OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.10.2021 - 4 MB 52/21 - asyl.net: M30212
https://www.asyl.net/rsdb/m30212
Leitsatz:

Nachweis von A2-Deutschkenntnissen auch ohne Sprachzeugnis möglich:

"Die nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG erforderlichen mündlichen Deutschkenntnisse müssen nicht schriftlich belegt werden, sondern können sich auch aus den Umständen ergeben. Ihr Vorliegen ist im Rahmen des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO allerdings glaubhaft zu machen. Allein die Dauer des Aufenthalts genügt insoweit nicht."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bleiberecht, Altfallregelung, Integration, Deutschkenntnisse, A2,
Normen: AufenthG § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 4, VwGO § 123,
Auszüge:

[...]

8 aa. Problematisch erscheint bereits der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG regelmäßig zu fordernde achtjährige bzw. sechsjährige geduldete, gestattete oder erlaubte Voraufenthalt, der bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ununterbrochen fortgedauert haben muss (BVerwG a.a.O. Rn. 34). Entgegen der Behauptung der Beschwerde liegt die erforderliche Voraufenthaltszeit keineswegs unstreitig vor. Dies hat auch das Verwaltungsgericht nicht angenommen, die Frage selbst aber offengelassen. Für die Berechnung stellt der Antragsgegner für die Einreise der Antragstellerin zu 1 auf den 30. August 2015 ab und verneint deshalb im Bescheid vom 29. Juni 2021 einen auch nur sechsjährigen Voraufenthalt. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen. Hiervon ausgehend wäre ein sechsjähriger Voraufenthalt auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifelhaft, da die Antragstellerin zu 1 gegenwärtig nicht geduldet ist. Nach dem erstinstanzlichen Vortrag des Antragsgegners ist die Duldung seit dem 20. Juli 2021 widerrufen. Dass der Antragsgegner ihr eine – ebenfalls als Duldung anzusehende (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 28 zur Duldung i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG) – Verfahrensduldung ausgestellt hätte, ist nicht vorgetragen und auch nicht anzunehmen, da er nach erstinstanzlichem Bekunden weiterhin die Abschiebung der Antragstellerinnen betreibt. Zudem ist nach dem Vorbringen des Antragsgegners unklar, wo sich die Antragstellerinnen seit dem Abschiebungsversuch am 20. Juli 2021 bis heute aufhalten. Eine über das Bestreiten hinausgehende substantiierte Äußerung etwa zu der Frage, wie sie die ihnen zugewiesene Wohnung nutzen, nachdem das Schloss ausgetauscht und sie keinen Schlüssel mehr dazu haben, liegt nicht vor.

9 bb. Nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind des Weiteren die Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG. Richtig ist zwar, dass die geforderten (nur) mündlichen Deutschkenntnisse auf dem Niveau der Stufe A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens nicht nur durch die Vorlage eines entsprechenden Sprachtestzeugnisses belegt werden können, sondern auch durch eine praktisch mögliche Verständigung mit der Ausländerbehörde über einfache Sachverhalte und ohne Dolmetscher. Ebenso kann sich das Bestehen der erforderlichen Sprachkenntnisse auch aus den Umständen ergeben, z.B. dann, wenn der oder die Betroffene an einer deutschsprachigen Hochschule oder Fachhochschule studiert oder eine deutschsprachige Berufsausbildung absolviert, die regelmäßig die Fähigkeit zur selbstständigen Sprachverwendung in Alltagsgesprächen und im Beruf voraussetzt (Kluth in BeckOK Ausländerrecht, 30. Ed. 01.07.2021, § 25b AufenthG Rn. 23; Röcker in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 25b AufenthG Rn. 25 f.). Dergleichen hat die Antragstellerin zu 1 allerdings nicht glaubhaft gemacht. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass sich die Ausländerbehörde mehrfach von ihren ausreichenden Sprachkenntnissen habe überzeugen können, ohne dies aber in irgendeiner Form zu plausibilisieren oder nachvollziehbar zu belegen. Auch findet sich in den Gerichtsakten keine entsprechende Bestätigung vonseiten des Antragsgegners. Allein die Dauer des Aufenthalts oder die Tatsache, dass die Antragstellerin seit Oktober 2020 als Hauswirtschaftskraft tätig ist (oder war), stellen ebenfalls keine Umstände dar, aus denen mit der gebotenen Sicherheit auf vorhandene mündliche Deutschkenntnisse geschlossen werden könnte. Es ist insbesondere weder ersichtlich noch dargelegt, dass die Fähigkeit zur Verständigung in Alltagsgesprächen hierfür vorausgesetzt wird. [...]