändert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Sonderkurzinformation der Staatendokumentation v. 17.8.2021). Dies bleibt nicht ohne Folgen für die humanitären Verhältnisse in Afghanistan und für die Situation von Rückkehrern, insbesondere Rückkehrern aus den westlichen Staaten. [...]

33 Die Situation im Hinblick auf den Gesundheitssektor wird sich nach der Machtübernahme der Taliban ganz wesentlich verschlechtern. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts schon aus dem Ausbleiben internationaler Hilfe und dem Stopp von Hilfszahlungen durch die Weltbank, mit denen auch das SEHATMANDI-Programm finanziert wurde (vgl. auch WHO, Afghanistan emergency situation report, 30.8.2021). Bereits vor der Machtübernahme haben die Taliban gedroht, gegen die Gesundheitsdienstleister von SEHATMANDI vorzugehen, wenn ihre unmöglich umzusetzenden Forderungen nicht erfüllt würden; dies hat sich auch auf die Unterstützung anderer von der Weltbank geförderter Programme ausgewirkt wie etwa das COVID-19-Hilfsprojekt (vgl. SIGAR, quarterly report to the United States Congress, 30.7.2021, S. 91). Das Gesundheitssystem steht demzufolge am Abgrund (vgl. ACAPS, thematic report, Afghanistan, humanitarian impact and trend analsysis, 23.8.2021). Wie die Taliban mit der Corona-Pandemie umgehen werden, ist ungewiss (ebs. Bundesverwaltungsgericht der Republik Österreich, E.v. 18.8.2021 - W228 2241306-1/17E - MILo, S. 8).

34 (2) für Rückkehrer, Migranten und Flüchtlinge wird sich die ohnehin schon besorgniserregende humanitäre Lage (vgl. Lagebericht, S. 22) nach der Machtübernahme der Taliban massiv verschlechtern.

35 Binnenvertriebene und Rückkehrer sind von der humanitären Krise in Afghanistan mit am stärksten betroffen. Aufgrund der aktuellen Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie der sich entwickelnden humanitären Notlage hat das UN-Flüchtlingswerk UNHCR auch deshalb die Staaten am 17. August 2021 aufgefordert, die Rückführung afghanischer Staatsangehöriger so lange zu stoppen, bis sich die Sicherheitslage und die Menschenrechtsbedingungen dahin verbessert haben, dass eine sichere und menschenwürdige Rückkehr möglich ist (vgl. UNHCR, briefing notes, UNHCR issues a non-return advisory für Afghanistan, 17.8.2021).

36 Nach dem Ende der Islamischen Republik Afghanistan und der Machtübernahme durch die Taliban kann derzeit schon aus tatsächlichen Gründen keine Abschiebung aus Deutschland nach Afghanistan erfolgen. Der scheidende (stellvertretende) Flüchtlingsminister Wafiullah Kakar führt hierzu aus: "Da sich die Dinge in Afghanistan geändert haben, sind getroffene Vereinbarungen nicht mehr aufrecht. Ihre Regierung wird in Zukunft mit den Taliban verhandeln müssen, wenn sie abschieben will" (zitiert nach derstandard.at, "Gericht enthaftet afghanische Schubhäftlinge", Stand 17./18.8.2021). Auch dringend erforderliche internationale und nationale Hilfsleistungen zur Rückkehr und Reintegration, die den Betroffenen bislang zugutekamen, werden auf längere Sicht ausbleiben. Dies gilt auch und insbesondere für die Unterstützung von Rückkehrern durch die Internationale Organisation für Migration (IOM). Ausweislich der Mitteilung des Informationsportals der IOM und des Bundesamts mit Stand vom 24. August 2021 "ist die geförderte freiwillige Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der sich stark verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt" (www.returningfromgermany.de; s. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Sonderkurzinformation der Staatendokumentation v. 17.8.2021). Darüber, wie die Taliban-Regierung mit Rückkehrern aus dem westlichen Ausland verfahren wird, kann nur spekuliert werden. Eine nicht koordinierte freiwillige Rückkehr afghanischer Flüchtlinge ist - von Ausnahmefällen abgesehen - vor diesem Hintergrund derzeit nicht vorstellbar, jedenfalls aber nicht zumutbar. [...]

40 c) In der Zusammenschau der vorangestellten Ausführungen ist das Gericht davon überzeugt, dass beim Kläger stichhaltige Grande dafür vorliegen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht wird sichern können.

41 Dieser Schluss gründet sich auf die vorangestellten Erkenntnisse zu den humanitären und gesellschaftlichen Bedingungen für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland in der Vergangenheit und deren prospektive Beurteilung für die Verhältnisse nach der Machtübernahme der Taliban unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers.

42 Als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, der dort fast sechs Jahre gelebt hat, wird der Kläger in der Öffentlichkeit, der Familie und vonseiten der Taliban aller Wahrscheinlichkeit nach mit Argwohn wahrgenommen und auch befragt werden. Möglicherweise werden ihm auch Verrat und Unglauben vorgehalten, was die Chancen auf eine zügige Wiedereingliederung in die Gemeinschaft erheblich erschwert.

43 Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger allein aufgrund seiner Rückkehr aus dem westlichen Ausland sogleich Folter, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch einen Akteur droht, sieht das Gericht aber nicht. Zunächst obliegt es dem Kläger, sich als Rückkehrer den neuen Gegebenheiten und - auch den unausgesprochenen - sozialen Normen in Afghanistan anzupassen, eine westliche Erscheinung etwa in Kleidung oder Haarschnitt sowie westliches Verhalten (z.B. Alkoholkonsum) zu vermeiden und auch keine entspannte oder gar ablehnende Haltung gegenüber der Religion zu zeigen. Dies ist dem Kläger auch zuzumuten. Im Übrigen dürfte sowohl der allgemeinen Bevölkerung wie auch den Taliban bewusst sein, dass eine Abwanderung ins Ausland ungeachtet sonstiger individueller Motive in erster Linie der konfliktbedingten Gewalt in Afghanistan geschuldet war und die Flucht ins westliche Ausland zudem in wirtschaftlicher Hinsicht einen Vorteil bot. Dass Rückkehrern aus dem westlichen Ausland allein deshalb eine Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohen würde, weil ihnen ernstlich unterstellt würde, in politischer und/oder religiöser Opposition zu den Taliban zu stehen, ist deshalb aus Sicht des Gerichts nicht beachtlich wahrscheinlich, wenngleich eine dahingehende Vermutung im Einzelfall ernst gemeint sein und auch entsprechende Handlungen vonseiten der infrage kommenden Akteure nach sich ziehen mag. [...]

45 Ob die Eltern und Geschwister sowie die Großfamilie des Klägers nach all den Jahren noch im selben Dorf in Afghanistan leben, ist dem Gericht nicht bekannt, weil sich der Kläger hierzu nicht geäußert hat, insbesondere nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Dies wird deshalb zu seinen Ungunsten angenommen, obwohl Rückkehrer de facto häufig zu Binnenvertriebenen werden, da u.a. verlorene Gemeinschaftsnetzwerke sie daran hindern, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (vgl. Länderinformation, S. 353).

46 Jedenfalls ist davon auszugehen, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan von seiner Familie nicht mit offenen Armen empfangen wird. Als einer von wenigstens 13 Kindern der (Kern-)Familie wird der Kläger sicherlich nicht mit besonderer Fürsorge behandelt werden. Auch sonst ist beim Kläger kein Merkmal zu erkennen, das ihn aus der Gruppe seiner Geschwister in irgendeiner vorteilhaften Weise hervorheben würde. Als Abgeschobener wird er ohnehin als Versager angesehen werden, als freiwilliger Rückkehrer ohne finanzielle Mittel ebenso. Die Ausreise des Klägers nach Deutschland kostete der Familie die für afghanische Verhältnisse beträchtliche Summe von ungefähr 5.000 USD, was nach den Angaben des Klägers die Ersparnisse waren, die der Laden des Vaters abgeworfen hatte. Dass sich dieser Betrag für die Familie des Klägers seither amortisiert hätte, dass also der Kläger wenigstens denselben Betrag nach Afghanistan zurücküberweisen konnte, ist nicht zu erwarten. Doch selbst wenn der Kläger seine Familie durch Überweisungen aus Deutschland unterstützen konnte, würden diese von ihm erwarteten Zahlungen nunmehr ausbleiben. Auf finanzielle Unterstützung durch Rückkehrprogramme kann der Kläger - wie zuvor ausgeführt - derzeit nicht hoffen. Der Kläger würde damit als mittelloser Rückkehrer aus dem westlichen Ausland ohne Geld und Geschenke nicht nur das Stigma des Verwestlichten tragen, sondern zugleich als Versager gelten, der es im Unterschied zu anderen ausgereisten Afghanen nicht geschafft hat, in Europa Fuß zu fassen und sich eine Existenz aufzubauen. Sein Scheitern würde nicht nur den Kläger selbst, sondern auch dessen Familie innerhalb der Gemeinschaft beschämen und Schande über sie bringen. Viele in vorstehendem Sinn gescheiterte Rückkehrer ziehen es deshalb vor, nach ihrer Rückkehr obdachlos zu bleiben, anstatt von ihren Familien abgelehnt zu werden. Diese Schande dürfte für eine paschtunische Familie, insbesondere den Vater des Klägers, deren Kultur eine strikte Befolgung eines Ehren- und Verhaltenskodex verlangt, nur schwer zu ertragen sein (vgl. Home Office, UK, country policy and Information note Afghanistan: Afghans perceived as 'westernised', Version 2.0, Juni 2021, S. 25 ff.; EASO, COI query report - Afghan nationals perceived as westernised - 9.2.2020, S. 5, 9; Länderinformation, S. 304, 391; Stahlmann/Diakonie Deutschland, Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans, Juni 2021, S. 62 ff.). Es ist davon auszugehen, dass der Kläger innerhalb seines familiären und sozialen Netzwerks am Rand stehen wird, weil er die ihm traditionell zugedachte Rolle als Versorger der Familie nicht erfüllen kann.

47 Wie sich die Familie des Klägers anfangs verhalten wird, ist nicht abzusehen. Jedenfalls wird die Familie des Klägers aber angesichts der zu erwartenden Verschärfung der ohnehin schon besorgniserregenden humanitären Krise in Afghanistan weder dazu imstande noch dazu bereit sein, für den Kläger den Lebensunterhalt sicherzustellen. Denn von einem inzwischen jungen Mann von Mitte zwanzig wird erwartet, dass er maßgeblich zur Versorgung der Familie beiträgt und nicht auf deren Kosten lebt. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist die Unterstützung meistens nur temporär und nicht immer gesichert (Länderinformation, S. 391). Die Lage wird sich für Rückkehrer nach der Machtübernahme der Taliban noch deutlich verschärfen, weil deren wirtschaftliche Unfähigkeit und der Rückzug der internationalen Geldgeber eine massive Verschlechterung der humanitären Verhältnisse erwarten lässt. Dass der Kläger mit seiner hier begonnenen Ausbildung im Pflegeberuf eine bezahlte Arbeit in Afghanistan finden wird, ist derzeit unwahrscheinlich, insbesondere, weil die Finanzierung des SETMANDI-Projekts ausgesetzt wurde, das die wichtigste Grundlage für die Gesundheitsversorgung Afghanistans ist. Nachdem die Weltbank ihre Hilfe eingefroren hat, können auch keine Gehälter mehr ausbezahlt werden (vgl. WHO, Afghanistan emergency situation report, 28.8.2021).

48 Auch wenn der Kläger in seinem Heimatdorf über ein familiäres und soziales Netzwerk verfügen und auch zeitweise unterkommen mag, spricht wenig dafür, dass er dort eine bezahlte Arbeit finden wird. Dieser bedarf er aber, um weiterhin auf die Unterstützung seines familiären und sozialen Netzwerks bauen zu können. Der Kläger wird mit hoher Wahrscheinlichkeit (und wohl auch zutreffend) zunächst als verwestlichter und verweichlichter Rückkehrer wahrgenommen werden, als eine Person, die die Werte, das Aussehen, die Sprache, den Akzent und die Kultur eines westlichen Landes übernommen hat und zudem nicht in der Lage ist, mit den schweren Lebensbedingungen in Afghanistan zurechtzukommen. Da der Kläger die letzten sechs Jahre in Deutschland verbracht hat, ist weiter davon auszugehen, dass ihm die Regeln, die Sozial- und Verhaltenskodizes im Umgang vor Ort nicht mehr in einer Weise vertraut sind, als dass er dem ihm entgegengebrachten Misstrauen und den Vorurteilen durch die Bevölkerung, aber auch vonseiten der Familie, etwas entgegenzusetzen hätte. Ob dessen Familie, allen voran der Vater, für den Kläger bürgen können, ist angesichts des Versagens des Klägers - in den Augen der Familie - eher fraglich, schon, weil nicht gewiss ist, ob der Kläger den an ihn gestellten Anforderungen noch genügen kann. Denn die Familie hat den Kläger in den letzten sechs Jahren nicht zu Gesicht bekommen. Zudem hat sich die Lage für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland nach der Machtübernahme durch die Taliban, religiösen Extremisten, deutlich verschlechtert, weil diese den Kläger als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland in den Blick nehmen werden, wobei sich die rechtlichen und sozialen Vorstellungen der Taliban an einer besonders strengen, unnachgiebigen und extremistischen Auslegung des Islam und der Scharia orientieren. Dass der Kläger deshalb nicht nur von der Gemeinschaft, sondern auch vonseiten der neuen Herrscher im Islamischen Emirat Afghanistan beobachtet werden wird, dürfte auch einem potenziellen Arbeitgeber bewusst sein und dieser muss befürchten, durch die Beschäftigung des Klägers selbst ins Visier der Taliban zu geraten. Angesichts einer von Krisen gebeutelten Wirtschaft (Dürre, Covid-19-Pandemie, Konflikt) mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, des Massenzuzugs von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen sowie Vertriebenen aus Iran und Pakistan und einer entsprechend hohen Zahl von Arbeitsuchenden ist deshalb nicht davon auszugehen, dass gerade der Kläger mit seiner pflegerischen Vor- oder Ausbildung bei der Suche nach einer Arbeit erfolgreich sein würde (vgl. Länderinformation, S. 390 ff., 236 ff.). [...]

68 c) Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts in Afghanistan kein ernsthafter Schaden aufgrund einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Der Kläger hat keine glaubhaften individuellen/persönlichen Umstände vorgetragen, aus denen sich gefahrerhöhende Umstände in seiner Person ergeben, die ihn von einer allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 - juris Rn. 20 ff.). Auf die vorstehenden Ausführungen des Gerichts zur geltend gemachten individuellen Bedrohung aufgrund der Verwandtschaft des Klägers zu einem ehemaligen Bezirksgouverneur und dessen Zugehörigkeit zur Gruppe der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland wird im Übrigen verwiesen.

69 Kampfhandlungen zwischen den Streitkräften der ehemaligen Regierung der Islamischen Republik Afghanistan und den Taliban, die die nunmehrige Regierung des Islamischen Emirats Afghanistan bilden, finden nicht bzw. kaum mehr statt. Ob der bislang herrschende innerstaatliche Konflikt beendet ist, bedarf deshalb keiner Klärung. Das Gericht geht aufgrund der aktuellen Lage davon aus, dass der Kläger aufgrund dieses Konflikts derzeit nicht in Afghanistan bzw. in der Provinz Nangarhar, Bezirk …, als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge "willkürlicher Gewalt" mit der erforderlichen hinreichenden Gefahrendichte unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnenden Umstände, ausgesetzt ist (vgl. zuletzt EuGH, U.v. 10.6.2021 - C-901/19). Der Konflikt zwischen der Gruppe des sog. Islamischen Staats der Provinz Khorasan (ISKP) und den Taliban lässt angesichts der Niederlagen des ISKP auch in Nangarhar und der damit einhergehenden Aufgabe der Kontrolle von Gebieten durch ISKP derzeit nicht die Gefahr besorgen, dass dem Kläger ein dahingehender ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht. Der Bezirk ... stand bereits vor derer Machtübernahme in Afghanistan unter der Kontrolle der Taliban (vgl. Länderinformation, S. 162 ff., 245 ff.). [...]